Research in Motion Immer wieder neu beweisen

Niemand will mehr Blackberrys. Ohne ein Rezept gegen Angreifer wie Apple und Google ist beim Blackberry-Hersteller Research in Motion die Eigenständigkeit gefährdet. Jetzt bricht auch noch die Aktie ein. Das Unternehmen korrigiert die Gewinnprognosen nach unten.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Mike Lazaridis Quelle: REUTERS

Mangelnden Erfolg muss sich Mike Lazaridis eigentlich nicht vorwerfen lassen. Innerhalb nur eines Jahrzehnts haben der Ingenieur und sein Mitstreiter Jim Balsillie aus der kleinen kanadischen Technologieschmiede Research in Motion (RIM) dank des ersten wirklich brauchbaren Smartphones zum Abrufen und Senden von E-Mails einen der weltweit größten Handyhersteller geformt. RIM steigerte den Umsatz von 2000 bis 2011 von 85 Millionen auf fast 20 Milliarden Dollar. „Trotzdem müssen wir uns ständig rechtfertigen“, klagt Lazaridis, der RIM gemeinsam mit Balsillie führt. Denn Skeptiker glauben, dass RIM seine besten Zeiten hinter sich hat, weil dem erfolgsverwöhnten Duo bisher keine überzeugende Abwehrtaktik gegen mächtige Angreifer wie Apple und Google eingefallen ist. 

Allen Beschwichtigungen aus der Chefetage zum Trotz liegen in der RIM-Zentrale in Waterloo nahe Toronto die Nerven blank. Der Börsenwert des einstigen Anlegerlieblings hat sich seit Juni 2008 mehr als halbiert. Dadurch ist erstmals die Eigenständigkeit ernsthaft gefährdet. Wie zum Beweis musste RIM gestern die Gewinnprognose für das erste Quartal um elf Prozent senken. Die Absatzschwäche soll im Laufe des Jahres mit neuen Produkten ausgeglichen werden. Die Das Unternehmen erwartet nun ein Ergebnis von 1,30 bis 1,37 Dollar je Anteilsschein.

87 Prozent der Aktien befinden sich im Streubesitz. Über eine feindliche Übernahme wird seit Jahren spekuliert. Doch bislang war RIM potenziellen Interessenten wie Microsoft oder Hewlett-Packard (HP) zu teuer. Das hat sich nun geändert.

Konkurrenz mit Spassfaktor

Aktionäre haben dem erfolgsverwöhnten Duo den Rücken gekehrt, weil das Suchtpotenzial des einstigen Kultobjekts Blackberry gelitten hat. Besitzer, die ständig ihre E-Mails prüften und mit ihren Daumen auf der integrierten Tastatur Nachrichten hineinhämmerten, tauften ihn einst Crackberry, in Anlehnung an Crack-Heroin. Nun gibt es andere Drogen wie Apples iPhone oder die von Google geförderte Armada von Android-Handys. Selbst langjährige Blackberry-Bastionen wie die US-Bank JP Morgan haben sich der Konkurrenz geöffnet – wie viele andere Unternehmen auch. Seit Herbst veröffentlicht RIM keine Nutzerzahlen mehr.

Paradoxerweise stellt sich RIMs Stärke bei Unternehmen, lange ein großer Wettbewerbsvorteil, nun als Achillesferse heraus. Denn in immer mehr Betrieben wollen sich die Mitarbeiter nicht länger von der IT-Abteilung vorschreiben lassen, womit sie dienstlich telefonieren und mailen: Sie fordern genau das Mobiltelefon, das sie auch privat verwenden.

Das größte Wachstum bei Smartphones kommt so nicht mehr von reinen Geschäftskunden, sondern von Konsumenten. Und dort hat RIM Probleme, mit der Konkurrenz von Apple, Google, HTC, Samsung und Motorola preislich und beim Ausstattungskomfort mitzuhalten.

PlayBook von Blackberry Quelle: REUTERS

Lange wirkten die Blackberrys neben den iPhones und Android-Telefonen mit ihren großen, berührungsempfindlichen Bildschirmen und ihrer intuitiven Bedienung antiquiert. Inzwischen hat RIM erheblich nachgebessert. Doch die Konkurrenz hat sich schon etabliert.

Verschlafen hat RIM auch die Revolution bei der Smartphone-Software. Während es für Apples iPhone 350 000 kleine Zusatzprogramme (Apps) gibt und für Android etwa 180 000, wird die Zahl der Blackberry-Programme auf nur 25 000 geschätzt. RIM hat seinen App-Store zu lange vernachlässigt.

„Wir erwarten, dass RIM weiter an Boden verliert“, sagt Roberta Cozza, Analystin bei der US-Beratung Gartner. Sie prognostiziert, dass sich Blackberrys Marktanteil vom bislang höchsten Stand 2009 von fast 20 Prozent in den kommenden vier Jahren fast halbieren wird.

Ohne ein Rezept gegen iPhone, Android und Co. schrumpft der Unternehmenswert weiter. RIM droht das Schicksal des gestrauchelten finnischen Handygiganten Nokia, der sich jüngst in eine Allianz mit Microsoft retten musste.

Teure Hardware

Wie Nokia wird der Blackberry-Schöpfer von finanzstarken Wettbewerbern in die Zange genommen, für die das Mobilfunkgeschäft zwar strategisch wichtig, aber nicht überlebensnotwendig ist. Sie können es notfalls mit Profiten aus anderen Bereichen päppeln.

Apple, Google, Samsung und Microsoft sind alle nicht vom Verkauf von Mobiltelefonen abhängig. Bei Apple ist es nur eine, wenn auch wichtige, Umsatzsäule. Samsung ist ein Elektronikgigant. Google bietet keine eigenen Handys an, will sein Geschäft mit mobiler Werbung machen. Auch Microsoft hält sich nicht mit Hardware auf.

RIM erzielt hingegen rund 80 Prozent seines Umsatzes mit Hardware. Genau wie Nokia muss RIM seine Geräte möglichst teuer verkaufen. Ein Fehltritt bei einem neuen Modell, und es wird brenzlig.

Ausgerechnet RIMs Antwort auf Apples iPad könnte dieser gefährliche Ausrutscher sein. Stolz präsentierten Lazaridis und Balsillie gerade erst den lange angekündigten eigenen Tablet-PC in einer elegant geschmückten Lagerhalle in Manhattan. Mit dem schicken Playbook, das kleiner, handlicher und leichter als das iPad ist, wollten sie beweisen, wie innovativ ihr Konzern noch immer ist und dass RIM neue Märkte besetzen kann.

Doch die Demonstration der Stärke ging daneben. Die Testurteile in der US-Presse waren bestenfalls durchwachsen, aber nicht die erhoffte Kaufempfehlung.

So verfügt das Playbook über kein Mobilfunkmodem. Einwählen müssen sich die Nutzer über lokale Internet-Netze via WLAN. Unterwegs soll der Blackberry als Brücke zum mobilen Internet herhalten. Das grenzt den Kundenkreis stark ein. Auch E-Mails und Kalender lassen sich nur über den Blackberry abgleichen.

RIM will jetzt nachbessern. Ein Nachfolgemodell soll nicht nur WLAN, sondern auch ein Mobilfunkmodul enthalten. Seit Dienstag vergangener Woche ist das Playbook in den USA zum Einstiegspreis von 499 Dollar erhältlich. Im zweiten Quartal soll es auch nach Deutschland kommen.

Lazaridis und Balsillie müssen sich sputen. Apple macht sich in den Unternehmen breit. So hat Marc Benioff, Chef des Unternehmenssoftware-Anbieters Salesforce, alle Mitarbeiter mit iPads ausgestattet. IBM und SAP entwickeln fleißig Unternehmensapplikationen für das Apple-Tablet. Auch Samsung greift mit seinen Galaxy-Tablets an. Und im Juni will HP sein TouchPad in den Markt drücken.

Unterschlupf gesucht

Wie schon im Smartphone-Geschäft muss sich RIM auch bei den Tablets gegen Konkurrenten mit tiefen Taschen stemmen. HP ist der größte Computerhersteller der Welt und genießt Einkaufsvorteile bei seinen Komponenten. Samsung stellt viele Teile selbst her. Selbst Apple ist beim Prozessor für das iPad 2 auf das Fertigungs-Know-how der Südkoreaner angewiesen. RIM kann nur mit seinem Erfahrungsschatz beim Verteilen von E-Mails über Mobilfunknetze wuchern.

Wenn RIM nicht bald die Kurve kriegt, muss das Unternehmen wie schon Nokia Zuflucht bei einem der Großen der Technologiebranche suchen. Microsoft, so heißt es im Silicon Valley, hat trotz seiner Nokia-Allianz noch immer Interesse. Für HP, das dank dem Kauf von Smartphone-Pionier Palm über ein eigenes mobiles Betriebssystem verfügt, ist RIM wegen seiner Unternehmenskunden attraktiv. Auch Larry Ellison, dem Meister der High-Tech-Übernahmen, wird Interesse nachgesagt. Seinem Oracle-Konzern, der nicht nur Unternehmenssoftware, sondern auch eigene Hardware anbietet, fehlt ein eigenes mobiles Betriebssystem. Mit RIM bekäme er zugleich ein ganzes Patentportfolio für das Management von mobilen E-Mails.

Lazaridis gibt sich kämpferisch: „Ich habe gelernt, dass man sich immer wieder von Neuem beweisen muss.“ Über die vergangenen zehn Jahre ist ihm das bisher trotz aller Skepsis stets gelungen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%