Rotel Tours Nie mehr oder immer wieder

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Gegründet hat Rotel sein Vater ein halbes Jahr nach Kriegsende als Linienbusbetrieb. 1946 unternahm Höltl senior die erste Pilgerfahrt nach Altötting, 1951 – inzwischen mit einem neuen Mercedes-Modell – die erste Auslandsreise in die Schweiz. Pilgerfahrten nach Rom, Assisi, Fatima und Lourdes wurden Höltls erstes großes Geschäftsfeld. Die Gäste schliefen damals noch im Zelt. 1958 aber schwemmte ein sintflutartiger Regen eine Gruppe Wallfahrer in Nizza vom Campingplatz. Das brachte Höltl auf die Idee mit den Schlafkabinen. Rollendes Hotel – kurz: Rotel – nannte er die Erfindung, für die er das Patent 1223705 des Deutschen Patentamts erhielt. Mit diesem Gefährt steuerte Höltl 1959 die erste Reisegruppe, fromme Leute der katholischen Pax-Christi-Bewegung, persönlich von Passau nach Jerusalem und zurück. 1962 brachte der Pionier 39 Touristen von Passau über Persien und Afghanistan bis Indien. Inklusive Rückweg 36.000 Kilometer in 81 Tagen. 1969 folgte eine Rotel-Höllenfahrt von Accra nach Tunis – die erste Saharadurchquerung per Bus. Nach dem 11. September 2001 knickten die Geschäfte zwar ein. Aber in seiner Nische kann Rotel gut überleben. Der Trend, sagt Höltl junior, geht heute „zu kleineren Gruppen“ – ab zwölf Personen kann er Reisen Gewinn bringend durchführen – und „zu mehr Komfort“. Komfort? Höltl, 46, meint damit „bequemere Sitze“ in den Bussen, schmackhafteres Essen. Und Ziele, die Studiosus oder Dr. Tigges nicht bieten. Die „Große Saharadurchquerung“ – im aktuellen Katalog Reise Nummer 37 – dauert 23 Tage und ist 2006 fünfmal angesetzt. Die Busfahrt „Auf dem Landweg nach Indien“ – Nummer 78 – von München bis Neu-Delhi geht über 40 Tage. Kleinere Pannen sind für Rotel-Fans wie das Salz in der Suppe. Bei Petra Beckers* bisher letzter Reise im Herbst 2005 – es war ihre 19. – „landeten wir in Chile zweimal im Straßengraben“, erzählt sie munter. Auf einem ihrer Fotos gibt ein Chilene mit blauem Traktor dem Rotel-Bus Starthilfe. Die Tour ging von Santiago bis Patagonien, 4500 Kilometer, 24 Tage lang. Ganz oben in den Anden hat die Rotel-Expedition übernachtet, und als Petra Becker* morgens die Gardine beiseite schob, schaute sie direkt auf einen Gletschersee in der Morgensonne: „Traumhaft.“ Das Foto davon ist gerade nicht zu finden in den 20 Fototaschen mit den Erinnerungen aus Südamerika. Im Wohnzimmer erinnert ein hölzernes Relief an eine Reise nach Indonesien, im Gästezimmer sind die Wände dekoriert mit Waffen aus Nordafrika, im Schlafzimmer hängen Lederbilder aus Malaysia. Das Zuhause, so scheint es, ist für Rotel-Kunden der Ort zwischen der jüngsten und der nächsten Reise. 94 Busse hat Höltl heute in seinen Ziel-Ländern stationiert, 15 davon allein in den USA. 100 Fahrer, 100 Reiseleiter und 44 Leute in der Tittlinger Verwaltung arbeiten für Rotel Tours. Der Chef und seine Reiseleiter suchen ständig nach neuen Zielen und Routen. So kam auch Reise 95 c ins aktuelle Programm: ein Fitzcarraldo-Trip zur brasilianischen Regenwald-Metropole Manaus – über Guyana, Surinam und Französisch-Guyana. Amazonas, Dschungel, Besuche bei Indianerstämmen und am Weltraumbahnhof Kourou – exotischer geht’s nicht. Petra Becker* packt im Geiste schon wieder die Koffer. Mitte Juli wird die Düsseldorferin ihre 60-Quadratmeter-Wohnung wieder für sieben Wochen verlassen. Die „Große USA-Reise“ steht an, inklusive Kanada und Alaska. Nummer 89 im Katalog 2006, Beckers* 20. Rotel-Urlaub. Von den Niagara-Fällen Richtung Norden durch die Rocky Mountains bis Anchorage, dann Richtung Süden entlang der Pazifikküste bis San Francisco. 18.000 Kilometer per Bus, abgesehen von einer Schiffspassage von Skagway nach Prince Rupert. Für 4400 Euro. Ohne extra Ausflüge. Die kosten noch einmal 1600 Euro. Becker* hat dafür einen Sparvertrag aufgelöst.* Name von der Redaktion geändert.

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