Tourismus Extremtourismus: Das makabre Geschäft mit dem Tod

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Enduro-Tour durch die Sahara Quelle: laif

Das Abenteuer von der Stange zeigt insbesondere am Mount Everest abartige Züge. Im Mai 2003 schafften 113 den Gipfel an einem einzigen Tag. Das Basislager auf rund 5.300 Meter Höhe gleicht einer Kleinstadt. In Hochzeiten befinden sich dort mehr als Tausend Menschen und 500 Zelte. Es gibt Bier, Burger und Joints. Ausrüstungen wie Eispickel, Handschuhe und Zelte werden geklaut. „Es gibt Leute, die absichtlich keine Zelte mitnehmen, um weniger tragen zu müssen und dann Zelte von anderen zu nutzen“, sagt DAV-Bergführer Luis Stitzinger.

Trauriger Höhepunkt des Ausverkaufs des Mount Everest war der Tod von David Sharp vor zwei Jahren. Der damals 31-jährige Bergsteiger verstarb beim Abstieg vom Gipfel. Weil er spät dran und erschöpft war, setzte er sich rund 300 Meter oberhalb des letzten Höhenlagers in einen Felsvorsprung. Kurz nach Mitternacht brach eine andere Seilschaft mit 40 Bergsteigern auf, um den Gipfel zu besteigen. Beim Auf- und Abstieg mussten sie an Sharp vorbei.

„Während die eisige Kälte langsam das Leben in ihm zum Erstarren brachte, gingen diese 40 Paar Bergschuhe zweimal an ihm vorbei“, schreibt der amerikanische Journalist und Bergsteiger Michael Kodas in seinem Buch „Der Gipfel des Verbrechens“. „Vielleicht hätte man auch gar nichts mehr tun können, um David Sharp zu retten. Dennoch zeigte sein verlorener Kampf ums Überleben (...), wie tief unser Sport gesunken war.“ Ein Phänomen, das weit über das Expeditionsbergsteigen hinausreicht.

Selbst Krisenregionen sind heute keine No-go-Areas mehr — mit erheblichen Gefahren: Bei einer Tour auf den 5.165 Meter hohen Berg Ararat in der Türkei zum Beispiel entführte die kurdische Untergrundorganisation PKK im Juni frei deutsche Teilnehmer aus Bayern. Nach zwölf Tagen kamen die Entführten wieder frei. Und bei der Umseglung der afrikanischen Ostküste entführten Piraten an der somalischen Küste ein deutsches Segler-Ehepaar. Geschätzte 670.000 Euro Lösegeld zahlte die Bundesregierung für die Freilassung.

Auch an Entführungen werden sich die Deutschen gewöhnen müssen. Speziell Bundesbürger könnten zum Ziel von Entführungen werden, sorgt sich das Innenministerium. Ursache dieser Entwicklung sei, so beschreibt ein hoher Beamter des Ministeriums die Lage, dass sich inzwischen in vielen Regionen dieser Welt unter kriminellen und terroristischen Gruppierungen „herumgesprochen hat, dass Deutschland gut zahlt“.

Touristen lassen sich dabei auf ein zynisches Spiel ein; Männer sind als Entführte weniger wert, Frauen etwas teurer, Schwangere bringen den Banden 500.000 bis eine Million Euro zusätzlich ein. Im Schnitt kostet ein Deutscher dem Staat zwei Millionen Euro. Ähnlich teuer seien Amerikaner, berichtet der Beamte, Briten seien weniger begehrt; London sei als schlechter Zahler in der Entführerszene verrufen.

Natürlich schweigt die Bundesregierung zu jedem Einzelfall. Aber bei einigen Entführungsfällen in der Vergangenheit ist, teilweise über Vermittler oder die Stiftung des Sohnes von Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi, Geld an die Entführer geflossen. Deutsche Staatsbürger, so meint der Beamte aus dem Innenministerium sarkastisch, „laufen doch inzwischen mit einem Preisschild durch die Landschaft“.

Die Veranstalter übernehmen daher eine „immer größere Verantwortung und sind sich dessen nicht bewusst“, sagt Tourismusexperte Zellmann. Jeder neue Katalog müsse mit neuen Ziele protzen, um die Kunden – viele von ihnen „Wiederholungsbucher“ – bei der Stange zu halten.

Bei den Trekkinganbietern hat daher ein Run auf die „weißen Flecken“ begonnen, die letzten noch unbereisten Gegenden der Welt. Darunter auch Staaten wie Tadschikistan, Armenien. Und Georgien. Wenn die Panzer abgerückt sind, kommen die Trekker.

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