Saudi Aramco Saudi-Arabiens wichtigste Geldquelle

Der Ölpreis jagt von Rekordhoch zu Rekordhoch. An dieser Entwicklung verdient ein Konzern besonders gut: Der Staatskonzern Saudi Aramco ist der weltgrößte Ölförderer, Saudi-Arabiens wichtigste Geldquelle – und ein Unternehmen im Grenzland der Kulturen.

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Gasflamme im Khurais-Ölfeld Quelle: REUTERS

Mekka und Medina, Sand so weit das Auge reicht, das öffentliche Leben geprägt von der Staatslehre Wahhabiya – einer ultrakonservativen Form des Islam, in der die Frau aus dem öffentlichen Leben verbannt und das Gebet fünfmal täglich Pflicht ist – überwacht von einer 3500 Mann starken Religionspolizei; mit Richtern, die Dieben die Hände abhacken lassen und Gotteslästerer zum Tod durch das Schwert verurteilen. Das ist eine Seite von Saudi-Arabien. Die andere, in der all das kaum eine Rolle spielt, ist im kleinen Städtchen Dhahran zu besichtigen, das in der Östlichen Provinz wenige Kilometer vom Persischen Golf entfernt liegt. Mit dem Taxi dauert es gerade einmal eine Viertelstunde, es zu umrunden. Doch es ist für Saudi-Arabien die Gans, die goldene Eier legt – der Sitz des Staatskonzerns Saudi Aramco, dem wohl wichtigsten Spieler im sich immer mehr aufschaukelnden Erdöl-Poker, und dessen Ölreserven am Ende darüber entscheiden werden, wie lange noch Benzin aus unseren Tanksäulen fließt.

Eine Studie von McKinsey erklärte den Staatskonzern 2006 zum wertvollsten Unternehmen der Welt, taxierte ihn auf 781 Milliarden Dollar – den zwölffachen Börsenwert von Siemens. Fakt ist: Saudi Aramco ist der größte Erdölförderer der Welt, das mächtigste Mitglied im OPEC-Kartell und ein, wenn nicht der, Top-Verdiener am aktuellen Ölpreishoch. Das Unternehmen fördert rund zehn Prozent des weltweiten Öls. Eigenen Angaben zufolge sitzt es zudem auf einem Viertel der nachgewiesenen globalen Ölreserven, hat eine der größten Supertankerflotten der Welt und eine eigene Airline, die Mitarbeiter auf entlegene Ölfelder bringt.

Weil Saudi Aramco drei Viertel des saudischen Staatshaushalts erwirtschaftet und ein Versiegen der Ölquellen für den saudischen König Abdullah und seine Familie eine politische Katastrophe wäre, gelten in Dhahran andere Freiheiten als im restlichen Land. Der Ölriese darf sich eine liberale pro-westliche Belegschaft heranziehen – die so manch radikalerem Wahhabiten ein Dorn im Auge ist.

Saudi Aramcos Firmenareale sind eine andere Welt

Sind die saudischen Sicherheitskräfte am Tor überwunden, Fahrzeug und Ausweise kontrolliert, rollt man in eine andere Welt: Nicht nur, dass hier Frauen anders als im Rest des Landes Auto fahren dürfen. Innerhalb des umzäunten Firmenareals sieht es aus wie in einer kalifornischen Vorstadt – die Rasensprenger, die uniformen Wohnhäuser, die Basketballkörbe über den Garagen, selbst die Bordsteine sind typisch amerikanisch. In Sportkleidung joggende Einwohnerinnen und Baseball spielende Kinder gehören ebenso zu Dhahran wie dicke Geländewagen. Bei einem per königlichem Dekret festgelegten Spritpreis von sieben Cent für den Liter Normalbenzin und zehn Cent für Super gilt hier noch das Motto, je größer das Auto, desto besser. In den Häusern und Büros fließt Strom aus amerikanischen Steckdosen, auch Lichtschalter und selbst Toilettenbecken sind aus den USA. „Nur der Wüstensand, der in jede Ritze kriecht, erinnert einen daran, dass man in Saudi-Arabien ist“, sagt ein deutscher Ex-Mitarbeiter des Unternehmens – natürlich gebe es weder Alkohol noch Schweinefleisch.

Der amerikanische Einschlag ist der Geschichte Saudi Aramcos geschuldet: Das Unternehmen wurde vom kalifornischen Erdölriesen Standard Oil (heute Chevron) gegründet – genau 75 Jahre ist das her. Der Name Aramco ist ein Relikt aus dieser Zeit und stand für Arabian American Oil Company. Bis 1972 war Aramco vollständig in US-Hand. Danach begann die Saud-Dynastie den Ölförderer zu verstaatlichen. Die US-Ölriesen blieben zuerst beteiligt, 1980 wurden sie dann gänzlich hinausgedrängt.

Doch heute wie damals ist das Unternehmen von westlichen Arbeitskräften abhängig. Knapp 13 Prozent der 52 000 Mitarbeiter sind Ausländer, die meisten kommen aus den USA, Kanada und Großbritannien, aber auch aus Deutschland. Viele hat der Konzern wegen ihres Know-hows von Erdöl-Erschließern wie Schlumberger und Halliburton sowie Konzernen wie Exxon, BP und Shell abgeworben. Zudem gibt es inzwischen mehr und mehr Ingenieure vom OPEC-Partner Venezuela und Billigkräfte aus Indien und Pakistan. Zu den angestellten Ausländern im heißen Dhahran kommen Tausende Ausländer, die für Subunternehmer von Aramco arbeiten.

„Um ausländische Top-Talente anzuziehen, zahlt Aramco Spitzensaläre und bietet durchaus wettbewerbsfähige Lebensbedingungen“, sagt Nansen Saleri, der bis Herbst 2007 die Ölreserven des Konzerns verwaltet hat und jetzt Branchenberater ist. Einkommen sind wie in vielen Golfstaaten steuerfrei, die medizinische Versorgung umsonst, es gibt internationale Schulen, Bibliotheken, Kinos, Einkaufszentren, einen Golfplatz und Pools in der meist von den Ausländern und einigen Top-Managern genutzten Wohnanlage. Zudem lockt der firmeneigene Sandstrand – Aramco Beach.

Doch auch wenn der hohe Ölpreis Saudi Aramco derzeit mit Milliarden überschwemmt, ist der Konzern nicht gegen die allgemeinen Branchenprobleme immun. Neben zusätzlichem Bohrgerät mangelt es aktuell trotz allen Lockrufen gen Westen an qualifizierten Arbeitskräften. In Saudi-Arabien selbst sind gut ausgebildete Ingenieure chronische Mangelware. Die König-Fahd-Universität für Erdöl und Mineralien in Dhahran bringt es zwar auf die Größe einer deutschen Fachhochschule. Im ganzen Land mit seinen 22 Millionen Menschen gab es bis vor wenigen Jahren aber gerade mal acht Universitäten, und die boten überwiegend religiöse Studiengänge an.

König Abdullah, der seit drei Jahren das Reich führt, versucht nun diesen Bildungsnotstand zu beheben. Am anderen Ende des Landes, nahe der Stadt Rabigh am Roten Meer, lässt der Monarch durch Saudi Aramco eine zehn Milliarden Dollar teure Großuniversität hinklotzen. Auch mit dem Entwurf des westlichen Lehrplans mit Gastprofessoren etwa aus Oxford ist der Konzern betraut. Die Hochschule soll 2009 den Betrieb aufnehmen, Ingenieure und Manager dann auch für Saudi Aramco ausspucken. Der aus der Privatschatulle des Königs gesponserte 20-Milliarden-Dollar-Stiftungsfonds machte die König-Abdullah-Universität für Wissenschaft und Technik auf Anhieb zur drittreichsten Hochschule der Welt. Noch aber schickt Saudi Aramco den eigenen Manager- und Ingenieurnachwuchs vor allem an teure US-Eliteuniversitäten. Auch Konzernchef Abdullah Jum’ah ist Harvard-Absolvent.

In den voll klimatisierten Aramco-Büros und auf den Förderanlagen wird dann auch schnell klar, wie sehr das Unternehmen zwischen den Kulturen balanciert. Im übrigen Saudi-Arabien ist es streng verboten, nicht zur Familie gehörenden Frauen ins Gesicht zu sehen, geschweige denn, sie anzusprechen. Erst im Februar nahm die Religionspolizei in der Hauptstadt Riad eine Amerikanerin fest, weil die in einem Café mit einem männlichen Kollegen am Tisch saß. Bei Saudi Aramco in Dhahran arbeiten Frauen und Männer Seite an Seite – die Frauen tragen zum Teil ihre traditionelle schwarze Abaja und Gesichtsschleier, zum Teil nur Kopftuch, zum Teil komplett westliche Kleidung. „Nur Small Talk zwischen Männern und saudischen Frauen ist nicht gern gesehen“, berichtet ein früherer Aramco-Mitarbeiter.

Verlässt im restlichen Land kaum ein Mann ohne traditionelles weißes Gewand das Haus, ist der sogenannte Thawb auf Förderanlagen und Bohrvorrichtungen von Saudi Aramco verboten. Aus Arbeitsschutzgründen tragen hier saudische Arbeiter Stiefel, Jeans, Hemd und Helm. In einigen Bürogebäuden existieren Gebetsräume. Ex-Aramco-Manager Saleri sagt: „Wenn zum Gebet gerufen wurde, entschuldigten sich meine saudischen Ingenieure und verschwanden in eine der Moscheen auf dem Gelände.“ Das Internet bei Saudi Aramco ist stark zensiert, alle israelischen Internet-Seiten sind geblockt. Andererseits gibt es wie bei vielen Unternehmen im Westen Mitarbeiter-Motivationsprogramme, ein Verbesserungsvorschlagswesen und Power-Point-Präsentationen. Die Beschäftigten nennen sich typisch westlich „Aramcons“.

Saudi-Aramco-Chef Abdullah S. Quelle: REUTERS

So offen Saudi Aramco nach innen ist, so verschlossen ist der Konzern nach außen, vor allem, wenn es um detaillierte Daten zu den eigenen Ölreserven geht. Unabhängige Beobachter durften diese seit Jahren nicht einsehen. Das nährt in Zeiten eines hohen Ölpreises Spekulationen darüber, wie lange das Aramco-Öl reicht. Im Mittelpunkt steht hier vor allem das 1948 entdeckte Ölfeld Ghawar, das 100 Kilometer südlich von Dhahran unter dem Wüstensand liegt. Es ist das größte Ölfeld der Welt, 280 Kilometer lang, 30 Kilometer breit. Mit fünf Millionen Barrel liefert es rund die Hälfte der Tagesproduktion des Konzerns. Analysten der New Yorker Investmentfirma Sanford C. Bernstein machten kürzlich mittels Satellitendaten eine aufsehenerregende Entdeckung: Der Boden über dem nördlichen Teil von Ghawar hatte sich gegenüber früheren Aufzeichnungen gehoben. Das deute darauf hin, so die Analysten, dass Aramco viel Wasser in den Untergrund pumpt, um an Öl zu gelangen – eine Technik, die Ölunternehmen oft anwenden, wenn der Output eines Feldes sinkt.

Aramco-Chef Jum’ah sowie Verwaltungsratschef und Ölminister Ali al-Naimi bestreiten solche Probleme. Stattdessen wollen sie demnächst zu den 264 Milliarden Barrel schon nachgewiesenen Ölreserven auf dem Papier weitere 200 Milliarden Barrel hinzufügen – „um der Welt zu zeigen, dass uns das Öl nicht ausgeht“, sagen sie. Offenbar soll moderne Fördertechnik das möglich machen, mit der sich heute mehr Öl aus Feldern pumpen lässt als etwa in den Siebzigerjahren. Zudem sucht Aramco weiter nach Ölfeldern, etwa mit seismischen 3-D-Messungen an der Westküste.

Noch gilt Saudi Aramco ohnehin als einziges Ölunternehmen weltweit, das freie Förderkapazitäten hat. Im Juli soll zudem die Förderung aus dem neu erschlossenen Ölfeld Khursaniyah beginnen. Bis Ende 2009 will der Konzern seine Produktionskapazität auf täglich 12,5 Millionen Barrel steigern – und so vor allem Rückgänge bei anderen OPEC-Partnern ausgleichen.

In diese täglichen Fragen der Ölpolitik mischt sich König Abdullah nicht ein. Er überlässt sie Saudi Aramco und dem Ölminister, sagt Guido Steinberg, Saudi-Arabien-Berater der Bundesregierung. Hauptsache für den Monarchen ist, dass Geld fließt. Ein Teil der Einnahmen aus dem Ölexport wird nicht im Staatshaushalt ausgewiesen. Das Geld gehe direkt an die Herrscherfamilie, sagt der Experte. Schätzungen gehen von 10 bis 30 Prozent aus.

Unverzichtbar ist das Aramco-Öl aber vor allem für die innere Stabilität im Land. Als der Ölpreis in den Neunzigerjahren bis auf zehn Dollar pro Barrel sackte, konnte Saudi-Arabien seine enormen Staatsausgaben nicht mehr aus eigener Tasche finanzieren und musste sich tief verschulden. Heute gilt ein Ölpreis von 60 Dollar als die untere Schmerzgrenze, ab der Saudi-Arabien seine Rechnungen bezahlen kann.

Ernsthafte Alternativen zur Ölindustrie gibt es bis heute nicht. Anders als die Vereinigten Arabischen Emirate vergibt Saudi-Arabien keine einzelnen Touristenvisa an Nichtmuslime. Ein Forschungszentrum für Solarenergie in Riad steckt genauso in den Kinderschuhen wie ein aus Aramco-Mitteln finanziertes, 500 Milliarden Dollar schweres Investitionsprogramm, mit dem der König in den nächsten zwei Jahrzehnten mehrere neue Städte bauen, Millionen Jobs schaffen und das Land durch Industrie unabhängig vom Öl machen will.

Noch aber ist die Abhängigkeit von Saudi Aramco ungebrochen. Und das Königshaus muss sich weiterhin mit Ölmilliarden für den Konzern das Wohlwollen des geistlichen Establishments kaufen – indem es laut Steinberg etwa deren Islamische Weltliga finanziert, eine Organisation, die in Europa und den USA missioniert und auch islamische Gruppen in der Türkei unterstützt. Zum anderen gibt es trotzdem im Heimatland von Osama Bin Laden und einer durch rund 25 Prozent Arbeitslosigkeit geplagten Bevölkerung eine radikal islamische Strömung, die Saudi Aramco im Visier hat. Am 29. Mai 2004 töteten Terroristen 19 Ausländer in einem italienischen Restaurant in der Stadt Al-Khobar – einen Steinwurf von Dhahran entfernt.

Viele westliche Aramco-Mitarbeiter flüchteten damals aus dem Land. 2006 versuchten Selbst-mord-attentäter mit zwei sprengstoffbeladenen Autos die Abqaiq-Ölverarbeitungsanlage von Aramco zu sprengen. Zwar konnten Sicherheitskräfte die Wagen stoppen. Doch der Schock saß tief. Abqaiq verarbeitet bis zu drei Viertel der Aramco-Exporte. Der Anschlagsversuch zeigte, wie verwundbar Aramcos Infrastruktur ist – etwa die Pipelines, die sich unter anderem von der Ostküste durch 1200 Kilometer Wüste zum Ölhafen Yanbu’ am Roten Meer ziehen. „Es ist unmöglich, das ganze Areal zu beschützen“, heißt es in einem Bericht des Washingtoner Center for Strategic and International Studies.

Um Terrorangriffe zumindest teilweise abzuwehren, lässt König Abdullah jetzt in Kooperation mit dem US-Rüstungs-konzern Lockheed Martin eine aus Soldaten und Polizisten bestehende Schutztruppe aufstellen. Mittlerweile hat die eine Stärke von 10.000 Mann, soll aber auf 35 000 wachsen. Das Projekt wird auf fünf Milliarden Dollar geschätzt. Zu der Truppe sollen eine Helikopter-Einheit zum Schutz der Pipelines und ein Luftabwehrsystem für Raffinerien von Aramco gehören. Die Truppe wird wohl auch über die Sicherheit der Saudi-Aramco-Mitarbeiter in Dhahran wachen.

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