Stahlindustrie Dreikampf um den Chefposten bei ThyssenKrupp

Bei ThyssenKrupp läuft die spannendste Casting-Show der deutschen Industrie: Grandseigneur Berthold Beitz sucht den neuen Vorstandschef-Superstar. Drei Männer ringen um die Nachfolge von Ekkehard Schulz.

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Stahlarbeiter bei Quelle: AP

Der Mann schoss in den Saal des 21. Stocks wie ein U-Boot, das in voller Fahrt die Wasseroberfläche durchbricht. In einer Art Frischwärts- und Angriffslaune präsentierte sich Alan Hippe auf der eilig einberufenen Pressekonferenz. Dazu kamen managertypischer Optimismus und Spuren von Sarkasmus: „Toller Empfang hier bei ThyssenKrupp, ich hätte mir nur gewünscht, dass die Zahlen besser aussehen.“

Seit April verantwortet Hippe die Finanzen des Stahl- und Technologiekonzerns. Als er in Düsseldorf antrat, war klar, dass er nicht einfach bei einem Konzern anfing, der sich in verheerender Verfassung befand und noch immer befindet. Der Wechsel vom Autozulieferer Continental in Hannover an den Rhein ist mehr. Hippe stieß zu zwei Männern, die sich nun zu einem Trio formieren, das es in dieser Form derzeit in der deutschen Wirtschaft so schnell nicht gibt. Unter den dreien wird sich im Sommer nächsten Jahres entscheiden, wer der neue Konzernchef wird.

Die Konstellation ist getränkt von Spannung und gegenseitiger Beobachtung. Neben dem 42-jährigen Hippe geht Edwin Eichler an den Start, um Nachfolger von Ekkehard Schulz zu werden. Der 51-Jährige hat besonderes Kaliber, er ist der Führer der neugebildeten Stahl- und Materialsparte, des Horts der großen Krise im Konzern, an dem er seine Qualitäten beweisen wird. Dritter Wettläufer ist Olaf Berlien, 46, der das Technologie-Segment des Unternehmens leitet, zu dem der Schiff- und Anlagenbau sowie das Aufzugsgeschäft gehören, das schwarze Zahlen schreibt. Berlien erhielt das angeschlagene Automobilzuliefergeschäft hinzu – jetzt muss er zeigen, was er kann.

Kampf um Macht und Karriere steht im Vordergrund

Hippes Erscheinen auf der ThyssenKrupp-Bühne hat auf einen Schlag deutlich gemacht: Hier geht es nicht nur um die Überwindung einer beängstigenden Auftragslage des Konzerns, hier geht es um Macht, Konkurrenz und Karrieren. Hippe wäre fast schon mal Chef eines Konzerns geworden. In der Krupp-Kulisse an der Düsseldorfer Königsallee spielt er die Rolle des Alpha-Männchens unter den beiden anderen Vorstands- und Kandidaten-Kollegen. Bei Continental hat er vorgeführt, was für einer er ist. Er war der Günstling von Konzernchef Manfred Wennemer und sanierte das Autoreifengeschäft in den USA. Er focht einen erbitterten Kampf gegen den fränkischen Unternehmerclan Schaeffler, der Continental übernehmen wollte und dabei ist, zu verlieren.

Die Loge, die der Ex-Continental-Mann nun in dem Revierkonzern bewohnt, ist alles andere als gemütlich. Der Zeitplan steht: 2011 wird Vorstandschef Schulz 70 Jahre alt und damit ein Lebensalter erreicht haben, in dem selbst bei dem 160 Jahre alten Traditionskonzern der Gang aufs Altenteil oder in den Aufsichtsrat angesagt ist. Auf der Hauptversammlung gleich im Januar 2011 wird der Senior abtreten und der Neue inthronisiert.

Im Sommer 2010 soll der Nachfolger offiziell vom Aufsichtsrat bestellt werden. Dann kann der Sieger des Rennens schon mal, wenn er mag, auf Schulz’ Sessel im 19. Stock des Verwaltungshochhauses Probe sitzen, direkt unter dem Gemälde Marino Marinis „Das große Maskentheater“, das der amtierende Vorsitzende hinter sich hängen ließ. „Es wird kein Vorstandschef von außen berufen“, hat Schulz kürzlich gesagt. Seitdem geht es nur noch darum, wen von den dreien Aufsichtsratschef Gerhard Cromme und der Chef der Krupp-Stiftung, Berthold Beitz, 95, zum Konzernführer nach Schulz berufen werden. Der Zeitplan könnte bei einer Schwäche von Schulz überraschend umgeworfen und der neue Chef ad hoc ernannt werden. Alles ist möglich.

ThyssenKrupp-Finanzvorstand Quelle: dpa

Es wird ein großes Maskentheater, das den ThyssenKrupp-Managern in den kommenden Monaten winkt. Hippe, Berlien, Eichler – keiner darf sich zu früh aus der Deckung wagen, zu schnell vorpreschen. Sich bedeckt halten ist die Devise. Eitelkeiten, zu viele Interviews oder zu strahlende Auftritte auf Ruhr-Bällen, Benefizgalas oder amüsante Show-Einlagen auf Pressekonferenzen kann sich keiner der drei leisten. Der Hügel in Essen, der Sitz der Stiftung und ihres Chefs Beitz, ist mitsamt seinen schallschluckenden Gobelins eine Tabuzone für lautes Lachen, monologisierende Einzelauftritte und andere Egotrips des Managements. Camouflage ist hier die passenden Garderobe.

Unübersehbar sind die Gemeinsamkeiten der Kandidaten. Sie liegen alle drei ziemlich mittig auf der Lebensspur. Zwischen Anfang 40 und Anfang 50 Jahre alt, haben sie in ihren bisherigen Jobs extrem viel erreicht – und dennoch genügend Zeit, in ein bis anderthalb Jahren eine Spitzenposition in der deutschen Wirtschaft für ein Jahrzehnt auszufüllen.

Sie besetzten in anderen Unternehmen schon Positionen, die andere Manager als die Krönung ihres Lebenslaufes betrachtet hätten. Bei Continental, Zeiss, Bertelsmann, hier haben sie in vergleichsweise jungen Jahren als maßgebliche Vorstände gedient, bevor sie vor sieben Jahren – oder wie Hippe erst vor acht Wochen – in den ThyssenKrupp-Konzern eintraten und seitdem mit Kronprinzenlorbeeren bedacht werden.

2009 wird für jeden der drei ein Schreckensjahr. ThyssenKrupp durchmisst den härtesten Wandel der Nachkriegszeit: Die Halbierung der Auftragseingänge, besonders im Stahl, muss verkraftet werden. Ein Großumbau steht an, die Abschaffung von Zwischenholdings. Mindestens 2000 Arbeitsplätze oder mehr werden kurzfristig abgebaut, 15.000 Stellen von 192.000 Arbeitsplätzen sind gerade auf dem Prüfstand, werden auf Sinn und Nutzen durchleuchtet. Das alles wäre schon ein schweres Pensum des von acht auf sechs Mitglieder dezimierten Vorstandes, wenn da nicht noch etwas wäre, was lähmend durch die Flure der Düsseldorfer Konzernzentrale schleicht.

Suche nach dem Thyssen-Krupp-Superstar

Die Angst vor einem historischen Megaverlust läuft um, der aus einer teuflischen Mixtur wegbrechender Aufträge in allen Geschäften, dahinschmelzender Preise und zusätzlicher Einmalkosten in geschätzter Höhe von 450 Millionen Euro herrührt, die durch Umstrukturierung und Wertberichtigungen entstehen. Hinzu kommen 455 Millionen Euro Verlust allein im zweiten Quartal. Alles zusammen könnte sich, so wird intern fieberhaft zusammengerechnet, am Ende des Geschäftsjahres zum Milliardenverlust aufaddieren.

In dieser Situation muss das Trio etwas Entscheidenes für die Konzerngesundung tun – die zurzeit noch in weiter Ferne ist. Nur alle drei zusammen können das schaffen. So wird die Sanierung von ThyssenKrupp zugleich die spannendste Castingveranstaltung der deutschen Wirtschaft in den nächsten Monaten, ein echtes BBTKS – Berthold Beitz sucht den ThyssenKrupp-Superstar.

Das Prüfungsprogramm für jeden der Teilnehmer liegt fest. Berlien, der Diplomkaufmann, der seinen ersten Job Anfang der Neunzigerjahre beim Computerbauer IBM in der Controlling-Abteilung fand, muss sich durch einen ziemlich verwinkelten Geschäftsbereich wühlen: die Technologie-Säule von ThyssenKrupp, die 20 Milliarden Euro Umsatz macht und in den vergangenen, guten Jahren über eine Milliarde Euro Gewinn einfuhr.

Die Sparte besteht aus Handelsschiffbau (Nordseewerke Emden, Blohm + Voss in Hamburg, HDW-Werft in Kiel), Großanlagenbau (Chiemieanlagen Uhde, Polysius Zementanlagen), Aufzügen und Rolltreppen und der Automobilzuliefersparte. Berliens Abenteuerspielplatz gleicht einem kleinen Siemens-Konzern unter dem Dach von ThyssenKrupp. Siemens-ähnliche „Megatrends“ auch hier: Umwelt (Meerwasserentsalzungsanlagen), Nahrungsmittel (Anlagen für Düngemittelproduktion), Energie (Bau von Gasanlagen) und Infrastruktur (Zementwerke).

Edwin Eichler ist Mitglied des Quelle: AP

Berliens Stolpersteine: Der Marineschiffbau ist stark verquickt mit internationaler Politik und Marinekadern, wo immer regierungsamtlich Kriegsschiffe bestellt werden. Forderungsausfälle in dreistelliger Millionenhöhe bei der griechischen Regierung, die ihre Schiffe nicht bezahlt, müssen bereits verkraftet werden.

Der Bau von Containerschiffen stockt in der Krise, auch hier werden Raten nicht bezahlt. Baustopps von drei Neubauten in Kiel und Emden waren bisher die Folge. Der Containerschiffbau soll verkauft werden – doch an wen? Es gibt niemanden, der zur Zeit des darniederliegenden Welthandels Schiffe bestellt, schon gar nicht im Hochlohngebiet Deutschland. Aber selbst wenn ihm der Verkauf des Containerschiffbaus gelingt, punkten kann er mit dem Randthema im Revier nicht, es taugt nicht für ein Leistungsabzeichen von Beitz oder Cromme.

Konkurrent Eichler muss sich an angsteinflößenderen Herausforderungen abarbeiten. Es gilt, Stahl und Nirosta-Edelstahl schnellstens aus der Verlustzone herauszuhieven. Wie macht das ein gelernter Informatiker, der in einer Kaserne im bayrischen Neubiberg studiert und es in zwölf Jahren zum Major gebracht hat?

Eichler wurde von Cromme und Beitz eigentlich mit einer „mission impossible“, einem unerfüllbaren Auftrag, bedacht. Zwei Hochöfen stehen in den Stahlwerken Duisburg still, die neuen Stahlwerke in den USA und in Brasilien, die noch nicht fertig sind, braucht der Weltmarkt nicht mehr. „Einmotten“ fordern die Arbeitnehmervertreter, denen die Übersee-Jobs wurscht sind. Dass das Brasilien-Werk dreimal so teuer ausgefallen ist und nun an die fünf Milliarden Euro kostet, ist schon kein Aufreger mehr im Vorstand.

Kandidat Eichler: Sinn für Visionen

Eichler muss es auch mit den gebeutelten Automobilherstellern aufnehmen. Die Autokonzerne wollen noch im Juni gewaltige Preisnachlässe bei ThyssenKrupp durchsetzen und befinden sich gerade in harten Verhandlungen. Gleichzeitig liegen die Rohstoffeinkäufer im Preispoker mit den Erzlieferanten dieser Welt. 50 bis 60 Prozent Preisnachlass traut sich Eichler da zu. 20 Prozent will er notgedrungen bei den Autoherstellern nachgeben. Dazwischen liegt finanzieller Spielraum – abzüglich eingesparter Löhne bei Kurzarbeit und Freisetzungen von 2.000 Kruppianern könnte er dann bald nach oben melden, dass der Himmel für ThyssenKrupp wieder lacht.

Eichler hat Sinn für Visionen. Nach seiner Offizierszeit heuerte er bei Bertelsmann an, brachte es zum Druckereichef (heute Arvato) in Gütersloh und rückte in den Vorstand des Medienkonzerns auf, von dem ein Ruhrgebietsmanager sagt, dass er in den Achtziger- und Neunzigerjahren so etwas wie ein Harvard-Studium ersetzt habe.

Manager, die in Bertelsmann-Diensten waren, gelten bei ThyssenKrupp als Open-minded, als eine Art Freidenker mit Freifahrtschein in den Visionshimmel, der nicht immer Erfolg garantiert – auch bei Bertelsmann klemmt es zurzeit gewaltig. Das hat dem Image nicht geschadet. Bertelsmänner denken in Netzwerken, Szenarien und gelten als führungsstark, weil sie alle Reinhard Mohns Mitarbeiterfibel gelesen haben, in der Partnerschaft und Ähnliches, was sich zur Durchsetzung seines Willens gut gebrauchen lässt, gepredigt wird.

Aktieninfo für ThyssenKrupp (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Die zur Wahl stehenden Männer sind keine Juristen wie noch Cromme, den der Herr vom Hügel einst auch von einer ganz anderen Branche, dem französischen Glashersteller Saint Gobain, zu Krupp holte. Das Außenseiterschema gilt auch für das Casting-Trio.

Berlien schärfte seine Expertise beim Optikunternehmen Zeiss, wo er Finanzchef war. Zeiss gehört gleich zwei Stiftungen, die sich spinnefeind sind und in denen Politiker das Wort führen. Mit dem im Umgang nicht immer ganz leichten Beitz kann es Berlien mit stark gedrosselter Berliner Chuzpe aufnehmen, wenn sein Vortrag dem leisen Summen einer U-Boot-Brennstoffzelle gleicht.

Beitz, der Sitzungen in seinem Kuratorium mit dem mürrischen Schlusssatz „Noch Fragen?“ grundsätzlich ohne Aussprache führt, ist dann doch harmlos im Vergleich zu intrigenerprobten Hinterwinkel-Politikern aus dem Schwäbischen.

Finanzchefs contra Industriebosse

Die Beitz-Jungs Berlien und Eichler haben etwas gemeinsam, was sie von Hippe eindeutig abhebt. Sie verfügen über Erfahrungen in der Führung von Kleinbetrieben. So leitete Eichler neben seiner Zeit als Offizier die Glockengießerei seiner Schwiegereltern und lernte dort – wenn nicht das Stahl-, so doch das Bronzegeschäft von der Pike auf. Berlien zog in der Gärtnerei seiner Eltern in Steglitz seine Furchen tief ins Kleingewerbe. Beide sind gelernte Controller, Berlien war sogar von 2002 an zwei Jahre Controlling-Chef von ThyssenKrupp.

Können sie es mit Hippe aufnehmen? Finanzchefs haben mehr Macht als Industriebosse. Hippe ist in der Zentrale immer da, während Eichler und Berlien in ihren Teilkonzernen herumturnen und häufig weitab von Schulz sind. Bei seinem ersten Auftritt in der Öffentlichkeit schrieb Hippe Worte von Konzernchef Schulz mit wie ein Schuljunge, quittierte dessen Scherze mit postwendendem Lachen und schüttelte den Kopf, wenn sich Schulz wunderte. Er war ganz in Blau gewandet, selbst sein Schlips war im Blau des Konzernlogos gehalten. Diese Identität fällt ihm leichter als bei Conti, wo die Konzernfarben gelb sind.

Finanzchefs leben gefährlicher als Industriemenschen, wenn sie den forsch-schnoddrigen Ton, den sie „in der Financial Community pflegen, auch in der Firma anschlagen“, sagt ein um Hippe besorgter Manager.

Der Ton ist es sowieso, auf den es nun ankommt. Alles muss manierlich klingen, auch wenn es noch so katastrophal ist.

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