Sie sind verwöhnt. Jeden Tag kommen Firmenbosse und erzählen ihnen Geschichten. Es ist schon ein Erfolg, wenn keiner der übernächtigten Fondsmanager beim Essen einschläft. Großmann muss sich jetzt gegen den Salat durchsetzen, die Entenbrust ist sein Konkurrent. Großmann spürt die Gefahr, er ruft: "Weitere Fragen, neue Fragen!" Er schaut in die stille Runde, er muss jetzt die Blicke fangen. Und Großmann hebt an zu einem Rundflug über seine Welt. Mit Alexej Miller, dem Chef des russischen Imperiums Gasprom, habe er neulich telefoniert, um nichts Geringeres als die Energie dieses Planeten sei es gegangen. Die Zuhörer blicken von den Salattellern auf, gleich hat er die Entenbrust bezwungen. Er umschwärmt einen jungen Manager, der zu immer präziseren Fragen ausholt, Großmann lobt ihn wie einen Musterschüler. "Ihre Fragen sind besser als meine Antworten." Großmann lacht, das Publikum lacht. Er hat sich in den Mittelpunkt geschraubt, die Show gehört jetzt ihm. Hinterher sagt er: "Big brush, big picture." Dicker Pinsel, großes Bild. Man muss ihn nicht fragen, wen er für den Burschen mit dem dicksten Pinsel hält.
Dinosaurier der Atomindustrie
Die Fotografin der ZEIT darf ihn danach vor der Skyline der Stadt ablichten. Großmann steht da wie ein Denkmal. Der Tag hat sich in ihn verliebt, alles ist jetzt anders. Als die Fotografin ihm das erste Mal in Tokyo begegnete und ihn auf eine Fahrt nach Norden ansprach, in Richtung Fukushima, wurde er unhöflich und sagte: "Nein, keine Fotos von mir in Japan." Er drehte sich weg, ließ die Fotografin in der Hotellobby stehen. Später schaute er sie prüfend von der Seite an. Sie lächelte, und Großmann beruhigte sich. Als sie ihn dann bittet, sich vor die Fensterfront hoch über Tokyo zu stellen, findet er Gefallen an der Kulisse. Er ist jetzt froh, dass die Fotografin da ist. Er genießt ihre Aufmerksamkeit, er sagt zu ihr: "I like you." Er mag sie. So geht er mit Frauen um.
Am Abend, als er in einem Restaurant sitzt, das Hollywood-Schauspieler besuchen, wenn sie in Tokyo zu tun haben, ist Großmann nicht mehr zu bremsen. Wann immer die Fotografin die Kamera auf ihn richtet, wirft er sich in Pose. Die anderen Gäste schauen neugierig auf, und Großmann ruft lachend durchs Lokal: "Ich bin Brad Pitt, nur hundert Kilo schwerer!" Anschließend verspricht er der Fotografin, dass er ihr die Bilder abkaufen werde, jedes einzelne. Alle.
Drei Monate ist es jetzt her, dass Großmann im Hotel Adlon in Berlin saß und sich mit der Idee vertraut machte, dass er gleich einen Schmähpreis kriegen würde, den sogenannten Dino des Naturschutzbundes. Als Dinosaurier der Atomindustrie sollte Großmann dastehen, als aussterbende Gattung. Er sagte damals: "Es gibt noch keine Toten durch Fukushima." Er würde den Satz später wiederholen. "Die Apokalypse hat nicht stattgefunden", sagte er.
Am Abend zuvor hatte er im Innovationsrat der Kanzlerin gesessen, und als er vor die Tür trat, sah er den FDP-Politiker Rainer Brüderle telefonieren, den plötzlich unter Beschuss geratenen Freund der Kernenergie. Brüderle sah blass aus, fand Großmann.
Grandiose Echsen
Er hatte sich vorgenommen, etwas zu tun, womit niemand rechnete: den Dino-Preis persönlich entgegenzunehmen. Er bat seinen Chauffeur, ihn in dem unauffälligen VW-Bus mit den getönten Scheiben zu den Naturschützern zu bringen. Großmann in einem Kleintransporter, auch damit rechnete keiner. Vom Auto aus rief er seine 22-jährige Tochter Anne an, die in Berlin studiert. "Hier ist Paps", sagte er, "willst du kommen?" Sie hatte keine Zeit. Aber Großmann war guter Dinge. Er war sich schon sicher, dass er als Sieger hervorgehen würde aus dieser Preisverleihung, zu der lauter Gäste eingeladen waren, die ihn verachten. Als der Bus vor dem Haus der Naturfreunde hielt, sagte er staunend: "Da steht sogar einer von der Security. Doll."
Es wurde dann tatsächlich ein Großmann-Event. Er stellte sich neben das Plakat mit dem Vogel des Jahres, einem zierlichen Gartenrotschwanz, und sagte, dass er kein Mikrofon brauche. Sie brachten ihm trotzdem eines. Der Moderator bestand darauf, dass doch endlich das geplante Streitgespräch mit den Naturschützern beginnen müsse, aber Großmann lobte die Robustheit der Dinosaurier. "165 Millionen Jahre haben sie die Welt regiert." Als sein Gegner dann prophezeite, RWE werde von der Erde verschwinden wie einst die Echsen, saß Großmann so vergnügt daneben wie einer, der keine Silbe seiner Laudatio verpassen will. Noch versuchte er, den Saurier als faszinierendes Lebewesen zu betrachten, nicht als Sinnbild.