Siemens Korruptionsaffäre trifft Siemens-Topmanager bis ins Mark

Der Nächste, bitte: Nach dem Rücktritt von Siemens-Vorstand Erich Reinhardt kommen weitere Top-Manager ins Visier der Korruptionsermittler.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Siemens-Finanzvorstand Joe Quelle: REUTERS

Montag vergangene Woche, Flughafen Düsseldorf: Lufthansa-Flug 839 startet pünktlich um 13.45 Uhr nach München. Auf Platz 2A in der Businessclass, er hat die Reihe für sich, sitzt Gerhard Cromme, Aufsichtsratschef von Siemens und ThyssenKrupp. Interessiert studiert er die Nachrichtenlage zum Thema Siemens in mehreren Tageszeitungen. Was zu dem Zeitpunkt noch niemand weiß: Cromme selbst hat Material im Gepäck, mit dem er den Nachrichtenfluss weiter einheizen wird. Es handelt sich um einen 15-seitigen Zwischenbericht über das Schmiergeldsystem bei Siemens, angefertigt von der US-Anwaltskanzlei Debevoise & Plimpton.

Am Dienstag spricht er mit Erich Reinhardt, Chef des Medizintechnikgeschäfts und Konzernvorstand. Anlass sind neue Informationen über ein Finanznetz in Reinhardts Sparte. Laut Debevoise-Erkenntnissen sollen über Konten in Dubai zwischen 2001 und 2006 dubiose Gelder in Höhe von 70 Millionen Euro geflossen sein.

Am Mittwoch verkündet Reinhardt seinen Rücktritt. Er sei persönlich nicht in die Vorgänge involviert, übernehme damit aber die Verantwortung für Verfehlungen in seinem Bereich. Am Donnerstag kündigte die Staatsanwaltschaft München Ermittlungen in der Siemens-Medizinsparte an.

Damit kommt die Schmiergeldaffäre bei Siemens in eine neue Dimension. Denn mit Reinhardt muss ein altgedienter Siemensianer gehen, ein langjähriger Weggefährte von Ex-Konzernchef Heinrich v. Pierer. Womit sich nun die Frage stellt: Wer steht noch auf Crommes Liste, mit welchen Bewertungen und Härtegraden hinter jedem einzelnen Namen?

Gut 150 ehemalige und aktive Siemensianer haben die Anwälte von Debevoise im Auftrag Crommes in unterschiedlichen Kategorien bewertet: Täter, Wisser, Mitwisser. Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss von Siemens schauten zu Beginn der vergangenen Woche auf das Konvolut, das Cromme mit sich im Fluggepäck geführt hatte und in der Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz auf den Tisch legte.

Es sollen diverse bekannte Namen auf dem Debevoise-Dossier stehen, Joe Kaeser etwa, was besonders heikel für Siemens wäre – er ist amtierender Finanzvorstand des Konzerns. Es steht für den Neuanfang nach der Ära Pierer, vor Analysten präsentiert der Nachfolger des Ex-Siemens-Finanzvorstandes Heinz-Joachim Neubürger das neue Siemens-Gesicht. Die Debevoise-Fahnder haben sich ihn dennoch hart vorgenommen, heißt es. Denn auch Kaeser hat eine Siemens-Vergangenheit, er war jahrelang in verantwortlicher Position bei der von Schmiergeldzahlungen besonders betroffenen Com-Sparte tätig.

„Es gibt bei Kaeser eine Anscheinsvermutung“, heißt es im Siemens-Umfeld. Siemens-Controller haben jeden Beleg aus der Com-Zeit von Kaeser umgedreht. Heute sagt einer von ihnen: „Die Debevoise-Leute haben sich auf Kaeser eingeschossen.“ Mit einem Ergebnis der Bewertung ist aber bis nächste Woche nicht zu rechnen. Offiziell wollte Siemens dazu keine Stellung nehmen. Kaeser war bis zum Redaktionsschluss nach Angaben seiner Anwälte auf einem langen Auslandsflug und nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Anders bei zwei weiteren Namen, die auf der Liste stehen sollen: Ex-Finanzchef Neubürger und der frühere Aufsichtsratsvorsitzende Karl-Hermann Baumann, gegen den die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ermittelt. Neubürger und Baumann droht der Siemens-Aufsichtsrat mit einer Schadensersatzklage. Am Montag und Dienstag soll die Entscheidung fallen.

Das Debevoise-Material wird noch gesichtet und bewertet. Was schwer wiegt: Baumann war als Aufsichtsratsvorsitzender nach Angaben von Siemens-Controllern in den sogenannten Nigeria-Fall verwickelt. Unterlagen darüber stammen aus einer Großrazzia bei Siemens im November 2006. Erste konzerninterne Hinweise darauf stammten vom Oktober 2003. In der Sparte Kommunikation sollen mehr als vier Millionen Euro in Bargeld an nigerianische Unterhändler gezahlt worden sein, um einen Auftrag für den Bau eines Telefonnetzes zu ergattern. Siemens-Mitarbeiter hatten Banknoten angeblich im Flugzeug nach Nigeria mitgeführt und Angaben beim Zoll gefälscht.

Neubürger, gegen den die Staatsanwaltschaft München seit Anfang 2007 wegen Beihilfe zur Untreue und Steuerhinterziehung ermittelt, sagte bei einer Vernehmung zu der Nigeria-Affäre, es tue im im Nachhinein leid, den frühen Hinweisen der Revision nicht nachgegangen zu sein. Und auch der damalige Aufsichtsratsvorsitzende soll involviert gewesen sein. „Über diese Bargeldzahlungen soll Baumann unterrichtet worden sein, Nachfragen vermied er“, sagen Siemens-Mitarbeiter heute. Ob der Vorgang für eine Schadensersatzklage ausreicht, wird am 28. und 29. April vom Siemens-Aufsichtsrat entschieden.

Bis dahin schauen bei Siemens Hunderte von Managern freilich nur auf einen Mann. Denn das abrupte Ausscheiden von Medizintechnik-Chef Reinhardt traf viele bis ins Mark. Hier nimmt einer in der Schmiergeldaffäre seinen Hut, der dem Prototyp des verlässlichen, ja biederen Siemensianers entspricht. Intern war es Reinhardt – auch genannt Mr. Medizintechnik – der dem Geschäft ein Gesicht verlieh. Der heute 61-jährige Schwabe leitete die Sparte mit Sitz in Erlangen seit 1994. In jener Zeit wurde er ein enger Vertauter Pierers. In den Neunzigerjahren forderten Investoren und Analysten immer wieder, Siemens sollte die damals angeschlagene Medizintechnik verkaufen. Doch Pierer blieb standhaft und beauftragte Reinhardt mit der Sanierung. Der formte aus dem einstigen Sorgenkind einen der größten Gewinnbringer des Konzerns.

Nun erweist sich: Ausgerechnet das beste Pferd im Stall von Siemens war gedopt. Und selbst wenn der Jockey Reinhardt von Doping nichts wusste, könnte der neuerliche Korruptionsfall in der Folge weitere Manager mitreißen. Denn unter Reinhardt haben namhafte Siemensianer wie etwa Ex-Vorstandschef Klaus Kleinfeld, heute die Nummer zwei beim US-Aluminiumproduzenten Alcoa, oder der heutige Siemens-China-Chef Richard Hausmann Karriere gemacht. Kleinfeld wechselte 1998 nach Erlangen und leitete das weltweite Geschäft für Röntgenanlagen. Anfang 2000 wurde er Mitglied des Bereichsvorstands Medizintechnik, bis er ein Jahr später die Leitung von Siemens in den USA übernahm. Hausmann wiederum arbeitete von 1988 an in der Medizinsparte und verantworte dort zuletzt zwischen 2000 und 2004 das Geschäft mit Computertomografie.

Laut den Erkenntnissen von Debevoise seien die schwarzen Kassen in der Medizintechnik bereits in den Neunzigerjahren installiert worden, heißt es in Anwaltskreisen; überdies weise das dortige Finanzsystem Parallelen zu den geheimen Kassen im früheren Kommunikationsgeschäft von Siemens auf, der bis heute am stärksten in die Affäre verwickelten Sparte.

Dennoch schien die Medizintechnik bisher von dem Skandal weitgehend unbefleckt. Ende Januar gab Siemens bekannt, rund 44 Millionen Euro seien in dem Geschäftsbereich als fragwürdig identifiziert worden – also nur ein Bruchteil der insgesamt inkriminierten 1,3 Milliarden Euro. Allerdings gilt der Siemens-Zweig für Unternehmensinsider schon seit Langem als korruptionsanfällig. Schließlich geht es auch in der Medizin um öffentliche Aufträge, und zwar nicht nur um einzelne Geräte wie etwa Computertomografen – manche Verträge umfassen gleich die gesamte Betreuung der technischen Infrastruktur eines Krankenhauses.

So kamen bereits in der Vergangenheit Mauscheleien ans Tageslicht. Beispiel China: Im September 2007 wurden Ermittlungen der chinesischen Antikorruptionsbehörden bekannt. Siemens-Beschäftigte sollen den Chef eines chinesischen Krankenhauses geschmiert haben, der für den Einkauf von Medikamenten und medizinischem Gerät zuständig war. Zuvor hatte China-Chef Hausmann als Reaktion auf einen Artikel der WirtschaftsWoche einige Fälle von „unangemessenen Geschäftsaktivitäten“ und die Entlassung von 20 Mitarbeitern in seiner Landesgesellschaft eingeräumt (WirtschaftsWoche 34/2007).

Beispiel USA: Dort musste Siemens im vergangenen Jahr im Rahmen eines Vergleichs 2,5 Millionen Dollar Strafe und Schadensersatz wegen Behinderung der Justiz zahlen. Siemens hatte sich einen Auftrag für die radiologische Ausstattung eines amerikanischen Krankenhauses durch eine Scheinkooperation mit einem Geschäftsmann erschlichen, der von Siemens mit einer halben Millionen Dollar bezahlt worden war. Konkurrent GE klagte gegen die Auftragsvergabe und gewann; Siemens musste den Auftrag an GE abtreten.

Sogar noch größeres Unheil könnte auf das Medizintechnikgeschäft künftig zukommen. Immerhin erwirtschaftet die Sparte rund 40 Prozent ihres gesamten Umsatzes in den USA. Sollte bei weiteren Untersuchungen herauskommen, dass Siemens auch auf amerikanischem Boden geschmiert hat, könnte die US-Börsenaufsicht SEC unter dem zusätzlichen Druck des US-Justizministeriums versucht sein, noch drakonischere Strafen zu verhängen – sogar eine Zerschlagung des Siemens-Amerikageschäfts wird, wie Mitarbeiter des Siemens-Controllings berichten, im Konzern dann nicht mehr ausgeschlossen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%