Studie Großraumbüros machen die Mitarbeiter häufig krank

Mit effizientem Flächenmanagement versuchen Unternehmen, die Kosten ihrer Büroflächen zu drücken und die Produktivität zu steigern. Doch den Faktor Mensch berücksichtigen sie zu wenig - ein Fehler, denn jeder braucht sein eigenes Reich.

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Bei bestimmten beruflichen Tätigkeiten kann ein Großraumbüro sinnvoll sein. Quelle: handelsblatt.com

DÜSSELDORF. Kommunikativer, transparenter und kosteneffizienter - so preisen viele Arbeitgeber die Vorzüge von Großraumbüros. Dass viele Mitarbeiter über Lärm, schlechte Luft oder eine beklemmende Enge klagen, überhören Chefs dagegen gern. Oder sie tun diese Beschwerden als antiquiertes Denken oder Beharren auf Besitzständen ab.

Zu unrecht, wie Forscher der Hochschule Luzern jetzt bei einer Befragung von rund 1 200 Büroarbeitern herausgefunden haben. Ihrer Studie zufolge fühlen sich Beschäftigte in Großraumbüros öfter abgelenkt, sind unzufriedener und klagen häufiger über Müdigkeit, juckende Augen oder trockene Gesichtshaut als ihre Kollegen in Einzelbüros. "Je mehr Menschen in einem Büro arbeiten, desto größer ist die Unzufriedenheit mit den allgemeinen Arbeitsbedingungen", sagt Sibylla Amstutz, die die Studie betreut hat.

Unzufriedenheit wirkt sich direkt auf Gesundheit und Produktivität der Beschäftigten aus. Um diesen Effekt mit Zahlen zu belegen, haben die Forscher die Krankheitstage der Mitarbeiter in verschiedenen Bürotypen miteinander verglichen. Mit eindeutigem Ergebnis: "Die Krankheitsrate steigt mit der Zahl der Menschen, die in einem Büro arbeiten", fasst Amstutz zusammen.

Gibt etwa die Hälfte der Beschäftigten mit einem Einzelbüro an, im vergangenen Jahr überhaupt nicht wegen Krankheit gefehlt zu haben, sinkt dieser Wert bei Zweierbüros auf 38 Prozent. Noch schlechter sieht es in Büros mit mehr als 16 Mitarbeitern aus: Nur noch drei von zehn der dort Beschäftigten kommen ohne Fehlzeiten über das Jahr.

Vor allem Lärm stellt Nerven und Konzentrationsfähigkeit der Büroarbeiter auf eine harte Probe. Lärmquelle Nummer eins: die lieben Kollegen. Rund 60 Prozent der in Großraumbüros Beschäftigten geben an, sich eher oft oder ständig von den Gesprächen der Kollegen gestört zu fühlen. Zum Vergleich: In Büros mit drei bis sechs Personen sind es nur 50, in Zweierbüros nur 30 Prozent.

Auch ein australisches Forscher-Team um Vinesh Oommen hat in einer Überblicksstudie belegt, dass Beschäftigte in Großraumbüros über Reizüberflutung, Verlust von Privatsphäre und geringere Zufriedenheit klagen. Auch die Australier stellen einen direkten Zusammenhang zwischen der allgemeinen Zufriedenheit am Arbeitsplatz und der Gesundheit der Mitarbeiter her.

Während krankheitsbedingte Fehltage statistisch leicht zu erfassen sind, haben Forscher Schwierigkeiten, jene Produktionsausfälle zu messen, die durch Mitarbeiter verursacht werden, die zwar regelmäßig zur Arbeit kommen, aber körperlich oder seelisch angeschlagen sind. Der Dortmunder Organisationspsychologe Berthold Iserloh schätzt, dass etwa zwei Drittel der krankheitsbedingten Produktionsausfälle auf das Konto von anwesenden, aber nicht voll leistungsfähigen Mitarbeitern gehen. Dass durch Großraum- oder Gruppenbüros die psychische und physische Belastung der Arbeitnehmer steigt, steht für Iserloh fest. "Menschen brauchen ihr eigenes Reich, das ist psychologisch erwiesen. In Großraumbüros fühlen sich Mitarbeiter dagegen auf dem Präsentierteller."

Sinkende Produktivität frisst einen Teil der Kostensenkungen durch die effizientere Nutzung der Büroflächen schnell auf. "Für viele Unternehmen ist das unterm Strich eine Minusrechnung", sagt Iserloh. Den anhaltenden Trend hin zum Großraum erklärt der Experte damit, dass Manager Immobilienentscheidungen in erster Linie unter kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Erwägungen treffen. "Den Faktor Mensch berücksichtigen sie dabei nicht. Das ist ein Fehler."

Also zurück zu den guten alten Einzelbüros? "Auf keinen Fall", sagt Wilhelm Bauer vom Fraunhofer-Institut. "Großraumbüros sind nur dann schlecht, wenn sie nicht gut gemacht sind." Dies sein vor allem in älteren Gebäuden der Fall.

Wie das Büro der Zukunft aussehen könnte, haben Bauer und seine Kollegen im Rahmen der Studie "Office 21" erforscht. Drei Punkte haben für die Wissenschaftler zentrale Bedeutung: gute Beleuchtung, leistungsfähige Klimatechnik und ein ausgeklügeltes Akustikkonzept. "Großraumbüros, die systematisch nach diesen Kriterien geplant werden, sind klassischen Einzelbüros deutlich überlegen und fördern auch die Zufriedenheit der Beschäftigten", sagt Bauer.

Trotz fortschrittlicher Gebäudetechnik sollten sich Firmenlenker bei der Planung von Bürolandschaften aber sehr genau überlegen, ob es wirklich ein Großraumbüro sein muss. "Unternehmen sollten ihre Arbeitsabläufe und Kommunikationsprozesse analysieren und danach versuchen, ihre Erkenntnisse in eine räumliche Gestaltung umzusetzen", rät Lars Adolph von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Bei beruflichen Tätigkeiten mit einem hohen Koordinierungsbedarf könne ein Großraumbüro sinnvoll sein, sagt der Experte. "Wer sich adhoc und kontinuierlich abstimmen muss, sitzt besser in einem Großraumbüro - alle anderen besser nicht."

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