Riskante Expansion Billigriese Netto lehrt die Discounter das Fürchten

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Netto-Filiale in Bayern Quelle: Martin Hangen für WirtschaftsWoche

Das dürfte auch daran liegen, dass Netto mit 3500 unterschiedlichen Artikeln das größte Sortiment aller Discounter bietet. Selbst Bier in Mehrwegflaschen und regionale Produkte finden sich in den Regalen. In den aufgeräumten Großfilialen am Stadtrand oder auf dem platten Land besitzt ein solches Konzept durchaus Charme. Die Kunden finden alles, was sie brauchen, ohne anschließend noch zum Supermarkt fahren zu müssen. Selbst Schmelzfett, Mehl in der Großpackung und halbe Schweine am Schlachttag gehörten bis vor ein paar Jahren zu den Standards in der wöchentlichen Werbung.

Doch spätestens mit der Übernahme von Plus änderte sich die Stimmung in den Netto-Läden. Die zahlreichen dazu gekommenen wuseligen Einkaufsbunker in den Innenstädten ließen die Sortimentsvielfalt an bauliche Grenzen stoßen. Zugestellte Gänge und kreischend rote Aktionsschilder machen kleine Filialen zu einem wahren Einkaufslabyrinth. Viele Kunden sind verwirrt: Die Öffnungszeiten der Märkte unterscheiden sich mitunter von einer Straßenkreuzung zur anderen. Zudem macht sich im Norden und Osten neben dem Netto mit rot-gelbem Schriftzug eine Netto-Ladenkette mit schwarzem Hund im Logo breit. Die zurzeit rund 300 Filialen des gleichnamigen Konkurrenten gehören mehrheitlich dem dänischen Reederei-Konzern Moeller-Maersk.

Der Rotstift regiert

In den Geschäften selbst regiert trotz der Umbauarbeiten rigoros der Rotstift, berichten Mitarbeiter. In einigen Filiallagern soll etwa jede zweite Lampe abgeschaltet worden sein, um die Energiekosten zu drosseln. Vergilbte Pausenräume aus der Plus-Ära wurden vielfach nicht renoviert. Knausrig zeigte sich das Unternehmen auch bei der Arbeitskleidung: Pro Person seien gerade mal zwei leuchtend rote Netto-T-Shirts verteilt worden, klagt ein Kassierer aus dem Rheinland. Und das, obwohl die Zentrale doch immer so stolz auf ihre Frischekompetenz sei. Netto selbst begründet das Sparen an den Pausenräumen mit "Engpässen in den Umbaukapazitäten"; das Tragen von Netto-Shirts sei den Beschäftigten freigestellt. Ist das Gratis-Kontingent erschöpft, dürfen die Mitarbeiter "jederzei"“ weitere Shirts erwerben – "zu einem äußerst günstigen Preis".

Mit solch kleinlichem Gehabe sehen sich nicht nur Minijobber an der Kasse konfrontiert. Der rigide Kurs zieht sich durch das Unternehmen. So klingen die Klagen von Verkäuferinnen kaum anders als Beschwerden aus den Reihen der rund 600 Verkaufsleiter (VL) und 60 Gebietsverkaufsleiter (GVL), die in der Netto-Hierarchie über den Marktleitern stehen: Das Pensum sei kaum zu schaffen, die Gehälter unterdurchschnittlich und die Wertschätzung gering. Mal werde "gebrüllt wie im Zoo", mal würden Mitarbeitern Verzichtserklärungen für Überstunden vorgelegt, die sie dann – freiwillig versteht sich – unterschreiben dürfen. Vor allem frühere Plus-Kräfte, die aus alten Zeiten oft höher dotierte Verträge haben, fühlen sich unter Druck gesetzt.

Personalführung à la Kasernenhof? Online-Foren sind voll mit solchen Vorwürfen. Unternehmenschef Pröls verweist zwar darauf, dass es klare Überstundenregelungen gebe und in anonymen Foren, "vieles schnell mal geschrieben" werde. Doch so einfach kann Pröls es sich nicht machen. Die Arbeitsbedingungen rufen bereits die Gewerkschaft Verdi auf den Plan. "Es gibt immer wieder Beschwerden über Mitarbeiterdrill, unbezahlte Überstunden und falsche Bezahlung", sagt Ulrich Dalibor, Bundesfachgruppenleiter Einzelhandel bei Verdi. „Wir werden uns jetzt offensiver mit Netto befassen“, kündigt der Verdi-Funktionär an.

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