Skimode Nobelmarke Kjus: Weltraumstoff als Edel-Outfit

Mit Stoffen aus der Weltraumforschung hat der Skibekleidungshersteller Kjus eine Nobelmarke geschaffen – jetzt versucht er es mit edlem Alltagsoutfit.

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Designer mit Prototyp einer Jacke: Ultraleichte Skikleidung sorgt für Umsatzrekort

Stundenlang saß der norwegische Skirennläufer Lasse Kjus mit Didi Serena, dem ehemaligen Miteigentümer der Schweizer Sportbe-kleidungsfirma Odlo, und dessen Sohn Nico vor dem Bildschirm. Das Trio durchsuchte das Internet nach einem Material, das die optimale Wärmeregulierung in Skijacken und -hosen garantieren würde. Den Norweger Kjus, Olympiasieger und Gewinner von 18 Weltcup-Rennen, nervte nämlich seine Ausrüstung gewaltig. Der Profi fror auf der Piste, weil Jacken und Hosen nicht hielten, was die Hersteller versprachen.

Heute, neun Jahre nach der Internet-Suche, ist Kjus das wohl erfolgreichste Label für Skibekleidung der gehobenen Preisklasse: Eine Kjus-Jacke kostet stolze 1000 bis 1600 Euro. 2008 wird mit 40 Millionen Euro Umsatz als Rekordjahr in die Firmengeschichte von Kjus Systems eingehen — dem weltweiten Wirtschaftsabschwung zum Trotz. Selbst jetzt in der Rezession verkauften sich die Kjus-Produkte „hervorragend“ – denn Lasse Kjus und seine Schweizer Partner verloren das Geheimnis ihres Erfolges nie aus dem Auge.

„Wir sind alle verliebt in Materialien, wir sind Tüftler“, sagt Nico Serena, heute Produktentwicklungs- und Designchef bei Kjus, „wir haben manchmal verrückte Ideen, und da haben wir nach Inspiration aus anderen Industrien gesucht.“ Vor neun Jahren stießen die drei auf ein Material namens PCM, das bei Kälte wärmt und bei Hitze kühlend wirkt. PCM ist die Abkürzung für Phase-Change-Material und dürfte zu dem Teuersten zählen, was je in eine Skijacke genäht wurde: Der Meter kostet 50 Schweizer Franken, umgerechnet 34 Euro.

Kjus-Strategen haben Männer und Frauen zwischen 25 und 65 Jahren im Visier

„Niemand hatte damals auf eine neue Marke gewartet“, sagt Didi Serena, Geschäftsführer von Kjus Systems. Doch Lasse Kjus und der Schweizer ließen sich nicht irritieren. Im Jahr 2000 sorgte Kjus mit einem dreistöckigen Stand auf der Münchner Wintersport-Messe Ispo für Aufsehen und präsentierten die erste Männer-Kollektion. „Wir hatten noch keinen Euro Umsatz, aber hohe Kosten,“ sagt Serena. Kjus bot kaum eine Skijacke für weniger als 1000 Euro an.

„Überall hat man uns gesagt: Ihr seid verrückt, das ist viel zu teuer, das verkauft sich nicht“, erinnert sich der Chef. Doch die Schweizer gaben Preisforderungen nie nach. Kjus war für die betuchten Kunden der noblen Skiressorts gedacht, Exklusivität stand im Vordergrund. „Wir wollen nur mit dem Platzhirsch am Skiort zusammenarbeiten“, sagt der Chef. Die Strategie ging auf, auch wenn es dauerte: „In Zermatt haben wir zwei Jahre gekämpft, bis der Top-Händler Kjus ordern wollte. Heute stellt der uns großflächig aus“, sagt Serena.

Die Kjus-Strategen haben Männer und Frauen zwischen 25 und 65 Jahren im Visier, die einen Sportwagen fahren, Businessclass fliegen, international tätig sind und Qualität schätzen. „Einmal saß ich in einem Restaurant neben der Piste. Ein Skifahrer kam rein und zeigte mir spontan begeistert seine Skijacke – es war eine Kjus“, erinnert sich Geschäftsführer Serena. Dabei habe der Sportfan stolz vorgeführt, was die Jacke alles besitze: Einlassungen, um die Atmungsaktivität zu sichern, Stretch-Fähigkeit, ein Brillenputztuch im Innenfutter, auf dem eine Bedienungsanleitung für die Jacke gedruckt ist.

Den Durchbruch schaffte die Marke im Winter 2004/05. Die Kunden hatten die außergewöhnlichen Eigenschaften der ausgetüftelten Skibekleidung schätzen gelernt – Stretch in allen Richtungen für die optimale Bewegungsfreiheit auf der Piste, ultra-leichtgewichtige Jacken und Skihosen, die Stoff-Poren öffnen und schließen können, um die Wärme optimal zu verteilen.

Serena und Kjus setzten zur internationalen Expansion an. Inzwischen wird die Marke in 30 Ländern verkauft. Damit liefert sich Kjus mit dem US-Konkurrenten Spyder Active Sports, der ebenfalls mit innovativen Materialien das obere Preissegment bearbeitet, ein hartes Rennen: Spyder ist in 55 Märkten vertreten und stattet das US-Nationalteam aus. Der Skibekleidungshersteller vermarktet sich jedoch aggressiver und spricht andere Kunden an als die klassisch-eleganten Kjus-Klamotten.

kjus-grafik

Knapp 100.000 Teile Skibekleidung setzt Kjus heute pro Jahr ab, dazu noch einmal rund 220.000 Accessoires wie Mützen, Schals oder Handschuhe. Produziert wird der größte Teil der Ware von Spezialisten in China und Vietnam. Eine typische Jacke besteht aus 800 Einzelteilen, die in 1000 Nähminuten zusammengesetzt werden. Zum Vergleich: Eine deutlich preiswertere Skijacke des deutschen Outdoor-Spezialisten Jack Wolfskin kommt auf 270 bis 400 Nähminuten. Inzwischen arbeitet Kjus mit 600 Vertriebspartnern zusammen — ein exklusiver Kreis, verglichen mit den 2400 Händlern, die etwa Jack Wolfskin europaweit beliefert.

Anders als bei der Zahl der Vertriebspartner haben die Schweizer dem technologischen Anspruch ihrer Produkte keine Grenzen gesetzt: Immer wieder sucht das 14-köpfige Forschungs- und Entwicklungsteam, das über ein Jahresbudget von mehreren Millionen Euro verfügt, nach neuen Materialien, um seine Skibekleidung noch perfekter an die raue Witterung der Berge anzupassen. Eine Kollektion braucht eine Vorlaufzeit von eineinhalb bis zwei Jahren, bevor sie auf den Markt kommt.

Vom Wintersport zum Wettersport entwickeln

Die Tests für neue Produkte sind hart: Prototypen der Teile werden von Skiprofis wie Bode Miller oder Daniel Mahrer getragen, die anschließend einen Testbericht abgeben. Das führt auch zu neuen Ideen. Vater und Sohn Serena träumen bereits von Skijacken, die keinen Reißverschluss mehr brauchen, sondern von Magneten geschlossen werden. Doch auch eine Marke wie Kjus kann es sich nicht leisten, allein auf den Skisport zu setzen. Langfristig, so die Prognosen der Experten, werden die Winter wärmer, die Skigebiete knapper und die Zahl der Skifahrer geringer.

Dem Motto „Wir bleiben im Winter und in der Kälte“ will Kjus zwar treu bleiben. Dennoch sorgen die Schweizer vor. Kürzlich brachten sie die „Spirit Collection“ auf den Markt, die nicht auf den reinen Pistensport ausgerichtet ist, sondern auch im Alltag getragen werden kann. „Es soll Kleidung sein, die man auf dem Weg in die Berge trägt, beim Après-Ski oder abends am Kaminfeuer“, sagt der Design-Chef. Die Kaschmirpullover und leichten Winterjacken kosten zwischen 150 und 300 Euro und zielen vor allem auf jüngere Kunden.

„Die Produkte von Kjus funktionieren und werden deshalb vom Markt stark nachgefragt“, sagt Klaus Jost, Vorstand der Heilbronner Intersport, die mit mehr als 1400 Sportgeschäften eine der größten deutschen Einkaufsgenossenschaften ist. „Aber alle Marken müssen sich vom Wintersport zum Wettersport weiterentwickeln, wenn sie langfristig erfolgreich sein wollen.“ Die Spirit Collection von Kjus soll der erste Schritt in diese Richtung sein. 

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