Touristik-Branche L'Tur: Nix wie neu

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Umsatz von L'Tur (in Millionen) (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Sein erster Coup war die Entmachtung von Vorstandskollegen. Prominentestes Opfer ist Markus Faller. Der Marketing-Profi arbeitet seit mehr als zehn Jahren im Unternehmen, gilt als „Mister L’Tur“ und ist bei Kollegen außerordentlich beliebt. Als Markenchef verantwortete er Kampagnen wie die pink-farbene L’Tur-Kuh und Sprüche wie „Nix wie weg“. Auf der Herrentoilette in der Firmenzentrale hängt ein Schild über den Urinalen mit dem Wortlaut: „Verpiss dich — L’Tur. Nix wie weg.“ Ist die Botschaft eh schon doppeldeutig, bekommt sie im Falle Fallers eine weitere Dimension. Der soll in Zukunft „Einzelprojekte“ betreuen. In der Branche erwartet kaum jemand, dass Faller noch lange bleibt. Sein Weggang wäre ein Verlust: „Es wird schwierig sein, ihn zu ersetzen“, sagt Experte Born. Orth ficht das nicht an, er verantwortet den Markenauftritt von L’Tur im Vorstand künftig selber.

Der zweite Coup ist das Portal „Deutschland Last Minute“, das vergangene Woche startete. Geboten werden Pauschalreisen mit Hotel und Flug innerhalb Deutschlands, die bis sieben Tage vor Abreise gebucht werden und Geschäftsreisende locken sollen. Innerdeutscher Verkehr sei ein „Riesenthema“, das als Last-Minute „noch nicht erschlossen ist“, so Orth.

Mit Innovationen war L’Tur in jüngster Zeit aber nicht sehr erfolgreich. Ob das im Januar gestartete Reiseportal Binoli — eine Kooperation zwischen Air Berlin und L’Tur-Gründer Kögel — die anvisierte Kundenzahl von 60.000 dieses Jahr erreichen wird, scheint fraglich. Und das im März gestartete Rabattsystem Deutschlandcard, an dem neben L’Tur die Deutsche Bank und Edeka teilnehmen, wartet bis heute auf weitere renommierte Partnerunternehmen. Den prominenten Konkurrenzprodukten Payback und Happy Digits ist so kaum Paroli zu bieten, entsprechend wenig profitiert davon L’Tur.

Bleibt Orths Coup Nummer drei: der Umbau des Unternehmens. Intern bastelt er an dem großen Wurf: Er will den Vermarkter von Last-Minute-Reisen stärker als Reiseveranstalter aufstellen, das heißt, statt nur Restplätze zu verhökern, wird sich L’Tur viel früher als bisher Hotel- und Flugkapazitäten sichern und diese zu Pauschalprodukten zusammenführen. Damit will sich Orth von Massenprodukten im Internet absetzen, die oft auf gleiche Buchungssoftware zugreifen und einander ähneln. Das, so Orth, sei wie „eine Zapfanlage, aus der überall Früh Kölsch herausläuft“.

Reisebüros noch lange nicht tot

Die Gefahr, sich zu verschlucken, ist groß. Das Veranstaltergeschäft entspricht „nicht dem Geschäftsfeld von L’Tur“, sagt Kenner Born, und „erfordert spezielle Kenntnisse“. L’Tur müsste Hotelbetten und Flugsitzplätze Monate zuvor auf Vorrat einkaufen — ein diffiziles Geschäft mit hohem Risiko. Absatzprobleme könnten heftig auf das Ergebnis schlagen. „Ein halb leeres Hotel oder Flugzeug ist schlimmer, als bei mauer Nachfrage die Preise um ein paar Prozentpunkte zu senken“, sagt Born. Immerhin: Orth holt sich ab Januar mit Richard Brodrecht von Thomas Cook einen hochkarätigen Experten für den Flugeinkauf.

Fraglich ist, wie Orth seine rund 165 Reiseshops in den Gesamtauftritt des Unternehmens integriert. Die Franchisepartner sorgen für rund 60 Prozent des Umsatzes — mit abnehmender Tendenz. Ein Vorteil der Niederlassungen könnte sein, dass sich die Internet-Euphorie etwas gelegt hat: Reisebüros sind noch lange nicht tot. Eine aktuelle Studie der Beratung Sempora kommt zu dem Ergebnis, dass mehr als ein Viertel des touristischen Umsatzes in Deutschland online recherchiert und im Reisebüro um die Ecke gebucht wird — Tendenz steigend.

Insofern könnte L’Tur den Vorteil des doppelten Vertriebsweges, Internet plus Reisebüro, „voll ausfahren“, sagt Experte Heller. Die Frage sei, ob es dem neuen Chef Orth gelingt, beides so zu verzahnen, dass Kunden den Weg über die Web-Seite direkt zum L’Tur-Reisebüro finden. Die Marke jedenfalls hält er für „so stark, dass eine Kundenbindung möglich erscheint“.

Doch die Gefahr einer Verwechselung ist groß. Wer „Last Minute“ in die Suchmaske von Google eingibt, erhält den L’Tur-Konkurrenten lastminute.de als obersten Treffer. Dahinter verbergen sich Schnäppchenpreise für Urlaube nach Mallorca, Ägypten und Marokko. Die Farbe der Schriften und Elemente ist pink — genauso grell wie das Magenta von L’Tur.

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