ThyssenKrupp Nirosta rostet vor sich hin

ThyssenKrupp kann mit seiner traditionsreichen Edelstahlschmelze nichts mehr anfangen. Überkapazitäten drücken seit Jahrzehnten auf den europäischen Markt. Doch das Schicksal der Sparte ist ungewiss: Kein Käufer in Sicht.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Ein Mitarbeiter von Quelle: dpa

Die Schiffsschraube steht drei Meter hoch vor der Villa Hügel in Essen – dem Stammsitz der Familie Krupp im 19. Jahrhundert. Das Prachtstück stammt vom längst verschrotteten Schnelldampfer Bremen, die Schraube blinkt weiter in der Sonne, obwohl sie auch schon über siebzig Jahre alt ist. Grund für den Glanz: Das Meisterstück ist aus Nirosta-Stahl, dem niemals rostenden Eisen aus der Edelstahlschmiede von Krupp in Bochum, geschmolzen irgendwann, Ende der  Zwanziger Jahre. Nirosta ist die bekannteste Marke von Krupp, die Nirosta-Spüle kennt jede Hausfrau und jeder Hausmann, das Patent wurde  bereits im Herbst 1908 in Essen angemeldet  und stand für Krupp, edel, stählern, dauerhaft.

Die Euro-Krise hat das Börsenklima verdorben

Das mit der Dauer ist vorbei. Der ThyssenKrupp-Konzern will sich von seiner Edelstahlsparte trennen. Das klingt überraschend: Ein Stahlkocher will keinen Edelstahl mit produzieren? Ist das wie der theoretische Verzicht von Mercedes auf die S-Klasse? Edelstahl heißt so, weil der nicht rostet. Aber moderner Flachstahl, so wie er in hochwertigen Automobilen verwendet wird, rostet auch nicht mehr so schnell wie früher.

In Europa gibt es seit Jahrzehnten heftige Überkapazitäten in der Edelstahlherstellung – anders als in den USA, wo es noch einen Bedarf von Haushaltsgeräte-Herstellern gibt. Seit langem versucht das ThyssenKrupp-Management, die Edelstahlsparte loszuwerden. Zunächst gesichtswahrend über einen Börsengang, nun als Verkauf. Das Börsenklima ist durch die Euro-Krise verdorben. Nun muss ein Käufer her, aber woher soll er kommen?

Neumodisch "Inoxum"

Es gibt gleich zwei Edelstahlhütten von ThyssenKrupp – in Krefeld, die alte Thyssen-Schmelze – und wenige Kilometer davon entfernt in Bochum – das traditionsreiche Krupp-Werk für nichtrostenden Stahl, auf englisch: Stainless. Stainless wird zum Mühlstein aller Stahlkocher, ArcelorMittal hat seine Glanzsparte schon lange in eine eigene Gesellschaft ausgelagert, ThyssenKrupp kleckerte mit diesem Schritt hinterher. Edelstahl heißt bei den Essenern nun nicht mehr Nirosta, das bleibt der Markenname, sondern Inoxum. Das klingt neumodisch, börsianisch. Der Börsengang fällt jedoch weg, obwohl es kleinlaut und offiziell heißt: „Wir prüfen alle Optionen“.

Sechs Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet Inoxum mit 11 000 Beschäftigten. „Die Lösung für den europäischen Edelstahl wäre eine Konsolidierung“, sagt ein Stahlanalyst. Im Klartext: Jedes dritte Edelstahlwerk in Europa, von insgesamt 98, müsste dichtmachen. Der Rest müsste zu etwa vier großen Anbietern fusionieren. ThyssenKrupp befindet sich in einer Klemme: In USA wird gerade ein neues Edelstahlwerk in Alabama konzipiert, direkt neben der Flachstahlhütte.

Da der amerkanische Markt noch aufnahmefähig ist für Edelstahl, erschien diese Investition bisher sinnvoll. Doch was passiert mit dem Edelstahlgeschäft in USA, wenn die deutschen Inoxum-Hütten zum Verkauf stehen? „Es könnte sein, dass mit dem deutschen Edelstahl auch das neue Werk in USA veräußert wird“, sagt ein Stahlanalyst, um das Gesamtpacket damit attraktiver zu machen.

Nirosta, Titan... alles bald weg

ThyssenKrupp im Verkaufsrausch. Edelstahl hat keine Zukunft mehr im Hause Krupp. Und zum Edelstahl gehört nicht nur die Marke Nirosta, sondern auch die Titan-Herstellung. Das große Titan-Werk von ThyssenKrupp steht in Essen, wenige hundert Meter von der Konzernzentrale am Kruppgürtel entfernt. ThyssenKrupp-Vorstandschef Heinrich Hiesinger kann von seiner Büroflucht aus direkt auf dieses Werk blicken. Nirosta, Titan .. alles bald weg.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%