Rohstoffpreise Die Verantwortung der Spekulanten für teures Öl und Hunger in der Welt

Verzerren Spekulanten, Hedgefonds, Pensionskassen und Privatanleger die Rohstoffpreise, sind sie verantwortlich für Hunger in der Welt und teures Öl? Die nüchterne Analyse eines emotionsbehafteten Vorwurfs.

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Händler an der Chicago Quelle: REUTERS

Die Nachricht hatte das Zeug, den Deutschen die gute Stimmung zu EM-Beginn zu vermiesen. Gerade hatte Lukas Podolski die Nationalmannschaft gegen Polen mit 1:0 in Führung geschossen, da verlas Moderator Klaus Kleber im Heute Journal in der Halbzeitpause die Hiobsbotschaft: Um 40 Prozent, zitierte er Umwelt-Staatssekretär Michael Müller, sollen die Gaspreise bis zum Herbst steigen. Auslöser seien die Koppelung von Gas an den Ölpreis und „spekulative Gewinne“.

Und wieder schlich er sich in die Gedanken von Millionen ein: Sind die bösen Spekulanten, das weltweit an den Börsen vagabundierende Kapital, Schuld daran, dass die Gasheizung teurer wird, für eine Tankfüllung locker ein Hunderter draufgeht, und – weit weg, aber unendlich schlimmer noch – Arme in der Dritten Welt hungern müssen?

Oder sind Spekulanten die Sündenböcke, die von einer über Jahrzehnte verfehlten Energie- und Agrarpolitik und einer inflationstreibenden Geldpolitik ablenken sollen? Und überhaupt: Sind Rohstoffe tatsächlich unerschwinglich teuer geworden?

Dies vorweg: Absolut sind Rohstoffe teurer geworden, inflationsbereinigt nicht. Rechnet man die Kaufkraftverluste der Handelswährung Dollar herein, dann kosten von den wichtigsten an Börsen gehandelten Rohstoffen nur Heiz- und Rohöl mehr als zu ihren Preishochs in den Siebziger- und Achtzigerjahren (siehe Tabelle Seite 128). Das kann man beruhigend finden – oder beängstigend: „Investoren kaufen ja gerade deshalb Agrargüter, um sich gegen die galoppierende Inflation abzusichern; das heißt im Umkehrschluss, dass die Weizenpreise, gemessen am heutigen Dollar, noch viel, viel teurer werden müssten“, sagt Jim Rogers, einer der bekanntesten Rohstoff-Experten, „der Boom der Rohstoffe steht noch am Anfang.“

Schöne Aussichten – als ob der Preissteigerungen noch nicht genug gewesen wären: Energie- und Agrarrohstoffe erleben derzeit eine beispiellose Rally. Das Fass Öl (159 Liter) der in Europa gebräuchlichen Sorte Brent kostet aktuell 132 Dollar; noch 2005 war es für weniger als 50 Dollar zu haben. Superbenzin wurde seit Anfang 2005 um 33 Prozent teurer, Diesel sogar um fast 40 Prozent. Weizen verteuerte sich 2007 um 90 Prozent, in Asien hat sich der Reispreis binnen Jahresfrist verdreifacht. „In vielen Ländern Asiens und Afrikas, wo die Menschen im Schnitt nicht 13 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aufwenden wie bei uns, sondern drei Viertel, drohen katastrophale Hungersnöte“, warnt Stefan Tangermann, Professor für Agrarökonomie und Direktor bei der OECD für Handel und Landwirtschaft.

Gigantische Zuflüsse. Nicht wegzudiskutieren ist, dass immer mehr Geld in Rohstoffen angelegt wird. Sie sind eine Alternative zu durch jahrelange Niedrigzinspolitik der Notenbanken gedrückte Anleiherenditen und zu den seit Ausbruch der Finanzkrise taumelnden Börsen.

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Die Zahlen sind auf den ersten Blick beeindruckend. Die sogenannten Non-Commercials, also jene Marktteilnehmer, welche Rohstoffe weder herstellen noch verbrauchen – vulgo: Spekulanten –, hatten Anfang 2004 weltweit 15 Milliarden Dollar in Rohstoffe investiert; schon 2008 werden es rund 300 Milliarden sein, ein Plus von 1900 Prozent. Viel mehr noch läuft außerhalb der Börse: Von Ende 2001 bis Ende 2007 stieg der Nominalwert allein der außerbörslichen Rohstoff-Derivate, der sogenannte Open Interest, um 500 Prozent auf 9000 Milliarden Dollar.

Die Zahlen der Börsen stellen die reale Welt längst in den Schatten: Von den Ölsorten, die zur Lieferung als WTI an die New Yorker Ölbörse Nymex zugelassen sind, werden täglich etwa 400.000 Barrel gefördert. Das tägliche Handelsvolumen von WTI-Ölkontrakten liegt aber bei umgerechnet 500 bis 600 Millionen Barrel. Auch hier dürften die außerbörslichen Umsätze noch weitaus höher sein.

Auch Privatanleger sind dabei: Seit 2005 sind Rohstoff-Zertifikate der Renner schlechthin. Im Vergleich zu den Großanlegern spielen Private allerdings kaum eine Rolle: Zwar haben deutsche Anleger 130 Milliarden Euro in Zertifikate investiert. Nur zwei Milliarden davon stecken jedoch in der Klasse „Währungen/Rohstoffe“.

Wie das Geschäft funktioniert. Spekulanten, egal ob milliardenschwere Pensionsfonds oder private Anleger mit ihren Weizenzertifikaten, investieren in Futures. Das sind standardisierte Verträge, die regeln, zu welchem Zeitpunkt, zu welchem Preis, in welcher Menge und Qualität Öl, Kupfer oder Weizen geliefert oder abgenommen werden müssen. In der Regel erfolgt am vereinbarten Termin keine echte Lieferung, sondern die Akteure zahlen oder erhalten einen Ausgleich in bar. „Weniger als zwei Prozent der Käufer von Futures auf Agrargüter nehmen jemals eine Lieferung der Lebensmittel entgegen“, erklärt Mary Haffenberg von der Chicagoer Terminbörse CBoT.

Futures sind attraktiv für Spekulanten, weil über sie mit kleinen Einsätzen hohe Summen und letztlich auch große Mengen Rohstoffe gehandelt werden können. Ein Privatanleger, der 5000 Euro in Mais-Zertifikate steckt, investiert damit in Futures, die das Recht auf Lieferung von 30 Tonnen Mais verbriefen. Bei Großanlegern funktioniert das genauso. Aktiv an den US-Börsen sind, neben Kleinspekulanten, die ihre Positionen nicht melden müssen, zwei Gruppen: Commercials und Großspekulanten (Non-Commercials). Commercials wollen in der Regel nicht zocken, sondern sichern ihre echten Lieferungen gegen zukünftige Preisschwankungen ab. Entscheidender sind die Positionen der Großspekulanten. Diese Gruppe wird von Hedgefonds dominiert. Sind von ihnen mehr auf der Käufer- als auf der Verkäuferseite, dann sind ihre Netto-Kaufpositionen größer als null – ein Indiz für eine steigende spekulative Nachfrage.

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Das Rohstoff-Business ist ein Megageschäft. Standard & Poor’s oder Dow Jones bauen Indizes und nehmen Lizenzgebühren, wenn Finanzdienstleister Indizes als Schablone für ihre Zertifikate nutzen. Die Börsen kassieren an jeder Handelstransaktion Gebühren, die Fonds Erfolgshonorare. Banken geben Kredite, mit denen Spekulanten ihren Einsatz vervielfachen.

Mittendrin sitzen Investmentbanken, wie Goldman Sachs, wie Spinnen im Netz; sie zapfen den Geldfluss auf mehreren Ebenen an. Goldman baut nicht nur einen der bedeutendsten Rohstoffindizes, den GSCI, und tritt an den Märkten als Händler auf, die Bank veröffentlicht zudem regelmäßig Studien zu Rohstoffen, wie zuletzt die 200-Dollar-Prognose für Öl (WirtschaftsWoche 24/2008).

Auf der anderen Seite stehen die Konsumenten – Autofahrer, Brotkäufer – auf der ganzen Welt, die immer tiefer in die Tasche greifen müssen. In Deutschland stiegen die Großhandelspreise in den vergangenen zwölf Monaten um 8,1 Prozent – der steilste Anstieg seit 26 Jahren.

Entkräftet wird der Vorwurf, die Rohstoffpreise würden über die Terminmärkte manipuliert, vor allem dadurch, dass die Preise auch anderswo steigen. „Auch Kobalt, Eisenerz, Rhodium, Magnesium, Kokskohle oder Kali haben sich zuletzt dramatisch verteuert, obwohl es für sie keinen Börsenhandel gibt“, sagt Eugen Weinberg, Leiter des Rohstoffresearchs bei der Commerzbank in Frankfurt. „Diese Preissprünge gehen auf knappes Angebot und hohe Nachfrage zurück.“ Eisenerz etwa hat sich seit 2001 mehr als vervierfacht.

Umsatzzahlen und Summen, die in die Börsen hineinfließen, sind allein nicht aussagekräftig. Offenen Kaufpositionen stehen immer genauso viel Verkaufspositionen gegenüber. Entscheidend sind die Positionen der spekulativen Marktteilnehmer.

Beispiel Weizen: An der CBoT in Chicago, der wichtigsten Börse für den Terminhandel von Weizen, stieg der Preis des nächstfälligen Weizenfutures im März 2008 in der Spitze auf 1290 US-Cent pro Bushel (27,216 Kilogramm) – eine Verdreifachung gegenüber Anfang 2006.

Ein Weizenkontrakt bezieht sich auf 5000 Bushel, also etwa 136 Tonnen Weizen. Bis Ende März 2008 hatten sich Spekulanten mit gut 30.000 Kontrakten auf der Käuferseite positioniert, hielten also Lieferansprüche auf gut vier Millionen Tonnen Weizen im Wert von rund zwei Milliarden Dollar. Die Menge entsprach rund 0,7 Prozent des weltweiten Weizenverbrauchs. Das hat den Weizenpreis sicherlich befeuert.

oelspekulation

Aber: Die spekulative Nachfrage lag noch unterhalb der Spitze vom April 2004. Damals hielten Spekulanten sogar netto 40.000 Kaufkontrakte, während der Weizen-Future bei knapp 400 US-Cent pro Bushel notierte. Trotz des damals höheren spekulativen Interesses bewegte sich der Weizenpreis damals nicht. Warum aber zog der Weizenpreis dieses Jahr bis Mitte März so fulminant an? Ganz einfach: In der Erntesaison 2007/08 fielen die weltweiten Lagerbestände nach Angaben des International Grains Council (IGC) auf 112 Millionen Tonnen – den tiefsten Stand seit 30 Jahren.

Schon seit 2003/04 summierte sich das Defizit zwischen Produktion und Verbrauch am Weizenmarkt auf 56 Millionen Tonnen. Die Lager wurden geräumt. Dass der Weizenpreis nach oben schoss, hatte somit einen ganz realen Hintergrund. Für Entspannung sorgte dann die Prognose einer Rekordernte für 2008/09. Weil Weizenanbauflächen ausgeweitet wurden, die Aussaat in den meisten Regionen reibungslos klappte und das Wetter mitspielte, prognostiziert das IGC einen Anstieg der Weizenernte um fast zehn Prozent auf 650 Millionen Tonnen. Folge: Der künftige Preis (Terminpreis) für Weizen sackte seit seinem Rekord Mitte März wieder um 40 Prozent ab.

Das zeigt: Spekulanten sind weder Regenmacher noch sind sie für Dürren verantwortlich. Auch sie sind fundamentalen Faktoren ausgeliefert.

Wie beim Weizen haben Spekulanten auch beim Öl ihre Netto-Kaufpositionen in den letzten Wochen deutlich abgebaut – und können kaum als Verursacher einer spekulativen Blase herhalten. An der New Yorker Ölbörse Nymex verringerten die als spekulativ eingestuften Händler ihre Netto-Kaufpositionen auf Rohöl der Sorte WTI seit März von über 100.000 auf weniger als 20.000 Kontrakte.

rohstoffderivate

Der Ölpreis dagegen stieg in diesem Zeitraum weiter – von 110 auf zuletzt fast 139 US-Dollar je Fass. „Man muss bei der Frage nach dem Einfluss der Spekulanten auf die echten Rohstoffpreise zwischen der kurzfristigen und der langfristigen Betrachtung unterscheiden“, sagt OECD-Direktor Tangermann. Kurzfristig sei die Antwort auch beim Öl, „eindeutig ja. Aber wir können den Einfluss nicht quantifizieren. Wer sagt, von 130 Dollar beim Ölpreis gingen 30, 40 oder 50 Dollar auf das Konto der Spekulanten, der redet Unsinn“.

Die neuen Spieler. Spekulanten gab es schon immer – bereits im 16. Jahrhundert etwa wurde in Japan Reis auf Termin gehandelt. Ganz neu und in ihrer Wirkung noch eine große Unbekannte auf den Rohstoffmärkten sind große Pensionsfonds und andere Langfrist-Anleger. Ihnen geht es weniger darum, die Preise hochzutreiben. „Wir investieren in den Rohstoffmarkt mit langfristigen Perspektiven, um unser Portfolio zu diversifizieren“, sagt Clark McKinley, Sprecher der kalifornischen Pensionskasse Calpers. Die hat gut eine Milliarde von ihrem Gesamtvermögen von knapp 250 Milliarden Dollar in Rohstoffe angelegt. Calpers & Co. steckten Geld vor allem in passive Investments, die auf den großen Rohstoff-Indizes etwa von S&P GSCI und Dow Jones-AIG Indizes basieren, erklärt Weinberg von der Commerzbank. Dank der jüngsten Zuflüsse seien die Volumina der an Indizes orientierten Rohstoff-Investments auf über 250 Milliarden Dollar angewachsen. 2001 seien es gerade mal fünf Milliarden Dollar gewesen.

Aus dem angelegten Geld entstehen Zahlungsverpflichtungen. Die Anbieter sichern sie ab, indem sie auch Kaufpositionen an den Rohstoff-Terminbörsen eingehen. Weil sie nicht spekulieren, sondern nur absichern, werden sie dort aber nicht als Spekulanten gezählt, auch wenn ihre Nachfrage kurzfristig die Preise treibt. So gehen aktuell gut 43 Prozent aller Kaufpositionen auf Weizen an der CBoT auf das Konto von Indexinvestoren. Doch möglicherweise löst sich das Problem bald von selbst – denn Banken beginnen, Indizes zu bauen, die bei fallenden Rohstoffpreisen steigen. Dann müssten sie die Anlagegelder über Verkaufspositionen an den Terminmärkten absichern. Im Fall von Weizen halten Indexinvestoren aktuell aber erst einen Anteil von 5,9 Prozent an allen ausstehenden Verkaufspositionen.

Macht sich das Geld der Spekulanten auch langfristig in den ohnehin schon steigenden Preisen bemerkbar? Maßgeblich hierfür wäre ein Einfluss der Future-Preise auf den tatsächlichen Geldwert des Kilos Weizen, das der Bauer dem Müller verkauft (Spotpreis). Losgelöst von den Futures kann der Spotpreis nicht sein: „Man muss sich nur die kurzfristigen Futures und die Spotpreise etwa für Weizen anschauen“, sagt ein großer Hamburger Agrarhändler, „auch der Spotpreis zieht mit; kein Händler kann sich auf die Dauer leisten, erheblich tiefere Preise als die zeitnahen Futures rauszuhängen, sonst fischen andere Differenzgewinne ab.“

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Über einen längeren Zeitraum besteht aber kein Zusammenhang, so eine Studie des der Parteinahme unverdächtigen Internationalen Währungsfonds über die Auswirkungen der Spekulation auf die Spot-Preise von Rohöl, Kupfer, Baumwolle, Zucker und Kaffee: „Wir konnten allenfalls temporäre Zusammenhänge zwischen den beiden Größen bei Öl und Kaffee feststellen“, sagt Sergei Antoshin, einer der Autoren der Studie, „auf lange Sicht kann man keinen Zusammenhang mehr nachweisen.“ Beim Kupfer etwa stieg der Spot-Preis 2006 eklatant an, während die Wetten auf steigende Preise netto einbrachen.

Selbst die Vereinten Nationen (UN) sind vorsichtig: „Die dramatische Zunahme des Handels auf den Future-Märkten und das Hedgen in Agrarprodukten haben zu einem Anstieg der Preisvolatilität geführt“, sagt Josette Sheeran, Direktorin beim World Food Program der UN. Für das hohe Preisniveau macht sie allerdings andere Faktoren verantwortlich: den Boom in Ländern wie China, Indien, Brasilien und Russland, wo die Bevölkerung ihre Ernährungsgewohnheiten ändere, den Ölpreis, der unmittelbar auf die Produktion von Nahrungsmitteln durchschlage, und Wetterkatastrophen. „Ursachen für steigende Preise sind immer fundamental“, bestätigt OECD-Experte Tangermann, „erst dann kommen die Spekulanten und verstärken die Preisausschläge innerhalb des langfristigen Trends – nach oben und nach unten. Die Richtung des langfristigen Trends bestimmen sie aber nicht.“

Und es gibt eine Menge Argumente dafür, warum die Preise der Agrarrohstoffe über die nächsten Jahre weiter steigen werden. Geschätzte 8,3 Milliarden Menschen werden 2030 die Welt bevölkern. Mit dem wachsenden Fleischkonsum in den Schwellenländern steigt der Bedarf an Weidegrund, was tendenziell zulasten von Ackerland geht.

Erschwerend hinzu kommt Wassermangel. Schon heute wäre ohne künstliche Bewässerung auf etwa einem Sechstel der weltweiten Anbaufläche keine Landwirtschaft mehr möglich. Klimaforscher aber sagen eine Zunahme von Dürreperioden, Überschwemmungen und Naturkatastrophen voraus. Allein wegen dieser Gefahren werden die Preise vieler Agrargüter nicht ins Bodenlose fallen. Ähnliches gilt für den Ölpreis. Der Hegdefonds-Manager T. Boone Pickens hält Untersuchungen über den Einfluss von Spekulanten auf den Preis für Zeitverschwendung. Für ihn steht fest: „Solange weniger Öl am Tag produziert als verbraucht wird, steigt der Preis.“

getreideversorgung

Auch wenn es für dieses Jahr für den Verbrauch inzwischen eine Entwarnung gibt – Beobachter schätzen einen nur noch geringen Anstieg von 0,9 Prozent auf 86,8 Millionen Barrel, reicht es für eine Beruhigung an der Preisfront bisher nicht. „Dies zeigt klar, dass der Anstieg angebotsgetrieben war“, sagt Jochen Hitzfeld, Rohstoffanalyst von Unicredit. Verknappend wirken Förderrückgänge in Mexiko und der Nordsee sowie eine Stagnation in Russland.

Signale, dass die Weltölförderung auf ihrem Höhepunkt ist, in den kommenden Jahren einbricht und damit den Preis weiter treiben wird, gibt es reichlich. So rechnet die Internationale Energie Agentur (IEA) mit einem steilen Rückgang der Ölförderung zwischen 3,7 und 4,2 Prozent pro Jahr. „Wir sollten das Öl verlassen, bevor es uns verlässt“, warnt IEA-Chefökonom Fatih Birol.

Eine Wette auf einen kurzfristig weiter steigenden Ölpreis wäre jedoch riskant. Wenn nach der US-Wirtschaft auch die asiatische Konjunktur kippen sollte, könnte die Nachfrage sogar einbrechen. „Auf Sicht von sechs bis zwölf Monaten halten wir einen Ölpreis-Rückgang auf 80 Dollar für möglich“, sagt Markus Mezger von der auf Rohstoffe spezialisierten Investmentgesellschaft Tiberius Assett Management.

Eng könnte es künftig für Spekulanten werden, die möglicherweise manipulativ ihren Wetten stützen. Vor einem Monat startete die Federal Trade Commission, eine US-Regierungsbehörde, eine Untersuchung über Marktmanipulationen im Ölhandel. „Unsere Analyse zeigt, dass dort ein starker Zusammenhang zwischen Problemen auf den physischen Märkten und auf den Finanzmärkten besteht, die eine schlimme Preisspirale auslösen“, sagte Mark Cooper vom US-Verbraucherverband vor einem Ausschuss in Washington.

Senator Byron Dorgan aus North Dakota beschuldigte die Investmentbanken, sie „stecken bis zum Hals in den Future-Märkten“, würden sogar Öl-Lagerkapazitäten aufkaufen und „zum ersten Mal Rohöl absichtlich vom Markt weghalten, um so die Preise zu beeinflussen“. Gerüchte über Tanker, die angeblich auf den Ozeanen ihre Geschwindigkeit drosseln sollen, über falsche Informationen zu Lagerbeständen und über angebliche Absprachen von Hedge-fonds, lösen bei US-Politikern großes Unbehagen aus. Deutsche Amtsträger wie Umweltminister Sigmar Gabriel („Diese Spekulanten verdienen wirklich den Titel Heuschrecke“) schelten umso unbeschwerter, weil der Terminhandel sowieso in den USA stattfindet.

Markt für Rohstoffe wird immer tückischer

Könnten eine strengere Regulierung oder gar ein Verbot des Terminhandels wirklich billigere Rohstoffpreise bringen?

Der Blick in die Geschichte stimmt skeptisch: Im 19. Jahrhundert, als die Getreidebörse in Berlin größer als die Wertpapierbörse war, verkauften dort Großgrundbesitzer ihre Ernte auf Termin. 1894 stellte die Reichsregierung fest, dass im Getreidehandel auf ein „echtes“ Termingeschäft „20 speculativer Natur“ kämen. Schnell häuften sich Meldungen, wonach „Speculanten“ vor allem auf fallende Weizenpreise wetteten. Die ostelbischen Großgrundbesitzer tobten. 1896 wurde der Terminhandel mit Getreide ganz verboten.

Die Folgen waren katastrophal: Bauern und Verarbeiter konnten sich nicht mehr gegen natürliche Ernte-Schwankungen absichern; viele gingen pleite, Garantiepreise und Zölle auf ausländische Importe setzten sich durch. Der Boden für die teure Subventionierung der europäischen Landwirtschaft wurde damals bereitet.

Für private Anleger können Rohstoff-Investments ein lohnendes Geschäft sein, Gewinne daraus können den Ärger über hohe Sprit- und Brötchenpreise mildern. Ein von der WirtschaftsWoche 2003 empfohlenes Zertifikat auf den Rohstoffindex GSCI, der zu 60 Prozent in Rohöl investiert und alle wichtigen Agrarrohstoffe enthält, liegt derzeit über 300 Prozent im Plus. Auch Öl- und Agraraktien-Empfehlungen wie Petrobras, Bunge oder K+S haben ihren Wert vervielfacht.

Allerdings zeigen die drastischen Korrekturen beim Weizenpreis, dass der Markt für Rohstoffe immer tückischer wird. Für private Anleger kein guter Zeitpunkt, um jetzt noch auf den rasenden Zug zu springen. Die Experten von Tiberius halten beim GSCI Verluste bis zu 50 Prozent für möglich. Womöglich bieten sich sogar schon Wetten auf fallende Märkte an. Politisch korrekter wären die allemal: Beschwerden aus der Politik, dass Preise spekulativ nach unten getrieben werden, sind zurzeit kaum zu erwarten.

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