
Bei Siemens schwappt die Infowelle hoch. An die Hundert Konzernmitarbeiter nutzten in den vergangenen Wochen das Angebot der beiden Top-Siemensianer Peter Löscher und Gerhard Cromme, freiwillig auszupacken. Wer schmierte wen und wo? Wer wusste etwas davon?
Das Entlastungsprinzip der Informanten: Je mehr Großkopferten bei Siemens – Bereichs- und Spartenchefs, Vorstände und Aufsichtsräte – in den Schmiergeldsumpf eingeweiht waren, desto unschuldiger die vielen Abteilungs- und Niederlassungsleiter. Siemens-Lenker Löscher hat Straffreiheit versprochen. Also gehen jetzt Hunderte von Hinweisen ein – Hiobsbotschaften an den Aufräumer und Chefkontrolleur Cromme, der selber über anderthalb Jahre dem Prüfungsausschuss vorsaß und an dem 1,3 Milliarden Euro an Schmiergeldern vorbeigezogen waren, ohne dass er etwas bemerkte.
Eine Mitschuld an dem Desaster aus seiner Zeit als Prüfungsausschussvorsitzender weist Cromme strikt zurück. Das Kunststück, diese Summen übersehen zu haben, wird aber nur noch von der Kunst übertroffen, den Sumpf trockenzulegen. Löscher und Cromme gründen ihre Hoffnung vor allem auf den Mittelbau im Management. Dieses kann sich durch die Befragungsaktion der US-Kanzlei Debevoise & Plimpton exkulpieren und mit Geständnissen die Mitwisserschaft nach oben weiterreichen.
Der Mittelbau war es aber auch, der Cromme bisher das größte Misstrauen entgegenbrachte. Seit April vergangenen Jahres, als der Stahlmanager – im Nebenberuf auch noch Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp – den Chefposten im Siemens-Kontrollgremium übernahm, war aus allen Ecken des Konzerns Gemoser über seinen autokratischen Stil zu hören. Loyalität zu Vorständen verhinderte, dass sich Siemens-Manager offenbarten. Das änderte sich erst mit Crommes Einladung, straffrei auszupacken. Seitdem gilt er als Verbündeter des mittleren Managements.
Mittlerweile ist das Trio Löscher, Cromme und Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, ebenfalls Mitglied im Aufsichtsrat, ein „Garant der Kontinuität im schwierigen Gespräch mit der Börsenaufsicht in den USA“, heißt es aus dem Aufsichtsrat.
Nur die Belegschaftsaktionäre haben diese Funktion von Cromme noch nicht mitbekommen. Sie wettern immer noch über sein Auftreten, das mit der „Axt im Walde“ verglichen wird. Darum wollen sie ihm auf der Hauptversammlung die Entlastung verweigern. Auch der Aktionärsverband DSW, er vertritt ein Prozent des Kapitals, will Crommes Wiederwahl verhindern.Allerdings werden dem DSW-Plan von anderen Aktionären „null Chancen“ eingeräumt.
Crommes Radikaloperation soll eine harte Kur folgen. Zwar sieht ein älterer Plan vor, bis 2010 weltweit gut 10 bis 20 Prozent der Managementpositionen in den Siemens-Verwaltungen zu streichen. In der Konzernzentrale am Münchner Wittelsbacherplatz geht der Schnitt aber tiefer. „Gut möglich, dass die Hälfte der Wittelsbacher gehen muss“, heißt es aus dem Konzern. Jetzt arbeiten in der Zentralresidenz noch 1200 Siemensianer.