Spezial Logistik Weltweite Karawane

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Um die Handlungsfreiheit zu erhalten oder wiederzugewinnen, rät Mercer-Berater Heiss den Unternehmen, ausgefeilte Strategien für den Umgang mit ihren Zulieferern zu entwickeln: „Nur wer deren Leistung und Know-how optimal mit den eigenen Stärken verknüpfen kann, erzielt dauerhafte Wettbewerbsvorteile.“ Was sich hinter dem Berater-Deutsch verbirgt, zeigt der Bielefelder Maschinenbauer Gildemeister. Die Westfalen beschränken sich nicht darauf, bei ihren Zulieferern bloß einzukaufen. Stattdessen spannt Gildemeister diese bereits weit vor der Bestellung ein, indem die Verantwortlichen im Unternehmen mit den 50 wichtigsten Lieferanten, die 80 Prozent des Einkaufsvolumens repräsentieren, regelmäßige Produktentwicklungsgespräche führen. „Die frühe ganzheitliche Einbindung ist wesentlich effizienter als simplePreisverhandlungen im Nachhinein“, sagt Gildemeister-Vorstand Günter Bachmann. Die enge Zusammenarbeit minimiert die Beschaffungs- und Produktionskosten bei Gildemeister erheblich. So spüren die Teams preiswertere Materialien auf oder entwickeln Ideen, die helfen, die kostenträchtige Vielfalt an Varianten durch Standardisierung der Maschinenteile zu reduzieren. Dazu informiert ein sogenanntes Lieferanten-Coaching-Programm alle Zulieferer regelmäßig über den Stand ihrer Innovationskraft. Um die zu erfahren, kann sich jeder in ein passwortgeschütztes Web-Portal bei Gildemeister einloggen und auf einer Bewertungsskala prüfen, auf welchem Platz er rangiert. So weit scheinen insbesondere unter den Mittelständlern erst wenige zu sein. Unternehmen mit knappem Personal und geringen finanziellen Ressourcen befassen sich derzeit vor allem mit der elektronischen Beschaffung via Internet, dem sogenannten E-Procurement. Auf diese Weise versuchen sie, an erster Stelle Routineeinkäufe etwa von Standardschrauben oder Kugelschreibern zu automatisieren, um Freiraum für den komplexeren Einkauf rund um den Globus zu schaffen, sagt Ronald Bogaschewsky, Professor für Industriebetriebslehre an der Universität Würzburg. Der Sourcing-Experte erstellt mithilfe kontinuierlicher Umfragen bei rund 90 Unternehmen in Deutschland regelmäßig einen so- genannten Stimmungsbarometer Elektronische Beschaffung. Danach gehe durch die Unternehmen zurzeit eine „zweite Welle des E-Procurements“. Das heißt, nur noch 14 Prozent der Befragten sind der Überzeugung, etwa auf Bestellungen in elektronischen Katalogen verzichten zu können. Zwei Jahre zuvor glaubten das noch 32 Prozent. Bogaschewsky warnt allerdings, den Einstieg ins Global Sourcing überstürzt zu wagen. Viele Unternehmer seien von dem gegenwärtigen „China- und Indien-Hype so infiziert, dass sie den Aufwand unterschätzen, der notwendig ist, um in diesen Ländern erfolgreich Fuß zu fassen“. Wer den Preisvorteil auf dem Papier nicht genügend gegen die Risiken politischer Instabilität, kostentreibender Logistik und unberechenbarer Lieferanten abwäge, verkalkuliere sich schnell. „Einfach in die Märkte zu gehen, weil es dort günstig ist, reicht nicht aus, man muss die Risiken kontrollieren und die Gesamtkosten betrachten“, meint Beschaffungsberater Kerkhoff. „Dann kann es auch etwas bringen, mit dem alten heimischen Lieferanten noch mal neu zu verhandeln.“ Vor diesem Hintergrund rät Bogaschewsky Einkäufern, die Staaten Mittel- und Osteuropas stärker zu berücksichtigen. Diese „fast heimischen Märkte“ seien, „weil noch vor unserer Haustür, im Gegensatz zu China und Indien leichter zu beherrschen“. Besonders EU-Beitrittskandidat Rumänien biete „sagenhafte Lohnvorteile“. Ebenfalls zu Bogaschewskys Empfehlungen zählen Südafrika, Brasilien – und Singapur. Der Stadtstaat sei für Unternehmen weniger wegen der vergleichsweise kleinen Bevölkerung von vier Millionen Einwohnern von Interesse, sondern vielmehr aufgrund seiner günstigen geografischen Lage: In fünf Flugstunden sind von Singapur aus Beschaffungsmärkte mit insgesamt 2,8 Milliarden Menschen zu erreichen. Nicht von ungefähr will die Regierung den kleinen Fleck auf der Landkarte bis 2010 als Drehscheibe Südostasiens für Industrieprodukte etablieren.

Darauf setzt schon jetzt der deutsch-niederländische Kopiererhersteller Océ mit seinem Büro in Singapur. Ein Dutzend Einkäufer recherchiert von hier aus im gesamten asiatischen Raum nach günstigen Bezugsquellen. Profiteure sind die Ende 2005 eingeweihte Océ-Produktionsstätte in Malaysia sowie die Endfertigung im bayrischen Poing und im niederländischen Venlo. Die Standorte könnten dank des Büros in Singapur mit einer „Materialkosteneinsparung von 30 Prozent“ kalkulieren, sagt Anton Pietsch, Chefeinkäufer in Singapur. Aus ganz anderen Gründen wagt der Hamburger Lebensmittelhersteller Kühne den Einkauf in Fernost. Bisher orderte der Senf- und Gurkenabfüller Rohstoffe und Verpackungsmaterialien wie Gläser und Dosen zu 85 Prozent in Mitteleuropa, davon zur Hälfte in Deutschland. Doch nun wird es dem Familienunternehmen hier zu eng. Gab es in Deutschland vor zehn Jahren noch 15 selbstständige Glashütten, sind es heute in ganz Europa nur noch drei. Deshalb will Kühne-Einkaufsleiter Harald Feiling in dem Verkaufsbüro in Peking demnächst auch einen Einkäufer platzieren. Auf diese Weise sucht er dem doppelten Stress zu entkommen: hier die steigenden Einkaufspreise durch Konzentration bei den Lieferanten, dort der Druck auf die Verkaufspreise durch die mächtigen Handelskonzerne „Wenn die Einnahmen sinken“, stöhnt Feiling, „wird die Luft auf der Kostenseite immer dünner.“ Aus diesem Grund nutzt auch der Hausgerätehersteller Miele aus dem westfälischen Gütersloh die Segnungen der weltweiten Beschaffung. Firmenchef Reinhard Zinkann befahl 2004 nach Umsatzeinbußen im Vorjahr, die Kosten im Einkauf um mindestens fünf Prozent zu senken. Heute, gegen Ende der zweijährigen Laufzeit des Projektes „5 plus X“, meldet Chefeinkäufer Günther Reinelt „Übererfüllung des Ziels um 23 Prozent“. Reinelt gelang der Kostenschnitt um fast ein Viertel, indem er unter anderem die Bestellungen bündelte und die Zahl der Lieferanten reduzierte. Allerdings ging das Gütersloher Traditionshaus sehr vorsichtig zu Werke. Zwar sind die 130 Miele-Einkäufer weltweit auf Achse, von Osteuropa über China bis Japan. „Wir suchen aber nicht den billigsten, sondern den besten Lieferanten“, sagt Chefeinkäufer Reinelt. Das führt dazu, dass Miele manche Produkte zu 55 Prozent selbst baut, statt nur Lieferteile zu montieren. „Wir wollen nicht das Heft aus der Hand geben und ziehen der Karawane nicht einfach hinterher, weil ein Land in Mode ist“, sagt Reinelt. „Wir wollen nämlich nicht die Ersten sein, die dort einen Fehler machen.“

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