Reitzle: "Geschmack ist ein Lernprozess"

Ford-Manager Wolfgang Reitzle über stille Genießer, Wohlstand und Wirtschaftskrise.

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Herr Reitzle, wie teuer war die Armbanduhr, die Sie heute tragen?

Die Uhr ist ein Geschenk meiner Frau.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass eine Luxusuhr erst bei 5000 Euro anfängt. Wozu braucht man eine so teure Uhr?

Man braucht sie überhaupt nicht. Um die Zeit abzulesen, ist eine Swatch völlig ausreichend. Aber Luxusuhren sind ein Beispiel für Produkte, bei denen Menschen Freude haben an der Technik und der Perfektion, an der Kunst, am Handwerk, an der Tradition. Bei modernen Luxusprodukten geht es in erster Linie darum, sich selbst eine Freude zu machen. Der Mehrwert eines solchen Produkts geht weit über seine Grundfunktion hinaus.

Ist Luxus nicht vor allem ein Mittel, sich von anderen abzuheben?

Das Spektrum der Luxuskonsumenten geht von Menschen, die still für sich genießen, bis hin zu solchen, die sich bewusst mit Statussymbolen umgeben. Der Geltungsnutzen, der damit verbunden ist, ist sicher auch eine Kraft, die diesen Bereich treibt.

Zu welcher Gruppe würden Sie sich zählen?

Mein Stil ist eher das feinsinnige Understatement. Ein Rolls-Royce mit vergoldetem Kühlergrill oder ein Diamantring sind nicht meine Welt.

Auf welchen Luxus könnten Sie verzichten?

Im Grunde auf fast alles. Ich gehe einmal im Jahr Bergsteigen, irgendwo auf eine Hütte. Spätestens am dritten Tag ohne Heizung und elektrischen Strom wird mir dann klar, wie wenig ich eigentlich wirklich brauche, um schöne Erlebnisse zu haben und glücklich zu sein.

Welche Rolle spielen Marken für Luxus?

Marken sind Gütesiegel und stehen für einen Wert. Marken sind aber auch Symbole, und mancher orientiert sich schlicht an dem, was angesagt ist. Luxuskonsum unterliegt auch einem Lernprozess, und mancher vergreift sich erst einige Male, bevor er einen sicheren Stil entwickelt. Die wirklichen Luxusprodukte sind die, die von einer Kennerschaft gekauft werden.

Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass Luxus gesellschaftlichen Wohlstand schafft? Die Zielgruppe dieser Produkte ist doch eher klein.

Aber für ihre Herstellung braucht man mehr Menschen mit einer höheren Qualifikation. Und Produkte mit höherer Wertschöpfung sind der Motor für die Wirtschaft. Das heißt, über Luxusgüter schafft man eine bestimmte Kultur, die anspornt und ein Innovationsmotor ist. Um ein normales Auto herzustellen, muss ich heute keine Erfindung mehr machen. Aber um ein Luxusauto in seiner Topposition zu halten, muss ich permanent Innovationen anbieten. Ohne Luxusprodukte gibt es keine Innovation und keinen Leistungsanreiz.

Gilt das auch für Länder wie Russland, wo die Oberschicht im Luxus schwelgt, während der Rest der Gesellschaft nichts davon hat?

Nein. Die These „Luxus schafft Wohlstand“ bezieht sich auf die Länder, in denen Luxus als Wertschöpfung geschaffen wird. Wo Luxus nur konsumiert wird, gilt das nicht.

Glauben Sie, dass eine lang anhaltende Rezession den Luxustrend brechen kann?

Brechen nicht, höchstens knicken für eine bestimmte Zeit.

Ist die Luxusindustrie in der Lage, die Wirtschaft aus der Rezession zu ziehen?

Das wäre dann wohl doch ein bisschen viel verlangt. Aber ich denke, der Luxuskonsum könnte einen positiven psychologischen Effekt auf die übrige Wirtschaft haben.



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