Summer School Abläufe aufdröseln - jetzt auch als Podcast

Industrieunternehmen optimieren ihre Prozesse seit Jahren. Jetzt greifen Banken und sogar Behörden das Konzept auf.

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Arbeitsuchende in Frankfurt: Die Zahl der Erwerbslosen könnte auf die Hälfte sinken, AP

Es gibt Fragen, die sind zielführend und wichtig. Und es gibt Fragen, die sind nur wichtig. „Zielführend ist alles, was der Vermittlung in eine neue Arbeitsstelle dient“, erklärt Michael Kühn, Personalleiter der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg. Das sind Fragen nach der Qualifikation, der Mobilität und Flexibilität des Arbeitslosen. Dafür und für passende Jobvorschläge sind die Arbeitsvermittler in den 178 Arbeitsagenturen zuständig. Alle anderen Fragen beantworten seit rund drei Jahren die 4300 Mitarbeiter in den 52 Service-Centern bundesweit: Terminabsprachen, Arbeitslosmeldungen, Fragen rund ums Arbeitslosengeld. „Alles, was sich ohne Akte erledigen lässt“, sagt Roger Christmann, Leiter des Service-Centers in Mainz. Hinter dieser Trennung steht ein Konzept, das sich die Bundesagentur von Industrieunternehmen abgeschaut hat, die ihre Produktionsprozesse seit Jahren systematisch verbessern. Lehren wie Six Sigma, Kaizen oder Total Quality Management zählen dort zum Standardrepertoire. Von den dabei gewonnenen Erfahrungen lassen sich nun auch Verwaltungen und Dienstleister, etwa Banken, inspirieren. Sie definieren emsig Teilprozesse, schichten Verantwortlichkeiten um, standardisieren, automatisieren und messen Erfolge. Richtig angepackt, können sie so die Effektivität der Abläufe deutlich steigern. Jede Bestellung, jede Nachfrage, jede Beschwerde löst einen Prozess im Unternehmen aus: also eine mehr oder weniger gut abgestimmte Abfolge von Arbeits-, Planungs- oder Produktionsschritten. Gut organisierte Prozesse zeichnen sich durch klare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten, standardisierte und möglichst automatisierte Abläufe aus. Experten aus Qualitäts- und Prozessmanagement unterscheiden Kern- und Unterstützungs- sowie Managementprozesse. In den Kernprozessen steht das Bedürfnis des Kunden im Zentrum. Unterstützungsprozesse wie Informationsverarbeitung, Controlling oder Buchhaltung liefern dem eigentlichen Geschäft nur zu und können ausgelagert werden. Was Kern- und was Unterstützungsprozess ist, hängt von der Strategie des Unternehmens ab. Aller Anfang ist dabei schwer: „Für jeden Prozess sollte deshalb zuerst ein Verantwortlicher benannt werden“, empfiehlt Jan Hagen, Leiter der Praxisgruppe Finanzdienstleistungen an der European School of Management and Technology in Berlin. Dieser beschreibt dann den Prozess in all seinen Einzelschritten. Das ist wichtig, um etwa Doppelarbeiten aufzuspüren und im nächsten Schritt Aufgaben sinnvoll zuzuweisen und Verantwortliche für Teilschritte festzulegen. Durch das Aufdröseln der Abläufe wird klar, wo mögliche Schnittstellen sitzen – zu Outsourcingpartnern, am Prozess beteiligten Kollegen oder auch internen Dienstleistern, sogenannten Shared Service Centern. Sind diese Abläufe klar, gilt es, Erfolgsfaktoren für Ergebnisse und Qualität zu bestimmen. Denen, die den Erfolg kontrollieren, gehört die Verantwortung zugewiesen. „Mit diesem Schritt tun sich Unternehmen leichter, die bereits eine projektorientierte Arbeitsweise haben“, sagt Hagen. Dort können die Projektverantwortlichen bei Bedarf alle nötigen Ressourcen auch bereichsübergreifend an sich ziehen. Hagen: „So eine Herangehensweise fördert das zielorientierte Denken bei den Beschäftigten und vermindert das Denken in konkurrierenden Bereichen.“

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Erfolgsentscheidend ist auch, dass die Mitarbeiter in der Prozessoptimierung für sich Vorteile sehen. „Dies erreichen Unternehmen mit Leistungsanreizen wie Boni oder erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteilen“, sagt Hagen. Damit Manager Anreize sinn- und wirkungsvoll setzen können, müssen sie Kennzahlen definieren. Leicht fällt dies bei Vertriebsprozessen. „Doch auch für Stabsstellen wie Controlling oder Personal lassen sich abgeleitete Ziele finden und in Zahlen ausdrücken“, ist Experte Hagen überzeugt. Was dieses Vorgehen bei an interner Bürokratie leidenden Unternehmen bewirken kann, zeigt die Bundesagentur für Arbeit. Vor wenigen Jahren noch galt die damalige Bundesanstalt als Mammutbehörde, verflochten und ineffizient, kaum reformierbar. Seit Jahren schlägt sich die BA mit Computerpannen in großem Stil herum. Gerade erst versagte erneut das System A2LL, mit dem die Leistungen für Hartz-IV-Empfänger ermittelt werden (siehe WirtschaftsWoche 32/2007). Der langjährige Präsident Bernhard Jagoda trat 2002 nach einer Affäre um geschönte Vermittlungsstatistiken ab. Danach wurde das Ziel ausgerufen: Die Kernaufgabe, Arbeitslose in Jobs zu vermitteln, muss effektiver gelöst werden. Das brachte eine Umwälzung in Gang, die längst nicht abgeschlossen ist. Das Telefon auf dem Schreibtisch summt. Die Anruferin ist Ende 30, ihr Ehemann hat überraschend ein Angebot für eine Probearbeit bekommen – und gleich angenommen. Und zwar in der zentralasiatischen Wildnis, abseits fast aller Kommunikationsmöglichkeiten. Der Haken: Die Arbeitsagentur hätte die vierwöchige Abwesenheit und die Probearbeit vorab genehmigen müssen. Das geht, wenn ein Anrufer länger als drei Monate arbeitslos ist und die Abwesenheit maximal 21 Tage dauert. Außerdem dürfen keine Maßnahmen sowie Termine oder Rückrufe durch den Arbeitsvermittler anstehen und auch kein Jobvorschlag vorliegen. „Ist eine dieser Bedingungen nicht erfüllt, geben wir die Anfrage an den Arbeitsvermittler weiter“, sagt Kathrin Kaufmann vom Mainzer Service-Center. Das passiert wie mit allen Anfragen und Mitteilungen auf elektronischem Weg. Während und nach jedem Anruf tippt Kaufmann die Daten des Gesprächspartners in das bundesweit vernetzte Computersystem. So hält sie das Anliegen und die Informationen, die sie gegeben hat, fest. „Arbeitsvermittler, Berater oder Kollegen vom Service-Center können so später auf dem Gespräch aufbauen“, sagt sie. Termine oder Rückrufbitten legt Kaufmann dem Vermittler auf Wiedervorlage. Von diesen sachbearbeitenden Aufgaben bekommt der Arbeitsvermittler heute nichts mehr mit. „Für berufliche Fragen haben unsere Vermittler früher nur durchschnittlich sieben bis 15 Minuten der Beratungszeit nutzen können“, berichtet BA-Personalchef Kühn. Heute können sie dafür die volle Dreiviertelstunde nutzen. Statt 10.000 sind 14.000 Vermittler tätig, die dadurch für je 235 statt ehemals 365 Arbeitslose zuständig sind. „Auch der Arbeitslose hat den Kopf freier“, ist Kühn überzeugt, „weil die Fragen rund ums Arbeitslosengeld schon geklärt sind, wenn er seinem Vermittler gegenübersitzt.“ Zwei oder drei Minuten dauert es, dann haben 95 Prozent der Anrufer einen Ansprechpartner in der Leitung. „Früher erreichte uns im Schnitt nur jeder fünfte Anrufer“, erinnert sich der Mainzer BA-Mann Christmann. Denn der Vermittler durfte aus Datenschutzgründen während eines persönlichen Gesprächs nicht ans Telefon gehen. „Die Leute mussten wegen jeder Kleinigkeit herkommen.“

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