Touristik-Branche L'Tur: Nix wie neu

Der einst so erfolgsverwöhnte Last-Minute-Reiseveranstalter L’Tur kriselt. Nun soll der größte Umbau der Firmengeschichte die Wende bringen.

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L'Tur-Reisebüro am Hamburger Flughafen:Online-Konkurrenz verdirbt das Geschäft

Die Suche nach „Last Minute“ im Internet macht Markus Orth keine Freude. Wer den Begriff googelt, erhält zahlreiche Treffer — der Name L’Tur kommt erst auf Rang drei. Orth ist Chef von L’Tur in Baden-Baden, „Europas Nummer eins für Last-Minute-Urlaub“, wie das Unternehmen sich nennt. Doch im Internet sind die Badener schon lange nicht mehr ganz vorne dabei.

Junge Konkurrenten machen Orth online mächtig zu schaffen. Sie nennen sich ab-in-den-urlaub.de, lastminute.de oder reisen-experten.de und haben ihre Web-Seiten so optimiert, dass Google sie bei bestimmten Suchbegriffen zuerst ausspuckt. „Der Kampf um die Poleposition in Suchmaschinen wird härter“, sagte Orth auf einem Branchenkongress Mitte September in Köln. Und das ist nur die halbe Wahrheit.

Die Erfolgsgeschichte des achtgrößten Touristikunternehmens in Deutschland, dank seiner Werbung eines der bekanntesten der Branche, ist vorerst vorbei. Die Zeiten der Rekordergebnisse und Schwärmereien von Firmengründer Karlheinz Kögel über „Traumrenditen“, ohne dass er je konkrete Zahlen nannte – gehören der Vergangenheit an. Seit zwei Jahren stagnieren die Umsätze bei rund 365 Millionen Euro (siehe Grafik S. 2). Dieses Jahr gilt als „schwierig“ – vor allem das wichtige Sommergeschäft habe die Erwartungen nicht erfüllt.

Trip mit Risiko

Damit koppelt sich L’Tur erstmalig vom Branchentrend ab. Vergangenes Jahr wuchs der Umsatz der deutschen Reiseveranstalter um 3,6 Prozent auf rund 20 Milliarden Euro. Auch dieses Jahr trotzt die Branche den konjunkturellen Eintrübungen und wächst nach Schätzungen des Deutschen Reiseverbandes ähnlich stark.

Vor dem Hintergrund muss der 44-jährige Orth, der im September den Chefposten übernahm, erreichen, dass L’Tur nicht abgehängt wird. Schaffen will er das mit dem größten Umbau der Firmengeschichte: L’Tur soll sich stärker zum konventionellen Reiseveranstalter entwickeln — ein Trip mit Risiko.

Grund für die Probleme bei L’Tur ist ein Strategieschwenk bei großen Veranstaltern wie TUI, Thomas Cook und Alltours. Die arbeiten konsequent daran, die „gierige Schnäppchenjagd kurz vor Abflug zu reduzieren“, sagt Markus Heller, Geschäftsführer der Beratung Dr. Fried & Partner in München. Zum einen bieten sie eigene Last-Minute-Reisen an. Zum anderen haben sie ihre „Risikokapazitäten“ im Hotel- und Flugbereich in den vergangenen Jahren „deutlich reduziert“, sagt Heller. Das bekommt Orth zu spüren. Wenn weniger Reisen im Markt sind, bleiben am Ende weniger Kapazitäten für L’Tur übrig.

Als Problem erweist sich auch der technische Fortschritt — seit Jahrzehnten eine Domäne von L’Tur. Kein anderer Touristiker agiert so geschickt mit der eigens für das Unternehmen entwickelten Buchungssoftware — etwa beim Verfolgen der Kundenwünsche. Die IT erkennt, welche Destinationen und Hotelwünsche die Nutzer auf der Web-Seite verstärkt anklicken, und bietet just in diesem Moment gezielt lukrative Angebote an. Die IT gilt daher als „Herzstück“ von L’Tur, da sie komplette Reisen innerhalb von wenigen Minuten zusammen- und dann zum Verkauf stellt.

L'Tur-Chef Martin Orth

Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute kann jedes noch so kleine Online-Reisebüro über moderne Buchungsmaschinen Last-Minute-Reisen verpacken. „Der Vorsprung von L’Tur schwindet“, sagt Touristikexperte Karl Born von der Hochschule Harz. Für die Badener wird „das zum ernsthaften Problem“. Hinzu kommen zahlreiche, immer aggressivere Konkurrenten.

Der Agilste unter den Angreifern ist Vtours. Das 2004 gegründete Unternehmen aus Aschaffenburg entwickelte eine Software, die Pauschalreisen in Sekunden zusammenstellt, und zwar in dem Moment, in dem der Nutzer seine Wünsche zu Hotel, Flug und Destination in die Suchmaske des Online-Portals eingibt. Die Paketierung in Echtzeit hat das Fünf-Mann-Unternehmen auf inzwischen mehr als 60 Mitarbeiter anwachsen lassen. Kommendes Jahr will Vtours 100 Millionen Euro Umsatz machen — Einnahmen, die L’Tur früher für sich reklamiert hätte.

Zwar startete der langjährige Marktführer L’Tur mit dem Online-Portal flyloco.de eine ähnliche Marke, die auch auf Kontingente im Internet zugreift. Doch die Verbreitung von Vtours-Produkten ist größer: Das Unternehmen verkauft die Reisen nicht unter eigenem Namen, sondern überlässt dies Online-Portalen, die für die Vtours-Software zahlen. So vertreibt etwa Rewe Touristik seine auf Knopfdruck produzierten Pauschalreisen unter dem Namen „Tjaereborg Indi“ mit großem Erfolg.

Die Gefahren fürs Geschäft kennt Orth genau. Wenn jeder Wettbewerber technisch mithalten kann, muss er an anderer Front angreifen. Genau das tut er: Der als hemdsärmelig geltende Touristiker ist seit 2002 bei L’Tur und verantwortet Vertrieb und Internet. Zwar war der Rücktritt von Gründer Kögel von der Spitze lange bekannt. Doch die Konsequenz, mit der Orth im September die Führung übernahm, hatte keiner erwartet – Orth greift knallhart durch.

Umsatz von L'Tur (in Millionen) (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Sein erster Coup war die Entmachtung von Vorstandskollegen. Prominentestes Opfer ist Markus Faller. Der Marketing-Profi arbeitet seit mehr als zehn Jahren im Unternehmen, gilt als „Mister L’Tur“ und ist bei Kollegen außerordentlich beliebt. Als Markenchef verantwortete er Kampagnen wie die pink-farbene L’Tur-Kuh und Sprüche wie „Nix wie weg“. Auf der Herrentoilette in der Firmenzentrale hängt ein Schild über den Urinalen mit dem Wortlaut: „Verpiss dich — L’Tur. Nix wie weg.“ Ist die Botschaft eh schon doppeldeutig, bekommt sie im Falle Fallers eine weitere Dimension. Der soll in Zukunft „Einzelprojekte“ betreuen. In der Branche erwartet kaum jemand, dass Faller noch lange bleibt. Sein Weggang wäre ein Verlust: „Es wird schwierig sein, ihn zu ersetzen“, sagt Experte Born. Orth ficht das nicht an, er verantwortet den Markenauftritt von L’Tur im Vorstand künftig selber.

Der zweite Coup ist das Portal „Deutschland Last Minute“, das vergangene Woche startete. Geboten werden Pauschalreisen mit Hotel und Flug innerhalb Deutschlands, die bis sieben Tage vor Abreise gebucht werden und Geschäftsreisende locken sollen. Innerdeutscher Verkehr sei ein „Riesenthema“, das als Last-Minute „noch nicht erschlossen ist“, so Orth.

Mit Innovationen war L’Tur in jüngster Zeit aber nicht sehr erfolgreich. Ob das im Januar gestartete Reiseportal Binoli — eine Kooperation zwischen Air Berlin und L’Tur-Gründer Kögel — die anvisierte Kundenzahl von 60.000 dieses Jahr erreichen wird, scheint fraglich. Und das im März gestartete Rabattsystem Deutschlandcard, an dem neben L’Tur die Deutsche Bank und Edeka teilnehmen, wartet bis heute auf weitere renommierte Partnerunternehmen. Den prominenten Konkurrenzprodukten Payback und Happy Digits ist so kaum Paroli zu bieten, entsprechend wenig profitiert davon L’Tur.

Bleibt Orths Coup Nummer drei: der Umbau des Unternehmens. Intern bastelt er an dem großen Wurf: Er will den Vermarkter von Last-Minute-Reisen stärker als Reiseveranstalter aufstellen, das heißt, statt nur Restplätze zu verhökern, wird sich L’Tur viel früher als bisher Hotel- und Flugkapazitäten sichern und diese zu Pauschalprodukten zusammenführen. Damit will sich Orth von Massenprodukten im Internet absetzen, die oft auf gleiche Buchungssoftware zugreifen und einander ähneln. Das, so Orth, sei wie „eine Zapfanlage, aus der überall Früh Kölsch herausläuft“.

Reisebüros noch lange nicht tot

Die Gefahr, sich zu verschlucken, ist groß. Das Veranstaltergeschäft entspricht „nicht dem Geschäftsfeld von L’Tur“, sagt Kenner Born, und „erfordert spezielle Kenntnisse“. L’Tur müsste Hotelbetten und Flugsitzplätze Monate zuvor auf Vorrat einkaufen — ein diffiziles Geschäft mit hohem Risiko. Absatzprobleme könnten heftig auf das Ergebnis schlagen. „Ein halb leeres Hotel oder Flugzeug ist schlimmer, als bei mauer Nachfrage die Preise um ein paar Prozentpunkte zu senken“, sagt Born. Immerhin: Orth holt sich ab Januar mit Richard Brodrecht von Thomas Cook einen hochkarätigen Experten für den Flugeinkauf.

Fraglich ist, wie Orth seine rund 165 Reiseshops in den Gesamtauftritt des Unternehmens integriert. Die Franchisepartner sorgen für rund 60 Prozent des Umsatzes — mit abnehmender Tendenz. Ein Vorteil der Niederlassungen könnte sein, dass sich die Internet-Euphorie etwas gelegt hat: Reisebüros sind noch lange nicht tot. Eine aktuelle Studie der Beratung Sempora kommt zu dem Ergebnis, dass mehr als ein Viertel des touristischen Umsatzes in Deutschland online recherchiert und im Reisebüro um die Ecke gebucht wird — Tendenz steigend.

Insofern könnte L’Tur den Vorteil des doppelten Vertriebsweges, Internet plus Reisebüro, „voll ausfahren“, sagt Experte Heller. Die Frage sei, ob es dem neuen Chef Orth gelingt, beides so zu verzahnen, dass Kunden den Weg über die Web-Seite direkt zum L’Tur-Reisebüro finden. Die Marke jedenfalls hält er für „so stark, dass eine Kundenbindung möglich erscheint“.

Doch die Gefahr einer Verwechselung ist groß. Wer „Last Minute“ in die Suchmaske von Google eingibt, erhält den L’Tur-Konkurrenten lastminute.de als obersten Treffer. Dahinter verbergen sich Schnäppchenpreise für Urlaube nach Mallorca, Ägypten und Marokko. Die Farbe der Schriften und Elemente ist pink — genauso grell wie das Magenta von L’Tur.

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