Siemens Korruptionsaffäre trifft Siemens-Topmanager bis ins Mark

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Bis dahin schauen bei Siemens Hunderte von Managern freilich nur auf einen Mann. Denn das abrupte Ausscheiden von Medizintechnik-Chef Reinhardt traf viele bis ins Mark. Hier nimmt einer in der Schmiergeldaffäre seinen Hut, der dem Prototyp des verlässlichen, ja biederen Siemensianers entspricht. Intern war es Reinhardt – auch genannt Mr. Medizintechnik – der dem Geschäft ein Gesicht verlieh. Der heute 61-jährige Schwabe leitete die Sparte mit Sitz in Erlangen seit 1994. In jener Zeit wurde er ein enger Vertauter Pierers. In den Neunzigerjahren forderten Investoren und Analysten immer wieder, Siemens sollte die damals angeschlagene Medizintechnik verkaufen. Doch Pierer blieb standhaft und beauftragte Reinhardt mit der Sanierung. Der formte aus dem einstigen Sorgenkind einen der größten Gewinnbringer des Konzerns.

Nun erweist sich: Ausgerechnet das beste Pferd im Stall von Siemens war gedopt. Und selbst wenn der Jockey Reinhardt von Doping nichts wusste, könnte der neuerliche Korruptionsfall in der Folge weitere Manager mitreißen. Denn unter Reinhardt haben namhafte Siemensianer wie etwa Ex-Vorstandschef Klaus Kleinfeld, heute die Nummer zwei beim US-Aluminiumproduzenten Alcoa, oder der heutige Siemens-China-Chef Richard Hausmann Karriere gemacht. Kleinfeld wechselte 1998 nach Erlangen und leitete das weltweite Geschäft für Röntgenanlagen. Anfang 2000 wurde er Mitglied des Bereichsvorstands Medizintechnik, bis er ein Jahr später die Leitung von Siemens in den USA übernahm. Hausmann wiederum arbeitete von 1988 an in der Medizinsparte und verantworte dort zuletzt zwischen 2000 und 2004 das Geschäft mit Computertomografie.

Laut den Erkenntnissen von Debevoise seien die schwarzen Kassen in der Medizintechnik bereits in den Neunzigerjahren installiert worden, heißt es in Anwaltskreisen; überdies weise das dortige Finanzsystem Parallelen zu den geheimen Kassen im früheren Kommunikationsgeschäft von Siemens auf, der bis heute am stärksten in die Affäre verwickelten Sparte.

Dennoch schien die Medizintechnik bisher von dem Skandal weitgehend unbefleckt. Ende Januar gab Siemens bekannt, rund 44 Millionen Euro seien in dem Geschäftsbereich als fragwürdig identifiziert worden – also nur ein Bruchteil der insgesamt inkriminierten 1,3 Milliarden Euro. Allerdings gilt der Siemens-Zweig für Unternehmensinsider schon seit Langem als korruptionsanfällig. Schließlich geht es auch in der Medizin um öffentliche Aufträge, und zwar nicht nur um einzelne Geräte wie etwa Computertomografen – manche Verträge umfassen gleich die gesamte Betreuung der technischen Infrastruktur eines Krankenhauses.

So kamen bereits in der Vergangenheit Mauscheleien ans Tageslicht. Beispiel China: Im September 2007 wurden Ermittlungen der chinesischen Antikorruptionsbehörden bekannt. Siemens-Beschäftigte sollen den Chef eines chinesischen Krankenhauses geschmiert haben, der für den Einkauf von Medikamenten und medizinischem Gerät zuständig war. Zuvor hatte China-Chef Hausmann als Reaktion auf einen Artikel der WirtschaftsWoche einige Fälle von „unangemessenen Geschäftsaktivitäten“ und die Entlassung von 20 Mitarbeitern in seiner Landesgesellschaft eingeräumt (WirtschaftsWoche 34/2007).

Beispiel USA: Dort musste Siemens im vergangenen Jahr im Rahmen eines Vergleichs 2,5 Millionen Dollar Strafe und Schadensersatz wegen Behinderung der Justiz zahlen. Siemens hatte sich einen Auftrag für die radiologische Ausstattung eines amerikanischen Krankenhauses durch eine Scheinkooperation mit einem Geschäftsmann erschlichen, der von Siemens mit einer halben Millionen Dollar bezahlt worden war. Konkurrent GE klagte gegen die Auftragsvergabe und gewann; Siemens musste den Auftrag an GE abtreten.

Sogar noch größeres Unheil könnte auf das Medizintechnikgeschäft künftig zukommen. Immerhin erwirtschaftet die Sparte rund 40 Prozent ihres gesamten Umsatzes in den USA. Sollte bei weiteren Untersuchungen herauskommen, dass Siemens auch auf amerikanischem Boden geschmiert hat, könnte die US-Börsenaufsicht SEC unter dem zusätzlichen Druck des US-Justizministeriums versucht sein, noch drakonischere Strafen zu verhängen – sogar eine Zerschlagung des Siemens-Amerikageschäfts wird, wie Mitarbeiter des Siemens-Controllings berichten, im Konzern dann nicht mehr ausgeschlossen.

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