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Siemens-Manager-Anwalt im Interview "Szenisch effektvoll und überraschend"

Der Münchner Wirtschaftsstrafrechtler Ulrich Wastl über die Verhörmethoden der amerikanischen Anwälte in der Siemens-Schmiergeldaffäre.

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Rechtsanwalt Ulrich Wastl von der Kanzlei Westpfahl & Spilker

In den kommenden Tagen werden Ermittler der gefürchteten US-Börsenaufsicht SEC in München erscheinen und die Ergebnisse der Vernehmungen in Empfang nehmen, die das US-Rechtsanwaltsbüro Debevoise & Plimpton im Auftrag von Siemens mit Managern geführt hat.

Rechtsanwalt Ulrich Wastl beschleichen da ungute Gefühle. Denn die teilweise sehr harten Verhöre schießen seiner Meinung nach weit über ihr Ziel hinaus und sind mit dem deutschen Rechtsverständnis nicht vereinbar. Das rigide Verfahren, das den Schmiergeldsumpf in Höhe von 1,5 Milliarden Euro, die an der Bilanz vorbeigeschmuggelt wurden, freilegen soll, hat auch den Zweck, die SEC zu besänftigen und Siemens von astronomisch hohen Strafzahlungen in Höhe von mehreren Milliarden Euro zu bewahren. In der deutschen Industrie regt sich auch Widerstand. Siemens solle durch das Verfahren geschwächt werden, so der Vorwurf. Amerikanische Siemens-Konkurrenten betrieben über die SEC eine eigene „Industrieförderungspolitik“.

WirtschaftsWoche: Wie treten die Anwälte der bei Siemens ermittelnden amerikanischen Rechtsanwaltskanzlei Debevoise & Plimpton auf? Man hat von sehr schroffen Methoden gehört, die Siemens-Manager über die Schmiergeldaffäre zu befragen oder gar zu verhören

Ulrich Wastl: Da muss man sich erst einmal darüber unterhalten, was rechtsstaatswidrig ist und was nicht.

Tun wir das.

Rechtsstaatswidrig ist es auf keinen Fall, wenn die SEC ihrerseits im vorgesehenen formellen Rechtshilfewege irgendwelche Ermittlungen durchführt. Eine andere Frage ist die Einschaltung von US-Vertrauenskanzleien im Zuge von SEC-Ermittlungsverfahren zum Zwecke privater Ermittlungen. Letztlich wird Siemens mit mehr oder weniger sanften Druck von der SEC dazu aufgefordert, eine Kanzlei damit zu beauftragen, umfassend sein Compliance-System zu überprüfen und über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren das gesamte Unternehmen oder Unternehmensteile zu untersuchen, ob irgend etwas strafrechtlich Relevantes vorgefallen ist. Das wirkt auf einen deutschen Juristen schon etwas eigenartig.

Warum?

Eine Verlagerung staatlicher Ermittlungen auf Private ist bei uns im Strafrecht unbekannt, zumal ohne Benennung einer konkret zu untersuchenden Straftat.

Worin besteht die Verlagerung staatlicher Ermittlungen auf Private?

Wenn das Unternehmen private Anwälte beauftragt und bezahlt, flächendeckende Ermittlungen aufzunehmen. Da sind ja jetzt schon zwischen 700 und 800 Millionen Euro inklusive eingeschalteter Wirtschaftsprüfer aufgelaufen, das sind Kosten des Unternehmens für die verlagerten staatlichen Ermittlungen. Mit dieser Vorgehensweise wird gezielt der steinige Weg der internationalen Rechtshilfe einfach umgangen. Diese Anwälte, die hier im Auftrag von Siemens auftreten, müssen ihre Ermittlungsergebnisse bei der SEC abliefern. Es besteht volle Berichtspflicht. Dazu werden sie vom Unternehmen nach amerikanischem Vorbild auch von der Anwaltsverschwiegenheit entbunden. Die SEC erhält sogar unter Umständen Zugriff auf Anwaltsnotizen und Vermerke. Das gibt es im deutschen Recht nicht, aber im amerikanischen Recht sehr wohl. Hier prallen zwei Rechtskulturen aufeinander. Die amerikanische Rechtskultur hat nichts gegen Privatermittlungen im Strafrecht.

Warum werden Ermittlungen Privater in Strafsachen - wie in den USA üblich - auf deutschem Boden hingenommen? Kann man diese Ermittler dann nicht anzeigen, wenn sie Unrechtes tun?

Das wäre überspitzt. Bei Ermittlungen Privater sollten allerdings auch die Standards gelten, die bei staatlichen Ermittlungen zwingend beachtet werden müssen. Dazu zählt insbesondere die Interessenvertretung des zu Befragenden durch einen nur seinen Interessen verpflichteten Anwalt, der zudem den hiesigen Rechtsgrundsätzen verpflichtet ist. Vor allem sollte der Befragte vorher wissen, zu was er befragt wird, diese Information wird ihm ohne eigene anwaltliche Unterstützung regelmäßig vorenthalten. Außerdem sollte das, was in den Befragungen der Ermittler zu Tage tritt, einem generellen Beweisverwertungsverbot unterliegen. Das heißt, die deutschen Staatsanwaltschaften sollten diese in den Vernehmungen erlangten Informationen von Debevoise & Plimpton nicht zur Grundlage ihrer Ermittlungen machen. Das sollte sowohl für strafrechtliche als auch zivilprozessrechtliche Verfahren gelten. Die Weitergabe der Informationen von Privatermittlern an die SEC halte ich sowieso für rechtswidrig.

Wie wollen Sie das verhindern?

Neben dem eben gerade geschilderten Beweisverwertungsverbot ist es entscheidend, die Umgehung des Rechtshilfeweges nicht dadurch zu honorieren, dass die Staatsanwaltschaft die ihr von den Ermittlern präsentierten „Ergebnisse“ auf dem offiziellen Weg der SEC weiterreicht. Ich sehe diverse Möglichkeiten, dieses auf dem Gerichtswege zu verhindern.

Wie sehen die Befragungen oder Verhöre aus?

Sie werden Interviews genannt, aber man kann sie durchaus als Verhöre oder Vernehmungen bezeichnen. Zunächst bekommt der jeweilige Mitarbeiter ein Schreiben, in dem er aufgefordert wird, sich zu einem gewissen Zeitpunkt an einem Ort einzufinden und Fragen zu beantworten. Dies kann auch mit dem Hinweis verbunden sein, dass Siemens auf Schadenersatzforderungen und arbeitsrechtliche Maßnahmen verzichtet, wenn die Fragen zur Zufriedenheit der Ermittler beantwortet werden, die sogenannte Amnestie. Im Umkehrschluss können solche Maßnahmen drohen. Mit diesem Gefühl geht der Siemens-Mitarbeiter nun dorthin.

Kann er einen Rechtsanwalt mitbringen?

Das wagen viele nicht, weil sie meinen, ihrem Arbeitgeber Siemens damit eine irgendwie geartete Schuld zu signalisieren. Es wird ihnen ja auch mitgeteilt, dass vor Ort für seine Rechtsberatung und Vertretung gesorgt ist. Dort sitzt ein Anwalt einer Kanzlei, nach meinem Wissen im Regelfall einer anderen angloamerikanischen Großkanzlei, die auch geschäftliche Kontakte mit Siemens unterhält. Dort wird dann der Mitarbeiter kurzfristig vor dem angesetzten Termin informiert. Dann geht dieser Mitarbeiter mit dem nicht unbedingt Siemens-fernen Anwalt ins Interview. Er erfährt das erste Mal, wer ihm da gegenübersitzt. Das ist ein Befragender von Debevoise & Plimpton und ein Protokollant. In dieser Situation können aber auch weitere Anwälte von Debevoise & Plimpton sitzen, Vertreter von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Vertreter der Siemens AG, die darüber befinden, ob die Aussage ausreicht, um die Amnestieerklärung zu erhalten. Er wird darüber unterrichtet, dass die gewonnenen Erkenntnisse auch an Ermittlungsbehörden gegeben werden, an amerikanische wie deutsche.

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