Schwitzen für die Gesundheit Wellness: Wunderbarste Wonnen im Hamam

Während im Orient Hamams verfallen, wird in Europa das traditionelle Ritual des arabischen Dampfbades neu entdeckt.

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Schwitzen ist gesund: Männer Quelle: REUTERS

Das Marmorbassin muss zwar noch installiert werden, und der Dampfraum wartet auf einen letzten Anstrich. Doch im Geiste hört der Villenbesitzer längst das Wasser rieseln, das eine Fontäne in den Pool seines Kellers leiten wird. Erwartungsvoll mustert er die in einem warmen Ockerton verputzten Wände und das schwungvolle Gewölbe unter der Decke. In wenigen Tagen wird sich das einst schmucklose Untergeschoss seines Brüsseler Anwesens in ein Stück aus Tausendundeiner Nacht verwandelt haben.

Der Immobilienunternehmer hätte sich auch einen Fitnessraum mit Sauna in seinem Keller einrichten können – aber das fand er zu banal. Als er von einem Hamam-Spezialisten hört, beschließt er, seinen Keller als arabisches Dampfbad zu gestalten: „Der Orient hat mich immer schon magisch angezogen“, sagt er. Zugeständnisse an die Neuzeit hat sich der Hausherr aber vorbehalten: Ein kleiner Nebenraum für Fitnessgeräte gehört dazu und eine Gegenstromanlage für das Becken, zur Abkühlung und zum Schwimmtraining. Ganze Sonntage will er mit seiner Frau und den beiden Töchtern hier unten verbringen, sich im Halbdunkel entspannen, die Welt da draußen ein bisschen vergessen.

„Alles hinter sich zu lassen“, wünschen sich viele Kunden von Amaury de Tervarent, der das schicke Privat-Hamam entworfen hat und baut. Er gründete 1999 Dreamscreators, eines der weltweit wenigen Unternehmen, das sich auf Design und Bau von Hamams spezialisiert hat. Privatleute zahlen dem Belgier pro Quadratmeter bis zu 4000 Euro. Bei einer durchschnittlichen Größe von 50 Quadratmetern ist das heimische Hamam kein billiger Spaß.

Streng nach Geschlechtern getrennt

Arabische Dampfbäder liegen im Trend. Nicht nur vermögende Privatleute, auch Nobelherbergen interessieren sich mehr und mehr für die orientalische Wellness. Im Auftrag der Hotelkette Four Seasons entwickelte de Tervarent, der als Stuckateur in Spanien die islamische Kunst kennenlernte, ein edles Dampfbadkonzept. Derzeit betreut er Hotelprojekte auf Mauritius und Neu-Delhi. In Paris hat sich das Hamam im Moscheekomplex im 5. Arrondissement zu einem beliebten Treffpunkt arabischstämmiger Franzosen entwickelt.

Streng nach Geschlechtern getrennt, trifft man sich zum gemeinsamen Bad in dem Gebäude aus den Zwanzigerjahren. Der anschließende Minztee und das köstliche klebrige Gebäck im Garten ist Teil des Vergnügens. Auch im klassischen Thermalbad in Bagneres-de-Bigorre im Südwesten Frankreichs soll ein Hamam neue Kunden locken. In Budapest können Besucher im Király Bad unter einer Kuppel aus dem 16. Jahrhundert planschen. Auch in Spanien sind arabische Bäder, wie sie hier heißen, schwer in Mode, selbst wenn keines der historischen maurischen Bäder mehr im Betrieb ist. In Córdoba, Granada, Málaga und Madrid entstanden in den vergangenen Jahren kunstvoll dekorierte Hamams, die an die Geschichte anknüpfen.

Auch in Deutschland wächst das Interesse: Das Sultan Hamam in Berlin ist vermutlich das größte Haus für orientalische Badekultur außerhalb der Türkei. Wer sich vom Standort – es liegt mitten in einem Gewerbebau – nicht schrecken lässt, kann sich innen auf 1000 Quadratmetern bestens entspannen. Zum Ausflug in die alte orientalische Badekultur lädt seit kurzem auch Dietmar Müller-Elmau. Auf rund 500 Quadratmetern erstrecken sich die klassischen Kuppelräume im Souterrain des Schlosshotels Elmau. Statt türkischem Marmor wurden zwar typisch bayerische Solnhofer Platten und 160 Millionen Jahre alter Jura verlegt. Aber nach dem Dampfbad werden in der Säulenhalle türkische Süßigkeiten, Kaffee und Tee gereicht. Auch die Therme in Bad Griesbach wirbt mit einem „traditionellen Badetraum aus 1001 Nacht“.

Feuchte Hitze ist gesünder

Aus medizinischer Sicht ist die feuchte Wärme des Dampfbades der trockenen Saunahitze überlegen. Das Hamam belastet die Atemwege weniger, selbst Asthmatiker können den klassischen Besuch im türkischen Bad genießen. Dazu gehört eine Massage mit einem Spezialhandschuh, der abgestorbene Hautzellen abrubbelt und angeblich gar gegen Cellulitis wirkt. „Geist und alle Sinne sind eingeschlossen“, sagt Hamamexperte de Tervarent. „Das wurde bisher bei Spa-Trends vernachlässigt.“

Kuppeln, Halblicht, harmonische Proportionen – zentrale Elemente des Hamams erinnern an die mystische Atmosphäre einer Moschee. „Da gibt es strenge Regeln“, sagt de Tervarent. „Wie beim Kirchenbau.“ Anders als die Bäder der Römer hatte das arabische Hamam von Anfang an religiöse Bedeutung. Die Gläubigen kamen, um die strengen Reinheitsregeln des Islam einzuhalten. Deswegen entstanden Hamams meist neben Moscheen, oft vom selben Baumeister entworfen. Einer tunesischen Redensart zufolge darf sich ein Architekt erst als solcher bezeichnen, wenn er ein Minarett und ein Hamam gebaut hat.

Im Zuge der arabischen Expansion seit dem 7. Jahrhundert verbreiteten sich Hamams in Nordafrika, dem Mittleren Osten, von Klein- nach Zentralasien. Wann immer Europäer mit dieser Art der Reinigung in Berührung kamen, waren sie davon fasziniert. Die Kreuzritter berichteten im 11. Jahrhundert ebenso bewegt vom kollektiven Bad wie viktorianische Reisende, die den Begriff türkisches Bad prägten. Den Beobachtern entging nicht, dass das Hamam auch als Ort der Begegnung wichtig war. Gerade Frauen bot es Freiraum – auch wenn sie strikt unter sich bleiben mussten. 1897 schrieb die liberale „Neue Freie Presse“ aus Wien: „Der Hamam entschädigt türkische Frauen für all die Unterhaltung europäischer Frauen, auf die sie verzichten müssen: Theater, Tanz und Reisen.“

Eine Ahnung davon können Besucher heute noch in Ländern wie Syrien, Algerien oder Marokko erleben, wo der Hamambesuch weiterhin zum Alltag von Frauen und Männern gehört. In Syrien verbringen Frauen mit ihren Kindern halbe Tage im Hamam, ratschen, lachen, lästern über westliche Besucher, die oft vergleichsweise wenig Fett auf den Rippen haben. Zwischen Schwitzbädern und Waschungen essen sie von mitgebrachten Speisen. In Algerien und Marokko, beobachtet die Wiener Wissenschaftlerin Heidi Dumreicher, werden Hamams eingeplant, wenn neue Stadtteile am Reißbrett entstehen. Mit ihrem Institut Oikodrom untersucht Dumreicher gerade in einem von der EU finanzierten Projekt Rettungsmöglichkeiten für Hamams.

Doch die alten Prachtbauten verfallen, die hygienischen Verhältnisse entsprechen nicht westlichen Vorstellungen. Schon mit bloßen Füßen ist zu spüren, dass der Boden nicht sauber ist. „Die meisten Bäder bräuchten ein Upgrading, bevor sie Europäern gefallen würden“, sagt Dumreicher. Im al-Zaher, einem der schönsten Bäder von Damaskus, werden Gäste auf einem Camping-Tisch mit Plastikfurnier massiert, von der Decke blättert die Farbe ab.

In Kairo, das der Legende zufolge einst 365 Bäder besaß – eines für jeden Tag im Jahr – empfangen mittlerweile nur noch sechs Bäder Kundschaft – auch sie werden wohl bald schließen – aus Besuchermangel. Der Niedergang ist politisch durchaus gewollt: Die Islamisten stören sich an der Freizügigkeit – selbst wenn die Bäder streng nach Geschlechtern getrennt sind. Und Hamams gelten seit jeher als Orte, an denen offen diskutiert wird – auch das ist offenbar nicht erwünscht. Hinzu kommen hohe Betriebskosten und die banale Tatsache, dass immer mehr Haushalte über ein Badezimmer verfügen.

Historische Hamams in Istanbul

Als beliebtes Touristenziel zumindest haben mehrere historische Hamams in Istanbul überlebt. Und in Ankara kommen wohlhabende Einheimische gerne in das frisch restaurierte Sengül-Bad. „Sie wollen Geschichte riechen“, sagt Wissenschaftlerin Dumreicher. Manche wollen auch einfach nur Geschäfte machen: In Madrid bietet Medina Mayrit mitten im lärmigen Zentrum einen ruhigen Rückzugspunkt. Geschäftsleute kommen gerne mittags mit Verhandlungspartnern für eilige 20 Minuten in ihr Hamam, an das Ritual schließt sich eine Mahlzeit im angegliederten maurischen Restaurant an. „Das ist ein Fast-Food-Hamam“, sagt der belgische Designer de Tervarent, der am edlen Ambiente mitgewirkt hat. Doch das Konzept kommt extrem gut an.

Ganz ohne historischen Bezug begeistert sich in Zürich eine private Initiative für das Dampfbad. Nach langen Kämpfen mit Stadt und Anrainern wird ein öffentliches Hamam im Patumbah-Park entstehen. Die Gruppe lässt sich von einem Zitat aus Tausendundeiner Nacht leiten: „Wie kann eine Stadt, die so schön ist wie diese, ohne ein Warmbad sein, da dies doch eine der wunderbarsten Wonnen der Welt ist.“

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