Russland Russlands halbherzige Korruptionsbekämpfung

Deutsche Unternehmen hoffen, Kremlchef Dmitri Medwedew mit einem Kodex gegen Korruption zu gefallen. Doch leichter wird für sie das Russland-Geschäft dadurch nur bedingt.

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Ikea in Russland Quelle: dpa

Ikea-Gründer Ingvar Kamprad fackelte nicht lange: Als die schwedische Boulevard-Zeitung „Expressen“ im Februar ankündigte, einen Artikel über korrupte Praktiken des Möbelkonzerns in Russland zu drucken, ließ er Köpfe rollen. Noch ehe die Druckmaschinen anliefen, setzte der 84-Jährige seinen Russland-Chef Per Kaufmann und Manager Stefan Gross vor die Tür. Beide hätten Schmiergeldzahlungen über Vermittler geduldet, hieß es in einer Mitteilung der Konzernzentrale, die die Russland-Expansion über die deutsche Tochter steuerte.

In der Branche löste der Fall Verwunderung bis Entsetzen aus: Der langjährige Ikea-Russland-Chef Kaufmann galt bis dahin als glühender Paladin im Feldzug gegen die Korruption. Wenn ihm jemand für Baugenehmigungen Schmiergeld abknöpfen wollte, ging er an die Öffentlichkeit. Verzögerte sich die Eröffnung eines der zwölf Möbelhäuser, blies er erst recht zum Angriff und nannte Namen.

Mit dem offensiven Auftreten, wird in Moskau gemunkelt, ist Kaufmann wohl zu vielen Beamten auf die Füße getreten. Vielleicht spielte deshalb ein Enttarnter der Presse belastendes Material zu. Die schwedische Zeitung „Smalandsposten“ rehabilitierte die beiden Geschassten als „Sündenböcke“. Die russischen Behörden haben bis heute kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Vorfälle um Ikea machen deutlich, wie schwierig der Kampf gegen Korruption in Russland ist: Wer ihn wie Kaufmann aufnimmt, macht sich angreifbar – wer kuscht und die Korruption akzeptiert, erst recht. Und die Lage wird immer verzwickter. Russlands Präsident Dmitri Medwedew zwingt Unternehmen verstärkt zur Gesetzestreue, auf Englisch: Compliance. Im Auftrag des Kremls gehen Zoll-, Steuer- und Wettbewerbsbehörden verstärkt gegen Betrug und Korruption vor. Der Präsident selbst greift in Brandreden die tiefkorrupte Polizei an, geißelt die käufliche Justiz und die Selbstbereicherung seiner Beamten.

Bürokratischer Spießrutenlauf

In der Praxis stellt das ausländische Manager vor schwierige Fragen: Welche Praktiken sind sauber und welche nicht? Welche Folgen können halbseidene Geschäfte haben? Kann ein Unternehmer in Russland mit völlig legalen Methoden erfolgreich sein, wenn Wettbewerber bei der Vergabe von Aufträgen schmieren? Korruption, Betrug und Zollvergehen sind in Russland ein Fass ohne Boden. Elena Panfilowa von Transparency International hat ausgerechnet, dass dort jährlich Schmiergeld im Wert von 240 Milliarden Dollar fließt. Das macht 1678 Dollar pro Kopf. Korruption ist in Russland Teil des Systems, sie lässt sich nicht einfach abstellen. Doch schon die Tatsache, dass Medwedew Compliance-Richtlinien für Beamte ausarbeitet, korrupte Gouverneure feuert, Antikorruptionsgesetze durchs Parlament peitscht und die Diskussion im Gange hält, bringt Bewegung.

Das spüren auch deutsche Unternehmen. „Die Atmosphäre verbessert sich“, sagt Michael Harms, Vorsitzender der deutsch-russischen Handelskammer. „Beamte trauen sich nicht mehr, grundlos gegen Unternehmen vorzugehen.“

Um ein Zeichen zu setzen, startete die Kammer vor wenigen Tagen im noblen Moskauer Swissotel eine Antikorruptionsinitiative. Darin verpflichten sich mehr als 50 vorwiegend deutsche Unternehmen, im Russland-Geschäft sauber zu bleiben. Auch die Landeschefs von Siemens, Daimler und MAN, deren Konzerne bereits in Bestechungsskandale verwickelt waren, haben die Liste unterzeichnet. „Wer seine Bücher absolut transparent hält“, ist Harms überzeugt, „kann in Russland sicher den Geschäften nachgehen.“ Und auch Charles Hecker vom Beratungsunternehmen Control Risks sagt: „In Russland sauber zu bleiben ist schwierig, aber möglich“ (siehe Kasten). Doch gute Vorsätze lassen sich leichter unterschreiben als einhalten. Erfahrene Russland-Manager deutscher Unternehmen bezweifeln, dass sie ganz ohne Schmiergeld Geschäfte machen können.

Bis etwa die Behörden im Moskauer Gebiet eine Baugenehmigung erteilen, gehen nach einer Studie der Weltbank 704 Tage ins Land, anderswo über drei Jahre. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld, denn um den Papierkram müssen sich teure Anwälte kümmern. Russland-Veteranen wissen: Der bürokratische Spießrutenlauf lässt sich beschleunigen, wenn Vermittler in den Amtsstuben weiße Kuverts über den Tisch schieben.

Daimler-Fahrzeuge Quelle: Laif

Solche Mittelsmänner haben sich zuletzt goldene Nasen verdient. Im Hauptberuf sind es oft Juristen mit russischem Pass, die im Schattenreich als sogenannte „Broker“ wirken. Sie wickeln Schmierereien mit den Behörden ab, ohne dass sich die Auftraggeber die Finger schmutzig machen. Ihre Kunden sind auch deutsche Investoren. In deren Bilanzen tauchen die Honorare später als Dienstleistungen für Rechtsberatung auf. Sobald der Wirtschaftsprüfer unterschrieben hat, ist die Sache unter den Teppich gekehrt.

Oft fließt auch Bakschisch, wenn Firmen an Ausschreibungen teilnehmen. In Sotschi, wo 2012 die Olympischen Winterspiele stattfinden, wird angeblich kaum ein Auftrag ohne die Zahlung von „Otkat“ vergeben. Das Wort kennt in Russland jeder Manager. Es bezeichnet eine Art Provision, die der Einkäufer vom Auftraggeber für die Zusage verlangt, dass dieser den Zuschlag erhält. Dafür berichtet der Einkäufer dem Bewerber über Konkurrenzangebote. Nach Auftragserteilung schreibt der Lieferant zwei Rechnungen: die mit dem höheren Betrag geht in die deutsche Buchhaltung, die mit der niedrigeren Summe behält der Auftraggeber. Die Differenz zweigt der Einkäufer ab, um seinen Porsche zu bezahlen.

Solchen Praktiken zu widerstehen fällt weder In- noch Ausländern in Russland leicht. Die Landeschefs deutscher Unternehmen sind in Russland zum Erfolg verdammt. Zu Hause müssen sie ihr Engagement am riskanten Markt mit guten Zahlen rechtfertigen. Und die werden oft mit den Erträgen verglichen, die konkurrierende Wachstumsmärkte wie China abwerfen. Für die Exilanten in Moskau geht es um die Karriere, um Provisionen, um den Erfolg. „Wenn ich keine Geschäfte an Land ziehe, kann ich einpacken“, sagt der Russland-Chef eines Mittelständlers. Also fließen oft „Otkat“ und Honorare.

Konkurrenten aus EU-Nachbarländern verstärken den Druck. In Moskau ist es ein offenes Geheimnis, dass französische und italienische Unternehmen weniger zimperlich sind als deutsche: Bei der Vergabe lukrativer Aufträge helfen sie gern nach. Heinrich Weiss, Chef der Düsseldorfer SMS-Gruppe und Präsident der deutsch-russischen Außenhandelskammer, fürchtet Wettbewerbsnachteile und mahnt: „EU-Länder sollten im Kampf gegen Korruption geschlossener vorgehen.“

Unternehmen helfen gerne mal nach

Zuletzt sind die Praktiken vor allem deutscher Unternehmen aufgefallen. Das Korruptionsverfahren, das die US-Justizbehörde bis vor Kurzem gegen Daimler führte, beruht auch auf Fällen in Russland. Beim präsidialen Sicherheitsdienst sowie dem russischen Innen- und Verteidigungsministerium kassierten Beamte, die Limousinen bestellten, Provisionen. Der Fall zeigt auch, wie halbherzig der Kreml manchmal gegen die Korruption vorgeht – vor allem, wenn die Spuren ins russische Machtzentrum führen. Den Daimler-Fall brachten US-Behörden ins Rollen, er wurde gegen eine Strafzahlung von 185 Millionen Dollar eingestellt. Seither weigert sich die russische Politik, Namen geschmierter Beamten zu nennen.

Den Fall Hewlett-Packard (HP) hat die Staatsanwaltschaft Dresden ins Rollen gebracht. Die Ermittler verdächtigen deutsche HP-Manager, bei der Vergabe russischer Aufträge nachgeholfen zu haben. Im April durchsuchten Fahnder die Moskauer HP-Niederlassung im Auftrag der russischen Generalstaatsanwaltschaft – pikanterweise jene Behörde, deren Beamte sich angeblich schmieren ließen.

Der HP-Fall liegt sieben Jahre zurück, die Ermittlungen gegen Daimler basieren auf Vorfällen vor fünf Jahren. Trotzdem kommen sie jetzt ans Tageslicht. Nie war es so schwer, in Russland Geschäfte zu machen. Das haben auch die Ikea-Manager Kaufman und Gross erfahren müssen. 

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