Riskante Expansion Billigriese Netto lehrt die Discounter das Fürchten

Seite 6/6

Konkurrent Netto-Nord Quelle: Laif

Für Schels ist das ein lukratives Geschäft: Netto unterschreibt in der Regel Mietverträge mit 15 Jahren Laufzeit, Ratisbona sucht das Grundstück, baut den Markt und verkauft die Immobilie anschließend mit Aufschlag an private Investoren weiter.

Zwar sorgt die Nähe zur Ratisbona selbst unter Mitarbeitern der Netto-Expansionsabteilung für Irritationen. Die Konstruktion genießt jedoch den offiziellen Segen, da Edeka an Ratisbona mit zehn Prozent beteiligt ist. Weitere Anteile hält der Kaufmann Erwin Gradl, der Rest gehört Schels und seiner Familie. Existenzsorgen brauchen sie sich nicht zu machen: Ein Ende der Expansion von Netto ist nicht in Sicht.

Per saldo sollen jedes Jahr rund 200 neue Läden dazukommen. Geht es in dem Tempo weiter, könnte Netto bei der Filialzahl bis 2012 selbst Discountprimus Aldi hinter sich lassen, 2015 wären es sogar mehr als 5000 Märkte.

Pikante Mission

Branchenkenner sehen die Pläne skeptisch. "Ob sich das jemals lohnt, steht in den Sternen", sagt ThomasRoeb, Handelsexperte der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Im Schnitt kann schon heute jeder deutsche Haushalt innerhalb von zehn Minuten drei verschiedene Discounter per Auto erreichen. Bei Aldi läuft die Expansion im Heimatmarkt daher schon "seit Jahren auf Sparflamme", hat Roeb beobachtet. Sein Wachstumsheil sucht der Kultdiscounter im Ausland und hat sich zur Finanzierung gerade erst von umfangreichem Immobilienbesitz in Deutschland getrennt.

In der Edeka-Kaufmannschaft wächst auch vor diesem Hintergrund die Skepsis gegenüber Netto. Die Plus-Übernahme war ohnehin von Anfang an umstritten. Teile der 4500 selbstständigen Edeka-Kaufleute ärgert, dass sie für den Aufbau eines Rivalen sogar indirekt zur Kasse gebeten werden. Die mächtigen Edeka-Regionalgesellschaften müssen in den kommenden fünf Jahren auf Gewinnausschüttungen in Höhe von insgesamt 600 Millionen Euro verzichten, um per Kapitalerhöhung die Bilanz der Edeka-Zentrale in Hamburg zu entlasten. Deren magere Eigenkapitalquote von 14,6 Prozent schreckte bereits Banken auf. Die Plus-Akquisition ist auch ein finanzieller Kraftakt.

Einen hohen dreistelligen Millionenbetrag soll der damalige Edeka-Chef Alfons Frenk bezahlt haben, um den Mitbewerber Rewe im Bietergefecht um Plus auszustechen. Ein stolzer Preis, zumal Tengelmann mit 15 Prozent an dem neuen Schwergewicht Netto beteiligt wurde. Hinzu kommen immense Umbau- und Logistikkosten. Allein die Umstellung der Filialen schlug mit knapp 300 Millionen Euro zu Buche. Ob und wann die gemeinsamen Einkaufsvorteile von Edeka und Netto und die Discountgewinne die Investitionen aufwiegen, ist offen.

Schon wächst in der Kaufmannsgilde die Sorge, dass sich der Edeka-Vorstand zu stark auf Netto konzentriert. Im Vorstand kümmert sich Edeka-Primus Mosa um den Discounter und pendelt regelmäßig nach Ponholz, um Pröls und seine Mannschaft auf Trab zu halten. Eine pikante Mission: Vor zehn Jahren durfte Mosa noch als einfacher Controller bei Netto das Zahlenwerk beaufsichtigen. In rekordverdächtiger Geschwindigkeit stieg Mosa in die Netto-Chefetage auf, wechselte im April 2007 in den Edeka-Vorstand nach Hamburg und beerbte ein Jahr später Frenk als Vorstandschef.

Auf alte Loyalitäten kann Pröls dennoch nur begrenzt vertrauen. Falls Netto floppt oder auch nur schwächelt, muss Mosa schleunigst reagieren, will er nicht selbst seinen Job riskieren. Intern wird längst über mögliche Thronfolger für den 60-jährigen Pröls spekuliert. Als Favorit gilt Insidern Stefan Rohrer. Der Manager sei nur für eine Übergangszeit als Geschäftsführer in der Edeka-Region Nordbayern geparkt worden, heißt es.

Die Personalie wäre nicht frei von Ironie: Rohrer arbeitete jahrelang für Lidl – zuletzt als Vertriebsvorstand und galt schon dort als aggressiver Reformer. Vielleicht wäre er der richtige Mann, um das System Netto aufzubrechen.

Womöglich könnte der Discounter dann sogar die Plakatgestaltung in den Filialen wieder ändern: frisches Obst und saftiger Wacholderschinken statt bärtiger Räuber.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%