Stadtwerke Warum die Kommunen ihre Stadtwerke aufrüsten

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Statt wie bisher über die Befestigung der Talsperre in Haltern nachzudenken, stehen bei Gelsenwasser-Chef Scholle nun Flüge in die eisige Nordsee auf dem Terminkalender. Er muss Explorationsfelder, für die Novogate Bohr- und Förderrechte kaufen will, aus der Helikopterperspektive in Augenschein nehmen. Denn im kommenden Jahr, so der Plan, soll Gelsenwasser vor Norwegen auch Gas fördern. Vorbild sind die Münchner Stadtwerke, deren Chef Kurt Mühlhäuser es ebenfalls nach draußen zieht, um Gas- und Ölvorkommen weitab von Bayern anzuzapfen.

Die Beweggründe der Stadtwerke-Verbünde, in die Offensive zu gehen, sind etwas anders, gleichwohl ambitioniert. Beispiel Pfalzenergie: Im vergangenen Spätsommer trafen sich auf historischem Grund Vertreter von 47 kleinen pfälzischen Stadtwerken, um sich gezielt gegen E.On, EnBW und Co. in Stellung zu bringen: auf dem Hambacher Schloss, auf dem 1832 demokratisch beseelte Bauern die Leibeigenschaft verdammten. Damit gewannen die Pfalzenergie-Gründer nach Meinung eines Energiemanagers an Schlagkraft, weil sie in einem homogenen Gebiet – Rheinland-Pfalz – agierten.

Ein großes Energieexperiment

Eher amorph wirken dagegen die Eigentümer des Thüga-Verbundes, die für 2,9 Milliarden Euro die Stadtwerkebeteiligungen von E.On kauften, nachdem Brüssel dies aus kartellrechtlichen Gründen verlangt hatte. Die Thüga beliefert 2,9 Millionen Gas- und 3,5 Millionen Stromkunden. Die in München ansässige Holding, unter der sich die 100 Stadtwerke zusammengerauft haben, hofft, Preisvorteile durch den gemeinsamen Einkauf von Strom und Gas zu erzielen. „Wir haben die Themen Gashandel und Beschaffung ganz oben auf der Liste“, sagt der Sprecher des Erwerberkonsortiums Michael Feist. Alte Feindschaften zwischen Städten und Kommunen im Kampf vor allem um Industriekunden sollen beerdigt, die Kräfte gebündelt werden.

Doch in ihrer jetzigen Form ist die Thüga ein riesengroßes Energieexperiment – „ein Sack voller Flöhe“, wie ein Insider sagt. Werden sich die über 100 Kommunen mit ihren Bürgermeistern einigen können, wer wo welches Kraftwerk baut und wer seine Verwaltung an ein zentrales Management abgibt? Straff geführte Konzerne wie E.On, schätzen Experten, sind dem Bund mit seinen komplizierten Entscheidungswegen überlegen. Den Mangel wollen die Thüga-Manager – allen voran der Chef der Stadtwerke Hannover, Michael Feist – allerdings beheben, indem sie mit der dänischen Dong-Gruppe kooperieren wollen. Vor allem im Gaseinkauf wollen sie dank Dong von der E.On-Tochter Ruhrgas unabhängig werden.

Nähe zu Kunden und Politikern

Das Gegenmodell zur Thüga ist die Aachener Trianel. Ihr sind nur kommunale Unternehmen beigetreten, die von vornherein kooperationswillig waren. „Durch eine Bündelung kann man Dinge realisieren, die für die Stadtwerke so nicht umsetzbar sind“, sagt Trianel-Chef Sven Becker. Dabei setzt Trianel auf die Nähe der Stadtwerke zu den Kunden und zu den Politikern. Vorige Woche ließ der Krefelder Stadtrat anstandslos den Planfeststellungsbeschluss für ein neues Kohlekraftwerk am Niederrhein passieren. E.On und RWE tun sich hier sehr viel schwerer.

Zu den Pionieren der angriffslustigen Stadtwerke zählt die Mannheimer MVV, die als erstes Stadtwerk im Jahr 2000 sogar einen Börsengang wagte. MVV ist ein kleineres Unternehmen mit Beteiligungen an kleineren Stadtwerken von Solingen bis Schwetzingen. Inzwischen ist das Konglomerat selbst ein Objekt kommunaler Begierde. Die Kölner Stadtwerke Rheinenergie wollen ihren Anteil von 16 Prozent weiter ausbauen.

Damit folgen die Rheinländern dem neuen Trend der Stadtwerke, sich über ihr angestammtes Gebiet auszudehnen. Dazu ändert die nordrhein-westfälische Landesregierung jetzt extra die Kommunalordnung, die den Stadtwerken bisher untersagte, außerhalb der Landesgrenzen zu investieren.

Der Schub für die Rekommunalisierung und die Aufwertung der Stadtwerke zu echten Unternehmen kommt aus den negativen Erfahrungen der zurückliegenden Jahre.

Die neuen, im Sommer 2009 gegründeten Stadtwerke Hamburg Energie etwa sind eine Antwort auf den Verkauf der altehrwürdigen Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) im Jahr 2001 an den schwedischen Energieriesen Vattenfall. Der ehemals stadteigene Stadtversorger hieß fortan ebenfalls Vattenfall. Doch mit den Skandinaviern hatten und haben die Nordlichter ihre liebe Not.

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