Thyssen-Krupp und Olympia Wenn Stahl-Männer nach Gold greifen

Beruf und Leistungssport lassen sich oft schwer miteinander vereinbaren. Zwei Thyssen-Krupp-Mitarbeiter brechen dennoch nach Rio de Janeiro auf, um bei Olympia um Gold zu kämpfen. Wie ihnen dieser Spagat gelingt.

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Hockey-Spieler Oskar Deecke (l.) und Taekwondo-Kämpfer Levent Tuncat (r.), Mitarbeiter bei Thyssen-Krupp, gehören dem Olympia-Kadar an.

Essen Die Überraschung ist gelungen: Dutzende Kollegen haben sich ein Trikot des Deutschen Hockey-Teams übergestreift. Auf der Rückseite steht der Name des 200-fachen Nationalspielers Oskar Deecke. Als er sich mit Taekwondo-Kämpfer Levent Tuncat dem Hauptgebäude von Thyssen-Krupp nähert, klatschen die einen Beifall, die anderen schwenken Pappschilder mit der Aufschrift „Go for Gold“.

Der Grund für gute Stimmung unter Kollegen: Die beiden Spitzensportler sollen gebührend verabschiedet werden, bevor sie zu den Olympischen Spielen nach Rio de Janeiro reisen. Erst steigt Deecke in den Flieger, dann Tuncat eine Woche später. Auch ihre Kollegen in Essen fiebern mit, wenn Deecke mit der Hockey-Nationalmannschaft versucht, die vor vier Jahren in London gewonnene Goldmedaille zu verteidigen. Tuncat, der schon bei den Spielen in Peking dabei war, strebt in Brasilien seine erste Medaille an.

Es ist eher ungewöhnlich, dass Leistungssportler in der freien Wirtschaft arbeiten. Die meisten Mitglieder des deutschen Olympia-Kadars studieren oder haben sich für die öffentliche Verwaltung, wie etwa der Polizei, der Bundeswehr und den Zoll, verpflichtet. Sie genießen großzügige Regelungen, was die Freistellung fürs Training bei laufendem Gehalt betrifft. Weniger als zehn Prozent der Olympioniken, die vor vier Jahren in London dabei waren, haben in Unternehmen gearbeitet. Auch im Berufsleben genießen sie einen Sonderstatus. Ohne Entgegenkommen des Arbeitgebers sind Job und Spitzensport nicht miteinander zu vereinbaren.

Die Mitarbeiter von Thyssen-Krupp Oskar Deecke und Levent Tuncat sind daher kein Einzelfall. In Deutschland bieten rund 140 Unternehmen Spitzensportlern Stellen, Kurzzeit-Praktika und Mentorenprogramme mit Führungskräften an. Darunter sind Daimler, Bayer, Lufthansa, Continental und KPMG. Die Konzerne arbeiten für dieses Angebot mit der Stiftung Deutsche Sporthilfe zusammen.

Taekwondo-Kämpfer Tuncat ist seit anderthalb Jahren von seinem Job im Einkauf der Stahlsparte von Thyssen-Krupp freigestellt. „Es gab eine großzügige Unterstützung von meinem Chef und den Kollegen“, sagt der Sportler. Nur so sei es möglich gewesen, dass er die Qualifikation für die Olympischen Spiele geschafft hat. Seitdem zahlen die Deutsche Sporthilfe und die Sportstiftung NRW sein Gehalt.

Neid seiner Kollegen wegen der freien Zeit fürs Training und den Reisen zu Wettkampforten spüre er nicht, sagt Tuncat. Selbstverständlich ist das nicht: Schließlich müssen die Kollegen seine Arbeit miterledigen. „Die Zeit, die wir da sind, müssen wir auch ran“, ergänzt Hockeyspieler Deecke. Er hat vor zwei Jahren eine Traineeausbildung in der Kommunikationsabteilung des Konzerns begonnen.

Im Schnitt 30 Stunden pro Woche trainiert das Duo im Schnitt für den Traum vom Medaillen-Sieg bei Olympia. Nicht mitgerechnet sind Trainingslager und Wettkämpfe. Mehr als die Hälfte der Arbeitszeit geht dafür drauf. „Das funktioniert nur mit ganz viel Flexibilität auf beiden Seiten“, sagt Thyssen-Krupp-Sprecher Alexander Wilke.

Und die beginnt schon beim Jobeinstieg. Ein Bewerber etwa mit Deeckes Lebenslauf – zwar mit zahlreichen sportlichen Erfolgen, aber ohne Praktika – werde normalerweise gar nicht erst zum Gespräch eingeladen. Da braucht es schon ein großes Entgegenkommen des Arbeitgebers.


„Ich habe bewiesen, dass man das schaffen kann“

Dennoch versprechen sich auch die Konzerne einiges von dem Wagnis, Quereinsteigern eine Chance zu geben. „Spitzensportler bringen auch unter anderen Bedingungen viele Charaktereigenschaften mit, von denen ein Unternehmen profitieren kann“, sagt Wilke und ergänzt: „Flexibilität, Teamerfahrung – und auch die Fähigkeit mit Niederlagen umzugehen. Die Einsatzbereitschaft ist jedenfalls außergewöhnlich.“

Schon seit 15 Jahren bietet Thyssen-Krupp Spitzenathleten aus Randsportsportarten wie etwa Hockey, Bob, Rudern und Kanu Praktika und Trainee-Programme im Unternehmen an. Daraus können sich auch Karrieren entwickeln: Sebastian Schulte, langjähriges Mitglied des Deutschland-Achters und Ruder-Weltmeister, arbeitet heute als Finanzvorstand der brasilianischen Thyssen-Krupp-Tochter CSA.

Auch Deecke kann sich Hoffnungen auf einen Anschlussvertrag machen, wenn die Olympischen Spiele und sein Traineeprogramm vorbei sind. Seine Karriere als Leistungssportler auf internationaler Ebene will der 30-Jährige nach Rio jedenfalls beenden.

Dann bleibt ihm auch wieder mehr Zeit für die berufliche Weiterentwicklung. Tuncat wird an seinen Arbeitsplatz im Stahl-Einkauf zurückkehren. Ob der zweifache Familienvater mit dem Leistungssport aufhört, weiß er noch nicht.

Für ihn sei immer wichtig gewesen, Sport, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren: „Ich habe bewiesen, dass man das schaffen kann.“

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