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Stephan Grünewald "Autos und Handys sind Potenzprothesen"

Der Kölner Marktforscher über die Reaktionen von Unternehmen und Verbrauchern auf Japan.

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Marktforscher Stephan Grünewald Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche

Herr Grünewald, in Japan explodiert ein Atomkraftwerk, und hier kündigen Menschen Strom-Verträge und bestellen Ökostrom. Spinnen die Deutschen?

Grünewald: Die Deutschen verhalten sich in der Tat anders als ihre europäischen Nachbarn und der Rest der Welt. Das hängt damit zusammen, dass die Deutschen keine fest verwurzelte nationale Identität haben wie Amerikaner, Franzosen oder Engländer, die ein stabiles Gerüst dafür bietet, wie wir uns in unterschiedlichen Situationen zu verhalten haben. Die Japaner verharren in stoischer Ruhe, das ist Teil ihrer Identität. Die Deutschen stecken dagegen in einem Identitätsvakuum. Wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, packt sie gesteigerte Unruhe, die sie in irgendwelche Aktivitäten kanalisieren.

Und dazu zählen Sie auch den aktionistischen Wechsel des Stromanbieters?

Grünewald: Durchaus, gerade weil man sich einer unfassbaren Bedrohung ohnmächtig ausgesetzt fühlt, will man handeln können. Angela Merkels Versuch, durch ein Umschwenken in der Atompolitik ihre frühere Rolle als Umweltengel wiederzugewinnen, schafft keine nachhaltige Glaubwürdigkeit...

...und geht auf Kosten der Energieversorger, die in den Augen der meisten Bürger nun den Schwarzen Peter haben.

Grünewald: Ja und nein. Fakt ist, dass die Konzerne Atommeiler betreiben. Damit passen sie als Sündenbock, an dem die Bürger Handlungsfähigkeit demonstrieren können. Andererseits ist die Rolle der Versorger nicht nur negativ besetzt, denn sie haben eine wichtige Bedeutung für die Menschen: Versorger stehen auch für Sicherheit und Fürsorge, das haben Tiefeninterviews gezeigt. Versorger sind so etwas wie die große Energie-Mutter, von der die Menschen jetzt allerdings mehr erwarten als ein Festhalten an der Atomkraft. Gefordert sind Konzepte, wie wir unsere Zukunft ökologisch unbedenklich gestalten können.

Wie kommen die Konzerne aus der Schmuddelecke heraus? RWE hat es mit einem Werbe-Zeichentrickfilm probiert, in dem ein Ökoriese durch blühende Landschaften wandert. Eher albern, oder?

Grünewald: Die Konzerne müssen Handlungsfähigkeit demonstrieren und dem Bürger vermitteln, dass er ebenfalls handlungsfähig ist. Wie das in der Werbung funktioniert, zeigen die Obi-Baumärkte. In einer Anzeige geht es um Frühjahrsputz: Zuerst fegt ein Mann seine Terrasse, dann bestrahlt er sie mit einem Hochdruckreiniger, hinterher strahlt er selber. Die Werbung macht den passiven zum aktiven Verbraucher. Selbst aktiv werden, hilft gegen Krisen, weil es der Ohnmacht entgegenwirkt.

Dann profitieren indirekt deutsche Baumärkte vom Leid in Japan?

Grünewald: Ja, letztlich schon. In der Wirtschafts- und Finanzkrise war es ähnlich, auch da gehörten sie zu Krisengewinnern: Ich werkle, also bin ich. Auch die Hersteller von Reinigungsmitteln dürften profitieren. Wir werden hier in den nächsten Monaten mit Sicherheit diverse häusliche Bodenoffensiven erleben.

Welche Folgen hat Fukushima für den Verkauf japanischer Produkte?

Grünewald: Japanische Lebensmittel dürften es für lange Zeit schwer haben. Autohersteller wie Mazda, Toyota und Mitsubishi dagegen haben in den vergangenen Jahren ihr Image vom Japanbild gelöst. Jetzt wird sich zeigen, ob das gelungen ist. Psychologisch belastet der Atomunfall aber auch die Fahrzeughersteller: Das Auto steht für Autonomie – der Fukushima-GAU bedeutet jedoch das genaue Gegenteil: das Ende jeder Autonomie.

Kaufen die Deutschen jetzt aus Solidarität mit Japan mehr Sony-Handys oder Asics-Turnschuhe?

Grünewald: Kaum, die Mitleidsschiene funktioniert meiner Meinung nach nicht. Dafür müssten Beschützerinstinkte geweckt werden. Wir erleben aber im Fernsehen, dass die Menschen in Japan sehr gefasst mit der Situation umgehen und ihren nationalen Stolz bewahren. Abgesehen davon sind Handys, Turnschuhe oder Autos vor allem Potenzprothesen – da spielt das Mitleidsmotiv beim Kauf überhaupt keine Rolle. Da geht es um Ego-Maximierung.

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