Steuerflucht Virtueller Pranger für Steuersünder

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Das Steuerparadies Caymans Quelle: rtr

Die Bank Julius Bär hat jedenfalls einiges versucht, um „Wikileaks“ vom Netz zu nehmen. Doch obwohl ein US-Richter auf Antrag der Schweizer am 18. Februar die Sperrung der Seite verfügte, sind die Daten weiter online. Die Homepage ist jetzt nicht mehr in den USA, sondern auf der Weihnachtsinsel – Länderkennung .cx – im Indischen Ozean registriert. Bis dahin reicht der Arm der Bär-Anwälte noch nicht. Die Klage hat sich damit als Pyrrhus-Sieg für Chairman Raymond Bär und seinen Vorstandschef Johannes de Gier erwiesen, denn erst durch das Urteil ist die Seite auf den öffentlichen Radar geraten.

Wer Wikileaks betreibt, ist unbekannt. Anders als Name und Layout suggerieren, ist die Seite kein Ableger des Internet-Lexikons Wikipedia. Den Angaben auf der Seite zufolge wurde sie von „chinesischen Dissidenten, Journalisten, Mathematikern und Technikern“ gegründet – mit dem Ziel, ein Sprachrohr für Oppositionelle in totalitären Staaten zu werden.

Seit einigen Wochen ist sie jedoch vor allem ein virtueller Pranger für mutmaßliche Steuersünder aus aller Welt. Das Problem: Die Betreiber stellen Material ungeprüft ins Netz – und machen es Denunzianten damit leicht. Doch woher stammen die detaillierten Daten über angebliche Hinterzieher und wie haben sie Mitte Januar den Weg ins Netz gefunden?

Die Geschichte beginnt im Jahr 2002 und könnte aus der Feder eines Krimi-Autoren stammen. In ihr geht es um fragwürdige Lügendetektortests, rabiate Privatdetektive und anonyme Drohbriefe. Die Hauptperson ist Rudolf E., der frühere stellvertretende Leiter der Julius-Bär-Niederlassung auf den Cayman Islands. Als die Bank 2002 feststellt, dass geheime Daten von den Caymans an US-Steuerbehörden durchgesickert sind, lässt sie akribisch nach dem Leck suchen – und nimmt alle Mitarbeiter genau unter die Lupe.

Einem Bericht der „Cayman Net News“ zufolge wurden bei den internen Ermittlungen auch Lügendetektoren eingesetzt. Bär-Sprecher Somogyi wollte das „nicht kommentieren“, auch E. war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Klar ist, dass der Verdacht der Banker 2002 schnell auf E. fiel, da die Datensicherung zu seinem Aufgabenbereich gehörte. Im Dezember 2002 wurde er gefeuert. Danach eskalierte der Streit – offenbar drängte ihn Julius Bär massiv, die Daten rauszurücken.

Wie aus auf Wikileaks abrufbaren Unterlagen der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl hervorgeht, deren Echtheit eine Sprecherin der Behörde der WirtschaftsWoche bestätigte, beschuldigt E. seinen Ex-Arbeitgeber des „Stalkings“ und der „Nötigung“. Die Bank habe Detektive beauftragt, ihn und seine Familie auszuspionieren, dabei seien seine Frau und die beiden Töchter gar einmal „auf der Autobahn (...) von Männern verfolgt worden“. Offenbar waren die Vorwürfe den Züricher Ermittlern nicht stichhaltig genug, am 11. Dezember 2007 lehnten sie es per „Nichteintretensverfügung“ ab, den Fall weiter zu verfolgen.

Nach dieser Niederlage könnte beim inzwischen 52-jährigen E. der Entschluss gereift sein, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Im Januar gingen erste Dokumente online.

Ein Betroffener, der seine Unschuld beteuert, erhielt zeitgleich am 14. Januar eine Mail von einem Absender namens „The Elmer Family“, die der WirtschaftsWoche vorliegt: „Sie werden bei wikileaks.org als Steuerbetrüger dargestellt“, heißt es darin. „Ist das wahr? Wenn nein, dann würde ich gegen Julius Bär klagen. Die Bank wird sicher zahlen.“

Dem geschockten Mittelständler fiel daraufhin ein, dass er bereits 2007 zwei Mails vom selben Absender erhalten, aber nicht beantwortet hatte – weil er sie für Spams hielt. In einer der Mails hatte der Absender geschrieben, er stehe in Kontakt mit „der deutschen Steuerbehörde“ und bitte deshalb „dringend“ um Kontaktaufnahme. Solche Drohbriefe, oft unterzeichnet mit „Teddy Bär“ oder „Steuerbetrugsaufklärer“, haben 2007 mehrere deutsche Bürger erhalten. Die „Financial Times Deutschland“ berichtete im April 2007 zudem, dass der Fiskus Daten über „Offshore-Vehikel“ auf den Caymans erhalten habe und dass deutsche Finanzämter ermitteln würden.

Dafür spricht, dass dem Schweizer Magazin „Cash“ bereits im Juli 2005 Daten über Julius-Bär-Kunden zugespielt wurden, was ebenfalls aus Unterlagen der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl hervorgeht. Der „dringend Tatverdächtige“ E. landete danach wegen Verstoßes gegen das Bankgeheimnis für einen Monat in Untersuchungshaft, die Ermittlungen verliefen aber im Sand – angeblich, weil Julius Bär den Ermittlern Akteneinsicht verwehrte.

Bär-Sprecher Somogyi weiß nach eigenem Bekunden nicht, ob in der Folgezeit Daten bei deutschen Steuerfahndern gelandet sind: „Unseres Wissens kam es zu keinem Verfahren, und wir wurden auch nie von einer Behörde angegangen.“

Das könnte sich angesichts des neuen Online-Fundus aber bald ändern. Beim angeschwärzten Mittelständler haben sich die Fahnder bisher allerdings nicht gemeldet. Einiges spricht in seinem Fall auch dafür, dass die Vorwürfe nicht zutreffen. Auf seine Beschwerde bei Wikileaks antwortete ihm ein „daniel schmitt“, dass er in Kontakt mit Herrn E. stehe. Dieser habe eingeräumt, dass er hier womöglich den Falschen erwischt habe. Schließlich sei der Name des Unternehmers im deutschsprachigen Raum sehr häufig. Das ist richtig, sogar ein deutscher Dax-Vorstand heißt so. Zudem, so „daniel schmitt“, würden in den Dokumenten verschiedene Schreibweisen des Vornamens auftauchen. Seit dem Protest des mutmaßlichen Verwechslungsopfers ist der Eintrag auf Wikileaks mit der Notiz versehen, dass die Anschuldigungen „falsch oder verfälscht“ erschienen – online sind die Daten aber trotzdem noch. „Eine Riesenschweinerei“, schimpft der Betroffene.

In anderen Fällen sind die Daten aber wesentlich präziser, sie enthalten nicht nur Namen, sondern auch Adressen und teilweise sogar den Namen des Ehepartners – eine Verwechslung scheint hier unwahrscheinlich. Bis Redaktionsschluss am Donnerstagabend war aber keiner der anderen deutschen Beschuldigten für eine Stellungnahme zu erreichen.

Reichlich plump wirkt ein Eintrag, der dazu dient, Bundeskanzlerin Angela Merkel der Hinterziehung zu beschuldigen. Hier war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Nachahmer am Werk: Das Material besteht nicht wie bei den anderen Beschuldigten aus Dutzenden Word- und Excel-Dateien mit unzähligen Details, sondern lediglich aus einem reichlich amateurhaft wirkenden Brief, den Julius Bär angeblich wegen Konten in Zürich und Guernsey an Merkel geschrieben haben soll.

Dass auch so etwas online problemlos abrufbar ist, zeigt die Leichtfertigkeit, mit der die Betreiber von Wikileaks es tolerieren, dass Beschuldigungen in die Welt gesetzt werden.

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