Rüstungsindustrie Gewagte Strategie: Daimler und Lufthansa wollen in Russland einsteigen

Daimler und Lufthansa wollen mit dem staatlichen russischen Rüstungskonglomerat Rostechnologij kooperieren – eine gewagte Strategie.

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Wladimir Putin: Der Staat ist Quelle: dpa

Eigentlich sollte Wladimir Putin das Dekret zur Schaffung des neuen Staatskonzerns Rostechnologij noch selbst unterzeichnen. Doch dann erfüllte ihm sein Zögling und Nachfolger im Präsidentenamt, Dmitrij Medwedew, den Wunsch – und schusterte Rostechnologij, zu Deutsch: Russische Technologien, insgesamt 426 Firmen aus Staatseigentum zu.

Der große Gewinner des industriepolitischen Coups ist Putins Duzfreund und Rostechnologij-Chef Sergej Tschemesow. Der hat nun freie Hand, Russlands größte Industrieholding außerhalb des Rohstoffsektors zu schmieden. Unter Tschemesows Führung werden Hunderte Firmen zwangsvereinigt, um einen Rüstungs- und Technologiekoloss entstehen zu lassen. „Wir müssen nicht mit russischen Unternehmen konkurrieren“, gab Tschemesow die Linie vor, „sondern mit anderen Ländern.“

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit müssen sich sehr wohl auch ausländische Unternehmen mit Tschemesow und Rostechnologij arrangieren – vom deutschen Autobauer Daimler über die Lufthansa bis zum europäischen Luftfahrtkonzern EADS. Und das ist nicht risikolos. Seit Monaten versucht eine Gruppe russischer Oligarchen um den Finanzmagnaten Michail Fridman, den britischen Ölriesen aus dem Gemeinschaftsunternehmen TNK-BP zu drängen. Der amerikanische Vorstandschef Robert Dudley floh bereits wegen „schwerer Schikanen“, wie er sagte. Gehen ausländische Firmen bei Rostechnologij ein ähnliches Risiko ein?

Auf dem Papier haben russische Allianzen durchaus ihren Reiz

Die Frage müssen sich Unternehmen bester westlicher Provenienz stellen. Daimler verhandelt zurzeit über den Kauf eines 42-prozentigen Anteils am Lkw-Hersteller Kamaz, der zu 38 Prozent Rostechnologij gehört. Die Deutsche Lufthansa plant eine enge Kooperation mit der Luftfahrtgruppe AiRUnion, einem 51-prozentigen Rostechnologij-Ableger, der Fluglinien in ganz Russland kontrolliert. Der französische Autohersteller Renault sitzt bei dem Lada-Hersteller Avtovaz mit Tschemesow am Tisch, der dort den Aufsichtsrat leitet. Mit dem italienischen Reifenhersteller Pirelli baut der Staatskonzern ein Reifenwerk in der Lada-Stadt Togliatti. Boeing und Airbus hängen am Tropf des Metallurgiekonzerns Avisma, der ein Drittel der weltweiten Titanvorkommen kontrolliert und den Tschemesow ebenfalls lenkt.

Auf dem Papier haben die Allianzen mit Rostechnologij-Ablegern für die ausländischen Firmen durchaus ihren Reiz. Russland gilt als Zukunftsmarkt. Tschemesow will bei den meist maroden und ineffizienten Rostechnologij-Töchtern gründlich aufräumen, Kooperationen vorantreiben, mit staatlichen Zuschüssen High-Tech-Entwicklungen finanzieren und Teile der abgespeckten Firmen an die Börse bringen. Der 55-Jährige gilt als durchsetzungsfähig und hartnäckig, als ehrgeizig und machthungrig, er geht mit Tempo ans Werk. All das klingt verlockend.

Doch viele Experten sind skeptisch. Die einen bezweifeln, dass ausgerechnet ein alter Staatsdiener und ehemaliger Agent des Sowjet-Geheimdienstes KGB (heute FSB) die blassen Töchter eines Staatskonzerns zu begehrten Bräuten auf dem Weltmarkt herausputzen kann. „Das größte Problem der Industrie ist es, gute Manager zu finden“, sagt Ruslan Puchow vom Moskauer Zentrum für Strategie- und Technologieanalyse. „Das löst man nicht allein durch ein Gesetz oder ein Präsidentendekret.“

russland

Andere kritisieren die Unternehmensstruktur. Tschemesows Holding ist so undurchsichtig wie die getönten Scheiben seines Dienstwagens, nicht einmal Umsatz und Gewinn muss er offenlegen. Selbst Russlands Wirtschaftsministerin Elvira Nabiullina stand dem Projekt kritisch gegenüber. Doch sie konnte nicht verhindern, dass Rostechnologij sich profitable Stahlhersteller zur Tochterfirma Russpetsstal zusammenschweißte und sich den Lkw-Hersteller Kamaz einverleibte, der 2007 seinen Absatz um ein Fünftel steigerte. Sergej Afontsew, Forscher am Moskauer Institut für Weltökonomie und Internationale Beziehungen, versteht nicht, was solche Firmen im Portfolio des Kremls verloren haben. „Das hilft vielleicht, die Kapitalisierung dieser Holding zu erhöhen“, sagt er, „aber im Sinne der Effizienzsteigerung ist das absoluter Nonsens.“

Daimler spielt dennoch mit dem Gedanken, in Russland unter das Dach von Rostechnologij zu schlüpfen. Die Kooperation mit Kamaz könnte für die Schwaben die letzte Chance sein, in Russland noch ernsthaft ins Geschäft zu kommen. Denn dies- und jenseits des Urals schwächelt der Vertrieb der Lkws mit dem Stern. Andere ausländische Lastwagen-Bauer verdoppeln ihre Absätze auf dem boomenden russischen Markt Jahr für Jahr.

Zugang zu riesigem Vertriebsnetz

Daimler dagegen legte 2007 im Vergleich zum Vorjahr lediglich um 58 Prozent zu – und verkauft deutlich weniger Fahrzeuge als die meisten Wettbewerber. Die Deutschen verhandeln zurzeit exklusiv mit Troika Dialog, der bevorzugten Investmentbank des Kremls, über den Einstieg bei Kamaz. Der Fahrzeugbauer ist neben Waffenhändler Rosoboronexport ein Flaggschiff von Rostechnologij. Kamaz beliefert knapp ein Drittel des russischen Truckmarkts und setzte 2007 rund 2,4 Milliarden Euro um. Rund 1,3 Milliarden Euro dürfte Daimler das 42-Prozent-Aktienpaket von Kamaz kosten.

Dafür bekämen die Deutschen Zugang zu einem riesigen Vertriebsnetz sowie einen Partner, der den russischen Markt kennt. Daimler würde das gut ins Konzept passen, meinen Analysten. Allerdings erwartet Kamaz, dass die Deutschen eine Menge Know-how in die Partnerschaft einbringen. Denn technologisch sowie in der Fertigung muss dem russischen Hersteller ein Quantensprung gelingen: „In den Werken wuseln viel zu viele Menschen mit Schraubenziehern und Schweißgeräten herum“, sagt ein Moskauer Manager, der das Unternehmen kennt. „Wenn Kamaz nach Russlands Beitritt zum Welthandelsabkommen WTO wettbewerbsfähig bleiben möchte, muss schleunigst die Produktion modernisiert und die Qualität der Produkte verbessert werden.“ Dass sich Daimler daran aktiv beteiligt, darauf würde Tschemesow mit Sicherheit drängen.

Mit dem neuen starken Mann in der russischen Staatswirtschaft muss auch Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber bei seiner geplanten Allianz mit der Luftfahrtgruppe AiRUnion unter dem Rostechnologij-Dach auskommen. Zu AiRUnion gehören fünf russische Airlines, mit deren Hilfe Mayrhuber sein Russland-Geschäft ausweiten will. Gegenwärtig verhandeln die Deutschen über Kooperationen beim Ticketverkauf und Vielflieger-Bonusprogramm.

Ein Konzeptauto des russischen Quelle: AP

Vor allem sollen die russischen Airlines Lufthansa-Passagiere an Ziele fliegen, die der Kranich bislang nicht im Programm hat. Luftfahrtexperten wie Eduard Faritow von der Moskauer Investmentbank Renaissance Capital bezweifeln jedoch, dass dem künftigen Lufthansa-Partner in Russland die Unterordnung unter den Staatskonzern gut bekommen wird. Faritow befürchtet interne Konflikte.

Zum Beispiel könnte Tschemesow seine russischen Airlines drängen, Flugzeuge aus heimischer Produktion zu kaufen. Russischen Industriepolitikern missfällt, dass sich nationale Fluglinien bevorzugt bei dem US-Konzern Boeing und seinem europäischen Konkurrenten Airbus eindecken.

Die eigentliche Gefahr aber droht Daimler & Co. für den Fall, dass russische Politiker die nationale Karte spielen und die Ausländer als nützliche Idioten betrachten. Präzedenzfälle, in denen russische Partner dann nur noch an sich selbst dachten, gibt es über BP hinaus. Konkurrent Shell etwa wurde vor eineinhalb Jahren von einem Gasfeld auf der russischen Pazifikinsel Sachalin vertrieben. Kenner der russischen Staatswirtschaft schließen nicht aus, dass auch Rostechnologij dazu in der Lage ist.

Einfluss des Staates prüfen

Lufthansa-Chef Mayrhuber sieht das gelassen. Der Staat sei in Russland „Teil des Business, gerade in den interessanten Industriezweigen“, heißt es aus seiner Umgebung. Auch große Carrier wie Aeroflot stünden unter staatlicher Kontrolle. Daimlers Lkw-Vorstand Andreas Renschler lässt lediglich verlauten, man werde das Angebot „sehr gewissenhaft prüfen“ und auch die Randbedingungen, sprich: den Einfluss des Staates, betrachten.

Immerhin haben die Stuttgarter eine Ausstiegsstrategie, nämlich den Bau eines eigenen Lkw-Werks in Russland.

Ob reale Gefahr oder übertriebene Skepsis, die Vergangenheit zeigt: Was Tschemesow will, bekommt er meistens auch. Er kennt Putins Durchwahl, gelangt in sein Büro, ohne die Vorzimmerdame beachten zu müssen, lebte mit Putin zu DDR- und KGB-Zeiten in den Achtzigerjahren in Dresden Tür an Tür. Putins Ehefrau Ludmila soll oft für beide gekocht haben, Tschemesow trank mit dem späteren Präsidenten gern ein Glas Radeberger.

Es wird spannend für Daimler, Lufthansa und Konsorten.

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