Telekom-Prozess Was hat Ron Sommer verschwiegen?

Der Kauf des US-Mobilfunkers Voicestream rückt ins Zentrum des Telekom-Prozesses. Hat Ex-Chef Ron Sommer Informationen verheimlicht?

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Ron Sommer, CEO of Deutsche Quelle: AP

An den 28. Mai 2002 erinnert sich der T-Aktionär Wolfgang Philipp gerne zurück. Zum ersten Mal trat der Wirtschaftsanwalt auf einer Hauptversammlung der Deutschen Telekom ans Rednerpult. Detailliert zerlegte der Jurist die 39,4 Milliarden Euro teure Übernahme des US-Mobilfunkers Voicestream in ihre Einzelbestandteile. Immer wieder unterbrachen ihn die Beifallsstürme in der KölnArena. Schließlich kam Philipp zum Ergebnis, der Konzernvorstand mit Ron Sommer an der Spitze trage die Verantwortung für den Absturz der T-Aktie. „Der Vorstand hat den zu hohen Kaufpreis auf die Altaktionäre abgewälzt“, rief Philipp dem damaligen Vorstandschef zu. Sommer scheint Philipp für einen von vielen enttäuschten Kleinanlegern gehalten zu haben und schenkte ihm wenig Beachtung. Die T-Aktionäre dagegen kürten Philipp mit „Zugabe“-Rufen zum Star des Tages.

Am kommenden Montag treffen Philipp und Sommer im Frankfurter Saalbau Bornheim erneut aufeinander. Dieses Mal wird der ehemalige Telekom-Chef genauer zuhören. Denn Philipp zählt im vor wenigen Tagen begonnenen größten Wirtschaftsprozess aller Zeiten (siehe Titelgeschichte der WirtschaftsWoche-Ausgabe 15/2008) zu den Rechtsanwälten, die den Ex-Konzernchef sowie tags drauf Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick und Ex-Aufsichtsratschef Hans-Dietrich Winkhaus ins Kreuzverhör nehmen werden. Noch einmal rollen die Anwälte der T-Aktionäre den Voicestream-Deal auf – und dabei spielen die von Philipp zusammengetragenen Fakten eine wichtige Rolle.

Hat Sommer den T-Aktionären die Verhandlungen mit den Voicestream-Eignern im Juni 2000 verheimlicht? Hat die sonst eher behäbige Telekom den komplexesten und teuersten Deal ihrer Geschichte – wie sie glauben machen will – tatsächlich in nur vier Wochen durchgezogen? Oder waren die Gespräche mit Voicestream während des dritten Börsengangs der Telekom in Wirklichkeit nicht schon so weit fortgeschritten, dass sie im Börsenprospekt hätten veröffentlicht werden müssen? Gelänge den Klägern, dies nachzuweisen, könnten sie Schadensersatzansprüche bis zu 80 Millionen Euro geltend machen.

Schon nach den ersten beiden Prozesstagen zeichnet sich ab, dass die Voice-stream-Übernahme ins Zentrum des Musterverfahrens rücken wird. Richter Christian Dittrich schockte die Anwälte der Telekom-Kläger zwar mit der Andeutung, das er die umstrittene Immobilienbewertung für rechtens hält. Umso ausführlicher will sich das Gericht nun aber mit der Frage beschäftigen, ob die Verhandlungen mit Voicestream den T-Aktionären rechtzeitig mitgeteilt worden sind. Die Zeugen, allen voran Ex-Chef Sommer und Finanzvorstand Eick, werden Auskunft über den genauen Ablauf des Voicestream-Deals geben müssen.

Die WirtschaftsWoche hat mit Beteiligten gesprochen, interne wie öffentliche Dokumente ausgewertet und die Ereignisse vor, während und nach der teuersten Übernahme in der Geschichte der Deutschen Telekom noch einmal rekonstruiert.

17. September 1999: Finanzchef Joachim Kröske warnt nach dem Kauf des britischen Mobilfunkers One2one in einem Brief an alle Vorstände, der der WirtschaftsWoche vorliegt, vor weiteren Übernahmen:

„Soeben wurde ich informiert, dass für den Mittelfristplan in der Vorstandssitzung am kommenden Montag nur 45 Minuten Zeit zur Verfügung stehen. Ich halte das nicht für vertretbar, insbesondere unter folgenden Gesichtspunkten: Der vorliegende Plan untermauert gerade 40 Prozent des Börsenkurses zum 31.12.98 und nur 25 Prozent des aktuellen Börsenkurses. Die Lücke zwischen Realität und Kurs wird immer größer. Die Annahmen im Plan widersprechen den verabschiedeten Roadshow-Äußerungen. Im Jahr 2000 ist der Telekom-Konzern [...] ohne Verkäufe der Substanz (Kabel, Börsengänge T-Mobile, T-Online) in den roten Zahlen. Alle Internationalisierungspläne sind Makulatur, wenn die Selbstfinanzierungskraft nicht mehr ausreicht und angestrebte Börsengänge an mangelhafter Performance scheitern. Mit der im Mittelfristplan vorgelegten operativen Performance ist ein selbstständiger, internationaler Carrier nicht darstellbar. Das Kapitalmarktspiel ist gefährlich und nur dann zu vertreten, wenn die Substanz (operatives Ergebnis) stimmt.“

Zwischen Sommer und Kröske kommt es zum Bruch. Kröske scheidet Ende des Jahres als Finanzvorstand aus und wird durch Eick ersetzt.

Sommer prescht ungeachtet der Warnung seines aufmüpfigen Finanzchefs vor. Am 15. Oktober 1999 schafft der Telekom-Chef die Voraussetzungen für einen Mega-deal in den USA, denn er beendet die Allianz mit zwei anderen Telekomkonzernen – und hat nun Handlungsspielraum. In einer Rede vor Führungskräften, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt, sowie in der Ausgabe 10 der internen Führungskräfte-Zeitschrift „Vision“ erläutert Sommer seine neue Akquisitionsstrategie:

„Wir können uns jetzt ohne Fesseln auf dem Markt umsehen. Wir sind vom Stillhalteabkommen befreit, dies eröffnet uns neue Optionen auch in den USA. Seien Sie versichert, dass wir mit hohem Druck, zahlreichen Teams, Experten und Investmentbanken intensiv daran arbeiten. Globalisierung lässt sich nicht von heute auf morgen bewerkstelligen, insbesondere nicht, wenn Sie an Gigadeals denken, wie sie jetzt ablaufen. Alles, was über 100 Milliarden Mark liegt, ist für mich ein Gigadeal. Die Kriegskasse der Deutschen Telekom wäre groß genug, um einen Gigadeal durchzuziehen. Wir haben ein starkes Papier, das fusions- und akquisitionsfähig ist. Ich weiß auch, dass Aktionäre wie Großaktionäre, aber auch Vorstand und Aufsichtsrat mich dabei unterstützen würden.“

Am 25. November 1999 legt der Vorstand nach kontroverser Diskussion dem Aufsichtsrat seine Mittelfristplanung vor. Sie sieht weitere Akquisitionen in den USA und Europa vor und ist die Grundlage für den Börsenprospekt zum dritten Börsengang, der im Geschäftsjahr 2000 geplant ist. Eine Übernahme in den USA strebt die Deutsche Telekom vor allem im Mobilfunk (T-Mobile) und im IT-Geschäft (heute: T-Systems) an. Ein Einstieg ins Festnetzgeschäft sei nicht vorgesehen, erklären Telekom-Vorstände in Interviews.

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