Rheingau Quadratur des Weins mit moderner Architektur

Glas, Stahl, Sichtbeton: Mit moderner Architektur will Deutschlands größter Weinbaubetrieb, Kloster Eberbach im Rheingau, das alte Weingut in die Neuzeit führen.

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Kellerei-Neubau Quelle: Markus Hintzen für WirtschaftsWoche

Das Feld mit den Rapsblüten leuchtet in sattem Gelb. Sanft neigt es sich ins Tal zwischen den Ortschaften Kiedrich und Hallgarten. Jenseits der schmalen Landstraße beginnt eine ganz andere Welt. Umgeben von einer Steinmauer liegen rund 34 Hektar wertvoller Boden – der Steinberg, eine geschichtsträchtige Weinlage, an deren Rand die Kellerei Domäne Steinberg liegt. Wer sich ihr über die Landstraße vom etwas höher gelegenen Kloster Eberbach nähert, bemerkt erst spät, wie gerade Kanten in den Horizont stechen. Hinter einem schlichten Einfamilienhaus werden kubische Konturen sichtbar, die sich über den Berg breiten. Ein flaches Betondach überdeckt eine offene Fläche mit zwei überdimensionalen Trichtern, rechts geht der Blick durch die Glasfront eines Raumes. Wer durch die freien Flächen des Gebäudes geht und sich auf der Terrasse umdreht, sieht die Fassade aus Sichtbeton, durchbrochen von Glas und Stahl. Und wer nur einige Meter an der Mauer entlanggeht, sieht das Gebäude langsam vor der Kulisse des Steinbergs, der historischen Schmiede und dem Türmchen des Fachwerkhauses der ehemaligen Rebveredelungshalle verschwinden. Just vor diesem Anblick haben sich viele Bürger des Rheingau gefürchtet.

Wenn am Abend des 30. Mai der geschäftsführende hessische Ministerpräsident Roland Koch in einem Festakt das Gebäude seiner Bestimmung als Kellerei übergibt, dann endet ein Kapitel in der Geschichte der Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach, das zu Streit und Zerwürfnissen zwischen Bürgern und Politikern, Landräten und Baudezernenten und Winzern untereinander führte.

Die 850 Jahre alten Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach folgen mit der Entscheidung, das altehrwürdige Weingut mit einem neuen architektonischen Gewand in die Moderne zu bringen, nur einer Entwicklung, die in vielen Ländern längst üblich ist: Von Australien bis Kalifornien beauftragen Winzer hochdekorierte Baumeister mit dem Bau architektonisch anspruchsvoller Keltereien.

In Deutschland tun sich viele Winzer schwer mit den Formen der Moderne. Weinseligkeit mit Weinprinzessin und Straußenwirtschaft dominiert das Bild. Mutige Bauherren, wie die vom Weingut Kühling-Gillot aus Rheinhessen, vom Weingut am Stein bei Würzburg, Kreutzenburger aus der Pfalz oder vom Sächsischen Staatsweingut Schloss Wackerbarth in Radebeul, sind die Ausnahme.

Oft ist es lediglich die Vinothek oder ein Teil der Kellers, der modern gestaltet wird. Der Weinkeller der Hessischen Staatsweingüter ist ausschließlich mit Beton, Naturstein und Holz in klaren Formen gebaut. In Hessen sah sich der Präsident des Landesdenkmalamtes, Gerd Weiß, genötigt, den Entwurf des Architekten Reinhard Moster als Kulturpflege zu loben. Moster hatte die europaweite Ausschreibung für den Bau, der rund 15 Millionen Euro gekostet hat, gewonnen.

Mosters Aufgabe war diffizil: 14 Meter tief in die Erde sollte die Kellerei verschwinden, um Traubenanlieferung, Pressen und Gärtanks von oben nach unten anzuordnen, damit der Wein durch Schwerkraft transportiert wird und nicht gepumpt werden muss, was der Qualität des Mosts schadet.

Hinter den streng geometrisch angeordneten Betonmauern versucht das Weingut die Quadratur des Weins: Traditionspflege mit modernster Technik. Die Gärung wird nicht mittels der Temperatur kontrolliert, sondern der Ausstoß an Kohlendioxid gemessen, doppelwandige Stahltanks können bei Bedarf gekühlt und beheizt werden, je nachdem, ob die Hefen zu viel oder zu wenig arbeiten. Die Mitarbeiter wiederum sollten im Untergeschoss Tageslicht bekommen. Moster plante einen Lichtschacht, der wie eine begrünte Tiefgaragenauffahrt bis ins zweite Untergeschoss hinabführt.

Anlieferstation für Trauben Quelle: Markus Hintzen für WirtschaftsWoche

Mit mehr als 200 Hektar Weinbergsflächen sind die Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach der größte Weinbaubetrieb Deutschlands, der von Aufzucht bis Abfüllung alle Arbeiten selbst ausführt. Abgefüllt werden etwa 1,2 Millionen Flaschen – das ist die Hälfte der Produktion, die beispielsweise die Racke-Gruppe unter der Marke Blanchet in Deutschland von Vertragswinzern produzieren lässt.

Unter Napoleon fiel das von Zisterziensermönchen gegründete Weingut in den Besitz des Herzogs von Nassau, ab 1866 an das Königreich Preußen und in der Folge 1945 an das Land Hessen. „Natürlich ist es nicht die originäre Aufgabe des Landes Hessen, ein Weingut zu betreiben“, sagt der Geschäftsführer Dieter Greiner. Weil der Betrieb jahrelang Verluste schrieb und das Land die Kellerei nicht weiter subventionieren wollte, gab es laut des Aufsichtsratsvorsitzenden Roland Koch jedoch nur zwei Alternativen: Zerschlagung oder Umwandlung in eine private GmbH. Dass die Weinbergsflächen nicht als Filetstücke auf den Markt kamen, begrüßen Winzer wie Wilhelm Weil, Gutsdirektor des Weinguts Robert Weil: „Die Preise wären in den Keller gegangen.“

Stattdessen wurde ein Geschäftsplan über zehn Jahre entworfen, der auch Schulden beinhaltet. „Wir haben alles ausschließlich über Kredite finanziert und keine Zuschüsse vom Land erhalten“, sagt Geschäftsführer Greiner.

Greiner möchte sämtliche Weine des Weingutes, das zum Verband Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter (VDP) gehört, am Markt besser positionieren. Die einfachen Weine sollen im Lebensmittelhandel, die Ersten Gewächse aus den besten Lagen des Weinguts im Fachhandel vertrieben werden. Dafür war der Neubau nötig, denn „an dem alten Standort in Eltville war ein zeitgemäßes Arbeiten nicht mehr möglich“, sagt Ralf Bengel, Önologe des Weinguts Kloster Eberbach. Das schlug sich in teils schlechten Beurteilungen nieder: Den Jahrgang 2006 etwa hält der „Weinguide Gault Millau“ für „einfach zu brav“.

Auch wenn viele Winzer beklagen, dass im Kloster Eberbach, das als Stiftung den ganzen Rheingau präsentieren soll, nur Weine der Hessischen Staatsweingüter ausgeschenkt werden dürfen – Wilhelm Weil begrüßt die große staatliche Konkurrenz: „Wir brauchen Flaggschiffe im Rheingau.“

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