Risikomanagement Zahlungsausfall vorbeugen

Weniger als die Hälfte der deutschen Mittelständler kümmert sich um Sicherheit. Nur 40 Prozent haben ein Risikomanagementsystem. Dabei müssen auch sie sich gegen Gefahren wappnen – das erspart Ärger und sichert das Geschäft.

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Harald Wideburg, Chef der HaWig Quelle: Christoph Busse für WirtschaftsWoche

So etwas durfte ihm nie wieder passieren, das war Harald Wideburg klar."Unser größter Kunde hatte mir einen Teilauftrag nicht gegeben", erzählt der Chef der HaWig-Firmengruppe im oberfränkischen Heroldsbach. Bei dem Auftrag über fünf Millionen Euro für die Belüftung eines Atomkraftwerks hatte der Großkunde kalte Füße bekommen, obwohl er zuvor schon einen deutlich größerer Teilauftrag für das insgesamt 80 Millionen Euro schwere Projekt erteilt hatte. "Unser Kunde hatte sich gefragt, was passieren würde, wenn wir einen größeren Zahlungsausfall erleiden oder den ganzen Laden aus einem anderen Grund gegen die Wand fahren." Wideburg hatte sich diese Frage nie gestellt und darum auch keine befriedigende Antwort parat.

Das 1998 gegründete Unternehmen, das mit 35 Mitarbeitern Heizungs-, Lüftungs- und Klimasysteme für Industrieanlagen in aller Welt liefert, ist damit nicht allein. Viele Mittelständler verdrängen die Frage, welche Folgen es hätte, wenn der umsatzstärkste Kunde pleitegeht und fest verplante Zahlungseingänge ausbleiben. Oder was passieren würde, wenn ein wichtiger Zulieferer ausfällt, die Bank den Kredithahn zudreht, die Produktionshalle durch ein Feuer verwüstet wird, der Chef einen Herzinfarkt erleidet oder wenn durch fehlerhafte Produkte Menschen zu Schaden kommen und Klagen drohen.

Verweigerer verzichten auf Risikovorsorge

Mehr als die Hälfte aller mittelständischen Unternehmen verzichtet auf ein Risikomanagement, zeigt eine aktuelle Untersuchung der Hochschule Deggendorf in Niederbayern – obwohl der Gesetzgeber zumindest bilanzierenden Mittelständlern vorschreibt, über ihr Risikomanagement Rechenschaft abzulegen. Zur Bilanzierung verpflichtet sind Unternehmen mit mehr als 500.000 Euro Umsatz oder mehr als 50.000 Euro Gewinn pro Jahr sowie selbstständige Einzelkaufleute. Die Verweigerer verzichten auf Risikovorsorge, obwohl die Rechtsprechung keinen Unterschied mehr macht zwischen Konzern und mittelständischem Winzling, wenn es zum Beispiel um Produkthaftungsfragen geht.

Systematische Analyse

"Jedes Unternehmen sollte seine Risiken kennen und wissen, wie sie entschärft werden können", fordert Josef Scherer, Jura-Professor für Risiko- und Krisenmanage-ment in Deggendorf. Zwar schützt auch die beste Vorsorge nicht vor Katastrophen wie dem Erdbeben und dem Tsunami in Japan. "Aber ein gutes Risikomanagement hilft, die Folgen abzufedern", sagt Scherer.

Auf der sicheren Seite sind Unternehmen, wenn sie Risiken und auslösende Faktoren identifizieren und festlegen, was Geschäftsleitung, Bereiche und Mitarbeiter im Fall des Falles konkret tun müssen, um Folgeschäden gering zu halten. Dafür müssen die Unternehmen die Risiken systematisch analysieren – Produktrisiken ebenso wie technische, strategische, finanzielle, Markt- und Umweltrisiken.

Aktiengesellschaften sind seit 1998 verpflichtet, ein Risikomanagement-System aufzubauen, Grundlage ist das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich. Mit der Einführung des Bilanzmodernisierungsgesetzes hat sich der Kreis erweitert: Erstmals in den Bilanzen für 2010 müssen auch kleinere, nach dem Handelsgesetzbuch bilanzierende Unternehmen Rechenschaft über Risiken und Risikomanagement ablegen.

Das damit verbundene Pflichtenheft ist umfangreich: Im Anhang zur Bilanz müssen zum Beispiel alle Verbindlichkeiten aufgelistet werden, die nicht im Zahlenteil der normalen Bilanz zu finden sind. Dazu gehören etwa Pensionsverpflichtungen aus Altverträgen. Das HGB stellt es den Unternehmen frei, ob sie die dafür nötigen Rückstellungen als Passivposten in die Bilanz aufnehmen oder nicht. Zu den Risiko-Verbindlichkeiten gehören außerdem Entschädigungsansprüche von Vorständen und nicht bilanzierte derivative Finanzinstrumente. Diese können sich ausTermingeschäften oder Optionsgeschäften ergeben. Und schließlich gehören dazu sogenannte latente Steuern, die durch unterschiedliche Bewertungsansätze in Handels- und Steuerbilanz entstehen können.

Unternehmen, die ihre Bilanz im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichen müssen – in erster Linie Kapitalgesellschaften wie GmbH & Co. KGs –, sind außerdem verpflichtet, im Lagebericht "die Risikomanagementziele und -methoden der Gesellschaft" zu beschreiben. Dazu gehören auch die "Methoden zur Absicherung aller wichtigen Arten von Transaktionen, die im Rahmen der Bilanzierung von Sicherungsgeschäften erfasst werden". Gemeint sind zum Beispiel Optionsgeschäfte, mit denen Unternehmen Preisschwankungen bei Rohstoffen absichern.

Ebenfalls angegeben werden müssen "die Preisänderungs-, Ausfall- und Liquiditätsrisiken sowie die Risiken aus Zahlungsstromschwankungen, denen die Gesellschaft ausgesetzt ist" – das sind alle Risiken durch Zahlungsausfälle, die zum Beispiel aufgrund zukünftiger Preis- oder Zinsschwankungen entstehen können.

Mittelständler müssen sich aufs Wesentliche konzentrieren

"Das ist gültige Gesetzeslage und wird auch von den Wirtschaftsprüfern geprüft", sagt Klaus-Peter Feld, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Düsseldorf. Von Wirtschaftsprüfern müssen sich alle bilanzierenden Unternehmen durchleuchten lassen, die eine Bilanzsumme von mehr als 4,84 Millionen Euro erreichen, mindestens 9,68 Millionen Euro Umsatz in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag erzielen oder im Jahresdurchschnitt mindestens 50 Mitarbeiter beschäftigt haben. "Trotz der eindeutig formulierten gesetzlichen Anforderungen haben gerade mal 40 Prozent der mittelständischen Unternehmen so ein Risikomanagement-System", bemängelt Hochschullehrer Scherer.

Dies ergab eine Studie seines Lehrstuhls zum Risiko-, Chancen- und Compliance-Management im Mittelstand. Danach bauen 20 Prozent ein Risikomanagement-System auf. Der Rest ignoriert das Thema, neun Prozent der Unternehmen hat auch nicht die Absicht, daran in absehbarer Zeit etwas zu ändern. Denn solche Projekte sind aufwändig. Für Mittelständler liegt die Kunst beim Risikomanagement darum darin, sich auf die wesentlichen Risiken zu konzentrieren, die die Existenz gefährden können.

Max Wohlmanstetter, Chef der HDG-Bavaria Quelle: Christoph Busse für WirtschaftsWoche

"Man darf sich nicht mit dem Kleinkram aufhalten, sondern muss Prioritäten setzen", sagt Max Wohlmannstetter von HDG Bavaria im niederbayrischen Massing. Der Geschäftsführer des Herstellers von Holzheizungen und Verbrennungsanlagen hat eine berufsbegleitende Fortbildung zum Risikomanager abgeschlossen. Jetzt spannt er den ganzen Betrieb ein, um HDG Bavaria abzusichern: "Die Mitarbeiter wissen am besten, wo die Risiken sitzen und was Abhilfe schaffen würde."

Auch Lüftungsbauer Wideburg hat nach den schlechten Erfahrungen mit seinem Großkunden Nägel mit Köpfen gemacht. Seine HaWig-Gruppe gehört inzwischen zu jenen fünf Prozent aller Mittelständler aus der Scherer-Studie, die ihr Risikomanagement-System nach DIN ISO 31 000 haben zertifizieren lassen. Die seit 2008 gültige Norm enthält Kriterien, mit deren Hilfe Unternehmen in Risikoklassen eingeordnet werden und mit denen sich die Wahrscheinlichkeit von Risiken und deren möglichen Folgen berechnen lassen. Die Norm gibt auch vor, wie Verantwortlichkeiten verteilt, Risiken beurteilt, überwacht und gesteuert werden und wie ein Risikokontrollsystem aussehen kann.

Nicht ohne Plan B

Manche Risiken kannte Wideburg, bevor er sein Unternehmen anhand der ISO-Vorgaben durchcheckte: etwa, dass die Halterungen für die Rohrleitungen seiner Lüftungsanlagen erdbebensicher sein müssen. Andere Details hat er erst jetzt auf dem Radar: So liegen für alle Führungskräfte unterschriebene Vollmachten für die jeweiligen Vertreter parat. Alle Ersatzkräfte sind eingearbeitet und wissen über die laufenden Projekte Bescheid, damit sie reibungslos übernehmen können.

Für den Fall, dass ein Zulieferer ausfällt, hat Wideburg Optionsverträge mit anderen Anbietern geschlossen: "Auf die können wir notfalls kurzfristig zugreifen." Auch bei der Liquiditätsvorsorge hat der HaWig-Inhaber einen Plan B. Falls die Eigenmittel knapp werden sollten, kann Wideburg auf die Blanko-Zusage einer Bank zurückgreifen: "Doppelt hält besser."

Zur Sicherheit breit aufgestellt

Sein Risikomanagement deckt nun die gesamte Lieferkette ab: Wideburgs Mitarbeiter checken regelmäßig alle Zulieferer, ob sie auf Ausfälle bei Personal, Finanzen, IT oder Materialfluss vorbereitet sind. Seine strategischen Risiken – etwa durch einen vorzeitigen Ausstieg aus der Atomenergie – federt er mit mehr Diversifizierung ab: HaWig liefert nicht nur Lüftungsanlagen für Atommeiler. Auch für Wind- und Wasserkraft-, Kohle- und Gaskraftwerke hat er Zulieferprodukte im Sortiment.

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