Schmiergeldaffäre Interne Korruptionsbekämpfung stößt bei MAN an Grenzen

Seite 2/2

MAN-Chef Samuelsson: Das korruptionsanfällige Provisionssystem reglementier, aber nicht gestoppt Quelle: Martin Hangen für WirtschaftsWoche

Die Schwachstelle war der MAN-Spitze seit mindestens sieben Jahren bekannt, wie bisher unbekannte Unterlagen zeigen. Ein Rundschreiben der Geschäftsführung des Nutzfahrzeuge-Vertriebs vom 22. Oktober 2002 an die Verkaufsmitarbeiter definierte Provisionsobergrenzen, die noch heute gelten: Bei Fahrzeugen mit bis zu 15,9 Tonnen Gesamtgewicht dürfen maximal 1000 Euro, bei schwereren Fahrzeugen 1500 Euro Vermittlungsgebühr fließen. Es gehe um „ein Entgelt für tatsächlich geleistete Vermittlertätigkeit“. Die Worte „tatsächlich geleistete“ sind fett hervorgehoben. Unterschrieben ist der zweiseitige Text vom heutigen Vorstand der MAN-Nutzfahrzeugsparte, Peter Erichreineke, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt und der sein Amt ruhen lässt.

Trotzdem waberte offenbar so viel Unbehagen über die Interpretierbarkeit „tatsächlich geleisteter“ Vermittlungstätigkeiten durch das Unternehmen, dass 2003 ein weiteres Schreiben zum Thema Provisionen folgte: Die Konzernführung verbot ihrem Vertrieb nun „ausdrücklich“, Preisnachlässe „verdeckt in Form von Vermittlerprovisionen zu gewähren“. 2006 legte das Management noch mal nach und hielt doch Hintertüren offen: „Provisionen an Gelegenheitsvermittler“ seien „grundsätzlich zu vermeiden“, hieß es – Ausnahmen aber in „begründeten Einzelfällen“ möglich. Im selben Jahr wurde aus dem Vier-Augen- ein Sechs-Augen-Prinzip: Eine Provisionszahlung muss seitdem neben dem Abteilungsleiter auch der zuständige Geschäftsführer für Deutschland oder für die jeweilige Auslandsregion genehmigen. 2008 dann wurde daran erinnert, bei „Provisionen für verkaufsunterstützende Berater“ sei ein von der Zentrale genehmigter Beratervertrag Voraussetzung – offenbar nicht immer gängige Praxis.

Samuelssons Saubermann-Image bekommt unschöne Kratzer

MAN sieht es als Erfolg, durch die Vorschriften das Volumen der gesamten Provisionszahlungen in Deutschland von rund zwei Millionen Euro pro Jahr auf einen sechsstelligen Betrag gedrosselt zu haben. Trotzdem muss sich MAN-Chef Samuelsson den Vorwurf gefallen lassen, nicht konsequenter durchgegriffen zu haben. Rund 20 von der internen Revision festgestellte Provisionsmissbrauchsfälle hat MAN selber geregelt und die Übeltäter entlassen. Nur ein Ex-Mitarbeiter wurde aber vom Unternehmen angezeigt und 2008 in Augsburg verurteilt: Wer ihm Wartungsaufträge gab, bekam als Dankeschön Kühlschränke, Fernseher und andere Elektrogeräte geschenkt.

Samuelssons Bild vom Saubermann, der „keine Form der Bestechung“ duldet, wie er sagte, bekommt unschöne Kratzer. Widersinnig wirkt etwa eine interne Anweisung „zur Bekämpfung von Korruption“ vom Februar 2007. Darin warnt die MAN-Revision zwar, unzulässige Zahlungen würden in Deutschland und in der EU streng geahndet. In anderen Ländern aber lässt sie Spielraum: Dort sei eine Zuwendung „in jedem Fall dann unzulässig, wenn dadurch der deutsche Wettbewerb beeinträchtigt wird“. Nur der deutsche Wettbewerb? Der Revisionschef eines Dax-Konzerns hält die Direktive für „definitiv falsch“. Zu beachten seien auch Gesetze anderer Länder: „Und seit 2002 verbietet das Strafgesetzbuch Korruption auch im Ausland.“

MAN lockt Mitwisser mit Kronzeugenregelungen

Suboptimal wirkt die Verpflichtung des Münchner Rechtsanwaltes Jan-Olaf Leisner als Ombudsmann bei MAN im Jahr 2007. Wer dem Juristen keine Briefe schreiben will, muss per E-Mail oder Telefon mit ihm Kontakt aufnehmen. Ist Leisner nicht da, bittet die Sekretärin zwecks Rückruf um die Nummer des Anrufers. Whistleblower, wie diskrete Tippgeber heißen, verlassen sich aber nicht auf die Schweigepflicht des Anwalts, sondern wollen Anonymität, bevor sie ihr Wissen preisgeben.

Technisch ist das kein Problem. Eine Software des Potsdamer Anbieters Business Keeper etwa ermöglicht Anzeigen via Internet – garantiert anonym. Das Landeskriminalamt Niedersachsen setzt das System seit 2003 ein, im Januar installierte der Flughafenbetreiber Fraport die Software, auch bei der Bahn und einigen Krankenkassen können Mitarbeiter Korruption online melden. Den Nachteil, dass dank der niedrigen Hemmschwelle unbrauchbare Meldungen eingehen, nehmen die Nutzer in Kauf. Das LKA Niedersachsen etwa erhielt den Hinweis: „Meine Frau ist mir untreu.“

Auch Kronzeugenregelungen können Mitwisser aus der Deckung locken – wie sie jetzt MAN anbietet. Der Konzern hat Informanten zugesichert, sie nicht rauszuwerfen oder auf Schadensersatz zu verklagen. Strafrechtliche Konsequenzen drohen dennoch, weil das nicht Sache des Arbeitgebers, sondern der Staatsanwaltschaft ist. Die rollt nun alle Fälle noch einmal auf, die Samuelsson diskret ad acta gelegt hatte.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%