Siemens Kommission Amigo

Über Jahrzehnte soll Siemens Betriebsräte geschmiert haben. Hat der Konzern gar eine gefügige Alternativgewerkschaft aufgebaut?

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Blick auf den Haupteingang eines Siemens-Gebäudes, AP

Es braucht nur wenige Worte, um eine große Karriere zu beenden. Siemens-Vorstand Johannes Feldmayer habe den Vorsitzenden des Aufsichtsrats gebeten, ihn von „seinen Obliegenheiten“ freizustellen, teilte der Münchener Konzern am vergangenen Mittwoch mit: „Diesem Wunsch ist entsprochen worden.“ Gerade mal zweieinhalb Jahre ist es her, dass Feldmayer als Kandidat für die Nachfolge des damaligen Konzernchefs Heinrich v. Pierer gehandelt wurde: Siemensianer seit 28 Jahren, Mitglied im Zentralvorstand seit 2003, zuständig unter anderem für IT und fürs Europageschäft, Honorarprofessor an der TU Berlin. Dass am Ende Klaus Kleinfeld 2005 den Vorstandsvorsitz erbte, tat Feldmayers Renommee keinen Abbruch. Der 50-Jährige mit dem hageren Hermann-Hesse-Gesicht galt im 480.000-Mitarbeiter-Konzern bis vor wenigen Tagen als informeller Kleinfeld-Vize. Am Dienstag wurde er verhaftet. Ein aktiver Konzernvorstand in Untersuchungshaft – in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ist das ein einmaliger Vorgang. Und auch gegen Karl-Hermann Baumann, einst hoch geachteter Aufsichtsratsvorsitzender und früher als Finanzvorstand einer der mächtigsten Siemens-Bosse, wird ermittelt. Damit kommen die Einschläge auch für v. Pierer und Kleinfeld näher. Der Vorstandschef kann sich jedoch der Rückendeckung der großen Investoren sicher sein. „Der Kapitalmarkt traut es ihm zu, Siemens auf mehr Transparenz und ethisch korrektes Verhalten einzuschwören“, sagt ein Fonds-Manager eines der größten Siemens-Investoren. Der Vorstandschef stehe dafür, den Koloss auf mehr Profitabilität zu trimmen. „Müsste er zurücktreten, wäre dies extrem negativ für die Aktie.“ V. Pierers Rücktritt hingegen „wäre vermutlich positiv“: Er stehe für die alten Siemens-Strukturen. Die neuen Ermittlungen stehen im Zusammenhang mit einer anscheinend geschmierten Betriebsratsorganisation. Siemens, so der Verdacht der Staatsanwälte, habe über Jahrzehnte mit Millionenzahlungen am Aufbau einer gefügigen Arbeitnehmervertretung mitgewirkt und sogar eine alternative Gewerkschaft aufgebaut: die Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger, kurz AUB. Damit würde die Affäre den VW-Skandal um Ex-Personalchef Peter Hartz in den Schatten stellen. Bei Volkswagen waren Betriebsräte wie der Vorsitzende Klaus Volkert mit Lustreisen und Gehaltsboni geködert worden. Der neue Siemens-Skandal hatte vor sechs Wochen noch mit einem eher marginalen Ereignis begonnen. Da wurde der frühere Betriebsrat und AUB-Vorsitzende Wilhelm Schelsky wegen mutmaßlicher Steuerdelikte verhaftet. Klar war: Es ging um Geld aus einem Vertrag Schelskys mit Siemens. Feldmayer sei zwar vernommen worden, so die Staatsanwälte Mitte Februar, sei aber kein Beschuldigter. Heute hingegen glauben die Ermittler, dass aus dem Vermögen von Siemens Gelder an diverse Unternehmensberatungsgesellschaften Schelskys geflossen sind, „ohne dass hierfür werthaltige Gegenleistungen erbracht wurden“. Grundlage dafür war ein Beratervertrag, den Feldmayer 2001 noch als Fachvorstand für Automatisierungs- und Antriebstechnik mit Schelsky abgeschlossen hatte. Feldmayer habe, so werfen ihm die Staatsanwälte vor, dabei 15,5 Millionen Euro veruntreut. Insgesamt sollen seit 2001 rund 34 Millionen Euro an Schelsky geflossen sein. Da die Staatsanwälte bislang nur Zahlungen der Jahre 2001 bis 2005 im Visier haben, könnte das erst die Spitze des Eisbergs sein. Schelsky ist seit 1984 AUB-Chef. „Die Geschichte läuft seit über 20 Jahren, deshalb ist es wahrscheinlich, dass wir am Ende über einen dreistelligen Millionenbetrag reden“, heißt es im Umfeld von Siemens. Der Konzern wollte das nicht kommentieren.

Den wahren Zweck der Zahlungen versucht die „Sonderkommission Amigo“ mit Ermittlern der Staatsanwaltschaft, der Nürnberger Steuerfahndung und der Kriminalpolizei herauszufinden. Naheliegend ist der Verdacht, Siemens habe damit Schelsky geholfen, aus einem kleinen Häuflein von Nicht-DGB-Gewerkschaftern, die Betriebsratssitze errungen hatten, eine schlagkräftigere Organisation zu entwickeln, die der IG Metall Paroli bieten kann. Den IG Metallern waren die Konkurrenten noch nie geheuer. Sie beobachteten, dass die AUB trotz niedriger Mitgliedsbeiträge – acht Euro im Monat – aufwändige Wahlkämpfe und teure Werbemittel finanzieren konnte. Und die Betriebsräte-Vereinigung hat bei Siemens einigen Einfluss und stellt die Betriebsratschefs mehrerer Sparten und Tochtergesellschaften – etwa bei Infineon am Standort Dresden und bei der angeschlagenen IT-Tochter SBS. Die Anfänge der AUB reichen bis in die frühen Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Am Siemens-Standort Erlangen dominierten damals IG-Metall-Betriebsräte die Arbeitnehmervertretung, „von denen viele in der DKP waren“, erinnert sich Horst-Udo Niedenhoff, Gewerkschaftsexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Der damalige Siemens-Personalchef Eberhard Koffka sah es nicht ungern, dass kritische Mitarbeiter als gewerkschaftlich Unabhängige kandidierten. Ihr Frontmann Dietrich Ummelmann hatte Erfolg, und das nicht nur bei Betriebsratswahlen. Er wurde Betriebsratschef und machte später Karriere als Siemens-Standortleiter in Erlangen. Sein Nachfolger war Wilhelm Schelsky, die Schlüsselfigur des neuen Siemens-Skandals. Der Sohn des renommierten Soziologen Helmut Schelsky hatte nach einigen Semestern Jurastudium in Bonn in der Siemens-Zentrale eine kaufmännische Lehre absolviert, kam 1978 an den Standort Erlangen, wurde dort AUB-Betriebsrat und 1984 Betriebsratschef, als Ummelmann abtrat. Aber auch Schelsky fühlte sich mit einer Laufbahn als Arbeitnehmervertreter nicht ausgelastet. Er verließ Siemens Anfang der Neunzigerjahre, machte sich selbständig und wurde dabei von seinem alten Arbeitgeber an die Hand genommen. Siemens lagerte in Erlangen die Sicherheitsabteilung aus. Schelskys Erlanger Sicherheits Service GmbH ESS, die heute rund 200 Mitarbeiter hat, übernahm den Auftrag samt Belegschaft. Ein erster Siemens/Schelsky-Vertrag von 1991 sah laut der „Süddeutschen Zeitung“ Zahlungen von umgerechnet jährlich 322.000 Euro vor. Später unter Feldmayer lagen die Beträge um ein Vielfaches höher.

Ein knappes Dutzend Unternehmen finden sich heute, die Schelsky ganz oder teilweise gehören. Oft mit Siemens als Partner. Und das, obwohl Schelsky als AUB-Chef auf der Arbeitnehmerseite stand. Als Siemens 2002 den auf die Fertigung von Netzzugangstechnik für Telefon und Datenübertragung spezialisierten Siemens-Standort IT Network in Greifswald auslagerte, war Schelsky wieder mit dabei. Ein Teil der heutigen Manufacturing Logistics & Services mit knapp 300 Mitarbeitern und 70 Millionen Euro Umsatz gehört den Geschäftsführern. 24,9 Prozent der Anteile liegen noch bei Siemens. Schelsky hält sichtbar 24,5 Prozent. Aber auch hinter den 16 Prozent, die einer Ubus GmbH gehören, steckt er. Seine Partnerin dort ist die Rechtsanwältin Claudia Uhr. Der Name Ubus steht für „Unternehmensberatung Uhr Schelsky“ weiß ein Schelsky-Intimus. Die Bezeichnung Schema Unternehmens-Infrastruktur-Planung GmbH wiederum setzt sich zusammen aus dem Anfang der Namen Schelsky und Mahling. Lothar Mahling ist ein Freund Schelskys und war zeitweise nah dran an illustren Leuten. Er fungierte unter Martin Bangemann als Sprecher der FDP, gilt als gut bekannt mit dem durch die Scharping-Affäre abgestürzten PR-Berater Moritz Hunzinger und ist heute Mitglied der Hauptgeschäftsführung bei der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Nicht zu vergessen: Mahling war auch mal Pressesprecher der AUB. Bei Schema haben sich Schelsky und Mahling getrennt. Beteiligt war der FDP-Mann auch an dem seit 1992 existierenden Unternehmen Führungs-Forum Gesellschaft zur Qualifizierung von Führungskräften. Dritter Partner: der Betriebsverfassungsexperte Niedenhoff. Das Joint Venture sollte Seminare für Betriebsräte und Führungskräfte anbieten, in denen betriebswirtschaftliche Probleme „seriös aus verschiedenen Perspektiven beleuchten werden sollten“, sagt Niedenhoff. Er und Schelsky wollten sich gegenseitig die Bälle zuwerfen, „ich als Wissenschaftler, er als Betriebsrat“, Arbeitsrichter oder Manager sollten wiederum deren Sichtweise erläutern. Doch das Führungs-Forum habe „nie richtig funktioniert“, sagt Niedenhoff. Die Gesellschaft ist seit Ende 2006 in Liquidation. Vielleicht hatte Schelsky zu viel um die Ohren. Schließlich kontrolliert er laut Creditreform in Greifswald auch noch ein Bauunternehmen (Gauger Bau GmbH) und eine GTV Film und Fernsehen GmbH, an der Ubus 51 Prozent hält. Während aus dem Betriebsrat Schelsky ein sehr vielseitiger und undurchsichtiger Businessman wurde, wuchs seine AUB zu stattlicher Größe. Die Organisation hat 32.000 Mitglieder, von denen 19.000 Betriebsräte sind. Sie ist keine Gewerkschaft, sondern ein Verein. Beim konzerninternen IT-Dienstleister SBS ist AUB-Mitglied Hildegard Cornudet Betriebsratsvorsitzende und hat auch Sitz und Stimme im Siemens-Aufsichtsrat. Dort, beklagt ein gewerkschaftlich organisiertes Aufsichtsratsmitglied, habe Cornudet beim Widerstand gegen die Ausgliederung der Telekommunikations-Sparte „nicht mit den übrigen Arbeitnehmervertretern mitgezogen“.

Längst ist die AUB über Siemens hinaus gewachsen und in anderen Branchen aktiv. Im Handel vertreten AUB-Leute bei Obi, Hornbach und Aldi-Nord die Mitarbeiterinteressen – aber ganz anders als die DGB-Gewerkschaften, die laut AUB-Satzung eine „ferngesteuerte, oft auch parteipolitische Machtpolitik“ betreiben“. Zehn Prozent der Stimmen gewannen AUB-Kandidaten bei den Betriebsratswahlen 2006. Bald werde die AUB „der einzige Wettbewerber des Deutschen Gewerkschaftsbundes“ sein, prophezeite Schelsky, bevor er jetzt aus der Nürnberger Justizvollzugsanstalt heraus nach 21 Jahren seinen Rücktritt erklärte. Gewerkschaftsexperte Niedenhoff bestreitet, dass Unternehmen an einer innerbetrieblichen Opposition zur Gewerkschaft interessiert seien: „Eigentlich haben sie lieber einen homogenen und berechenbaren Partner.“ Er glaubt auch nicht, dass Siemens-Geld wirklich der AUB zugute gekommen ist – eher habe Siemens Schelsky finanziell ausgestattet, damit der sich in die ausgelagerten Betriebe einkaufen konnte. Trotzdem sieht es so aus, als hätte die Unterstützung der Siemens-Chefetage neben dem Unternehmer Schelsky auch dem Anti-Gewerkschafter gegolten. Laut „Süddeutscher Zeitung“ hat Schelsky allein von 2002 bis 2004 gut 2,5 Millionen Euro von Siemens an die AUB weiter gereicht – Mittel für Mieten, Gehälter, Technik und Werbung der AUB. Wenn die Handballer des VfB Forchheim in Oberfranken oder den Greifswalder SV 04 für die AUB warben, gab das Geld dafür Schelsky. Ansonsten, beteuert AUB-Vorstandsmitglied Traute Jäger, habe Schelsky aber AUB- und Unternehmensfinanzen auseinander gehalten. Der Mann aus dem beschaulichen Hausen in Oberfranken kam aber auch nicht zu kurz. Er hat ein Anwesen in Kanada, angeblich zusammen mit Freund Mahling. Außerdem, wie in der früheren Sparkassenreklame: eine Yacht, eine Villa an der Ostsee. Dass er sich das leisten konnte, hat den IW-Wissenschaftler Niedenhoff nie irritiert: „Die Familie war ja wohlhabend. Außerdem dachte ich, das Geld stammt aus der Erbschaft nach dem Tod von Schelskys Mutter in den Neunzigerjahren.“ Was nun über seinen Ex-Geschäftspartner bekannt wird, findet der Kölner „so schlimm“ wie die Bestechungs- und Prostituierten-Affäre des ehemaligen VW-Betriebsratschefs Volkert: „Leid tun mir die aufrichtigen Betriebsräte, die meist nicht viel verdienen und sich verraten fühlen müssen“.

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