Tourismusbranche Teure Schiebereien beim Verkauf von Pauschalreisen

Eine Reisebüroinhaberin legt sich mit dem Tourismusriesen Thomas Cook an. Der Fall bringt fragwürdige Geschäfte der ganzen Branche ans Licht.

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Reiseveranstalter Thomas Cook Quelle: dpa

Das Einschreiben erreichte Marija Linnhoff am 24. Juli. Vier Zeilen, zwei Unterschriften, dazu die nüchterne Botschaft in der Betreffzeile: „Kündigung des Agenturvertrages Nr. 103138“.

Der knappe Brief ist der vorläufige Höhepunkt eines fast vierjährigen Kampfes der Sorte David gegen Goliath, den die deutsche gesamte Reisebranche mit wachsender Spannung verfolgt. Denn Absender des Schreibens ist Thomas Cook aus Oberursel bei Frankfurt am Main, Deutschlands zweitgrößter Reiseveranstalter und Tochterunternehmen des insolventen Handelskonzerns Arcandor. Die Empfängerin wiederum ist die Inhaberin eines kleinen Reisebüros aus Iserlohn im Sauerland, die dort seit 2005 ein Reisebüro mit zwei Mitarbeitern betreibt.

System auf dem Prüfstand

Vordergründig geht der Streit um Schadensersatz in Höhe von 109.000 Euro, den die resolute Sauerländerin von Thomas Cook unter anderem wegen entgangener Provisionen und Falschberatung verlangt. Der Konzern lehnt einen für die Kauffrau akzeptablen Vergleich bislang strikt ab.

In Wirklichkeit steht in der Auseinandersetzung aber das komplette System, wie die großen Reiseveranstalter in Deutschland ihre Pauschalurlaube verkaufen, auf dem Prüfstand. Denn wirtschaftlicher Druck und überholte Provisionsmodelle zwingen die Reisebüros immer mehr dazu, sich zweifelhafter Verkaufsmethoden zu bedienen. Leidtragende sind die Kleinen und Ehrlichen der Branche, die bei der ganzen Chose nicht mitmachen oder nicht zum Zuge kommen. Aber auch die Konsumenten zahlen drauf, weil sie sich allzu oft mit überteuerten Angeboten zufriedengeben müssen.

David gegen Goliath

Dass jetzt ausgerechnet eine Reisebüroinhaberin aus der Provinz das System ins Wanken bringen könnte, ist die Folge eines Zufalls. Linnhoff, inzwischen 46 Jahre alt, hatte Reisebürokauffrau gelernt und 2005 entschieden, sich in der Tourismusbranche selbstständig zu machen. Dazu übernahm sie als sogenannte Franchisenehmerin ein Holiday-Land-Reisebüro von Thomas Cook in Iserlohn. Das heißt, sie wurde Inhaberin des Ladens und profitierte vom Namen der Kette und dem Know-how von Thomas Cook. Dafür zahlte sie fortan eine Franchisegebühr an den Reiseriesen.

Das Geschäft schien Erfolgversprechend. Linnhoffs Vorgänger hatte nach eigenen Angaben etwa 300.000 Euro pro Jahr alleine über den Verkauf von Thomas-Cook- und Neckermann-Reisen, die beide zu Arcandor gehören, eingenommen. Diesen Betrag setzte Linnhoff in ihrem Geschäftsplan für die Folgejahre an. Ein Mitarbeiter von Thomas Cook habe die Angaben ihres Vorgängers bestätigt, sagt Linnhoff – was Thomas Cook auf Anfrage weder bestätigt noch dementiert. Mit der Unterschrift beider Seiten unter den Franchisevertrag war der Einstieg Linnhoffs jedenfalls perfekt.

Reisebüroinhaberin Linnhoff. Streit bringt Branche ins Wanken Quelle: Peter Stumpf für WirtschaftsWoche

Umso heftiger erschrak die frischgebackene Unternehmerin, als sie im Laufe der Monate bemerkte, dass die Angaben ihres Vorgängers nur die halbe Wahrheit waren. Denn ein Großteil des Umsatzes stammte nicht von diesem selbst. Vielmehr hatte Linnhoffs Vorgänger seinem Holiday-Land-Reisebüro in Iserlohn Umsätze gutgeschrieben, die dieses offenbar gar nicht gemacht hatte. Das belegen interne Umsatzlisten von Holiday-Land-Reisebüros, die der WirtschaftsWoche vorliegen.

Die Einnahmelücke, vor der Linnhoff unerwartet stand, war gewaltig: Bis zu 80 Prozent der vermeintlichen Umsätze ihres Vorgängers mit Thomas-Cook-Reisen waren offenkundig nicht in Iserlohn angefallen, sondern in einem Holiday-Land-Reisebüro, das dieser zusätzlich im Nachbarort Altena betrieben hatte.

Auf Umsatzverschiebungen reingefallen

Mit diesem Wissen, sagt Linnhoff heute, hätte sie das Reisebüro in Iserlohn „niemals übernommen“. Weder ihr Vorgänger, geschweige denn der Mitarbeiter von Thomas Cook hätten sie davon unterrichtet. Und das, obwohl der verantwortliche Thomas-Cook-Mitarbeiter die tatsächlichen Zahlen aus seinen Unterlagen hätte kennen müssen. Auch hierzu will sich Thomas Cook nicht äußern.

Wahrscheinlich ist die Sauerländerin auf Gepflogenheiten in der Reisebranche hereingefallen, die es eigentlich gar nicht geben sollte, in Wirklichkeit aber an der Tagesordnung sind, wie Branchenkenner berichten. Denn offiziell sind solche Umsatzverschiebungen, wie sie Linnhoff erlebte, den Reisebürobetreibern ausdrücklich untersagt. „Die Entgegennahme“ sowie die „Weitergabe von Kundenbuchungen zwecks Einbuchung bei einer anderen Vertragsagentur“ sind „unzulässig“, heißt es etwa in den Verträgen bei Thomas Cook.

Anzahl und Umsatz von Reisebüros in Deutschland (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

In der Praxis scheren sich Thomas Cook und die Wettbewerber aber seit Jahren offenbar nicht oder nur ungenügend um die eigenen Regeln. Die Probleme sind bekannt, werden aber „branchenweit toleriert“, so ein hochrangiger TUI-Manager. In Intranet-Foren von Alltours beispielsweise fleht der Inhaber eines Alltours-Reisebüros, der auch Reisen anderer Wettbewerber vermitteln darf: „Uns fehlen noch 2000 Euro beim FTI-Umsatz.“ Ein anderer Kollege schlägt Alarm, er „brauche noch dringend ITS-, Jahn- oder Tjaereborg-Umsatz“.

Provisionspraxis schadet dem Verbaucher

Der Grund für die Hilferufe im Intranet ist die Logik der Branche: Je mehr Umsatz ein Reisebüro mit einem bestimmten Reiseveranstalter macht, desto höher ist die Provision pro Reise. Oft fehlen einem Reisebüro nur wenige Tausend Euro Umsatz, um einen Sprung beim Provisionssatz zu schaffen, der dann auf den gesamten Jahresumsatz angerechnet wird.

Bei FTI etwa, der Nummer fünf unter den Reiseveranstaltern, gibt es acht Prozent ab einem Mindestumsatz in Höhe von 30.000 Euro und 13 Prozent ab 200.000 Euro. Wer knapp unter der oberen Schwelle liegt, hat schnell einige Tausend Euro mehr in der Tasche, wenn er zwei, drei Reisen mehr verkauft.

Die Umsatztrickserei wäre eine rein brancheninterne Angelegenheit, hätten die Verbraucher davon nicht gravierende Nachteile. Denn wenn Reisebüros noch Umsatz eines bestimmten Veranstalters benötigen, verkaufen sie halt schnell noch eine Reise, die für den Geldbeutel des Agenturbetreibers, aber nicht für den Kunden das Beste ist. Zu diesem Zweck kaprizieren sich viele Reisebüros auch noch auf einen Veranstalter, obwohl sie mehrere Veranstalter im Programm haben. Der Kunde merkt von alledem aber nichts.

Experten wie Touristikprofessor Karl Born von der Hochschule Harz fordern daher vehement, das ganze System öffentlich zu machen. „Wenn ich beim Mercedes-Händler bin, weiß ich ja auch, was der Verkäufer will“, sagt Born. „Und ich gehe nicht zu Mercedes, um mir dort einen BMW zu kaufen.“ Born fordert zum Beispiel ein „klares Schild an den Laden, in welcher Mannschaft man spielt“.

Im Verborgenen spielen sich auch die verdeckten Punktesysteme ab, mit denen die Reiseveranstalter auf Kundenfang gehen. Die Unternehmen locken Reisebüroverkäufer mit attraktiven Preisen, um das eine oder andere Urlaubspaket bevorzugt an den Mann zu bringen.

Der Reisebranche droht ein Imageschaden

Macht Linnhoff ihre Drohung wahr und klagt erfolgreich gegen Thomas Cook vor Gericht, muss sich die Branche darauf einstellen, ihre Vertriebspraktiken möglicherweise neu auszurichten. Dazu käme ein gewaltiger Imageschaden, durch den noch mehr Kunden zur Buchung ins Internet getrieben würden. Schon seit Jahren sinkt die Zahl der Reisebüros in Deutschland — trotz wiederholter Bekenntnisse der Veranstalter zum stationären Vertrieb.

Darum sorgt sich sogar schon Ernst Hinsken, der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung. In einem persönlichen Brief forderte er Thomas-Cook-Chef Peter Fankhauser auf, den Fall Linnhoff daher „nicht weiter seinem Lauf zu überlassen“ und „öffentlichen Schaden von der Branche“ fernzuhalten. Fankhauser blieb in der Sache hart, antwortete aber: „Wir verkennen den ,Lästigkeitsfaktor‘ von Frau Linnhoff keineswegs.“

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