Umgang mit Coronavirus „In die Armbeuge niesen, öfter die Hände waschen“

Wenn die Coronavirus-Berichterstattung zu mehr Grippeschutzimpfungen beiträgt, sagt Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner, „wäre das zumindest eine positive Seite der neuen Infektion“. Quelle: dpa

Die jährliche Grippe verursacht in Deutschland volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. Kann man aus dem Umgang mit dem Coronavirus Lehren ziehen? Fragen an den Bielefelder Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner.

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Wolfgang Greiner (Jahrgang 1965) leitet seit 2005 den Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement der Uni Bielefeld. Er ist eines von sieben Mitgliedern im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und berät das Bundesamt für Soziale Sicherung bei der Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs.

Herr Greiner, welchen volkswirtschaftlichen Schaden richtet die herkömmliche Grippe jedes Jahr in Deutschland an?
Volkswirtschaftlich betrachtet fallen bei der Grippe vor allem die Produktivitätsausfälle ins Gewicht, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zeitweise wegen der Erkrankung nicht zur Arbeit erscheinen können. Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage schwankt dabei von Saison zu Saison sehr mit der Heftigkeit der jeweiligen Grippeviren. Für die Saison 2014/15 wurde ein Wert von etwa drei Milliarden Euro als volkswirtschaftlicher Schaden durch Arbeitsausfall wegen Grippe für Deutschland berechnet. Hinzu kommen Kosten, die bei den Krankenversicherungen entstehen.

Wie hoch sind die?
Etwa 50 bis 120 Millionen Euro, je nach Saison. Die Kosten der Krankenkassen haben wir selbst erhoben und zwar mit Daten der Techniker Krankenkasse, welche wir auf Deutschland hochgerechnet haben. Die drei Milliarden wurden aus Zahlen der Robert-Koch-Instituts berechnet.

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Kann man nun aus dem Umgang mit Corona Lehren ziehen für den zukünftigen Umgang mit Grippe?
Bislang gibt es noch sehr wenige Fälle mit dem neuen Coronavirus in Deutschland. Wenn die aktuelle Berichterstattung aber dazu beiträgt, dass mehr Menschen sich öfter die Hände waschen und sich impfen lassen, wäre das zumindest eine positive Seite der neuen Infektion.

Ginge es uns allen besser – gesundheitlich und volkswirtschaftlich –, wenn wir immer so umsichtig, aufmerksam und vorsichtig wären wie nun angesichts des Coronavirus?
Der große Unterschied zum Coronavirus besteht darin, dass man sich gegen die Grippe aktiv durch Impfung schützen kann. Aber auch einfache Maßnahmen wie das Niesen in die Armbeuge statt in die Hand, kann eine Ausbreitung beider Viren vermindern und ist damit auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Man sollte auch nicht vergessen, dass weniger Infektionen auch weniger Antibiotikaverbrauch bedeuten; wenn bakterielle Infektionen im Krankheitsverlauf dazu kommen.

Was bedeutet das?
Antibiotika sind zwar relativ billig, ein übermäßiger Gebrauch führt aber zu vorzeitigen Resistenzen und damit indirekt bei anderen Infektionen wiederum zu höherer Krankheitslast und Kosten.

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Was sind aus Ihrer Sicht die gröbsten Fehler der Deutschen im Umgang mit Grippe und ähnlichen Krankheiten?
Den ersten groben Fehler sehe ich in einer Unterschätzung der Grippe, die schon einen sehr schwere Verlauf nehmen kann. Nach jetzigem Stand der Dinge ist zwar die Sterblichkeit bei Infizierten mit dem Coronavirus höher als bei Grippeinfizierten, aber durch die viel höhere Zahl der Infizierten ist die Sterblichkeit bei Grippe unbedingt Ernst zu nehmen, gerade bei älteren und vorerkrankten Personen. Der zweite grobe Fehler besteht in der Überschätzung der Risiken einer Impfung, die angesichts des Nutzens kaum nachvollziehbar ist.

Gibt es andere Länder, in denen die Menschen deutlich umsichtiger im Umgang mit Grippeerkrankungen agieren?
Andere Länder wie die Niederlande haben höhere Impfquoten in den Risikogruppen, da haben wir in der Kommunikation in den Praxen und Betrieben ganz offensichtlich noch Nachholbedarf.

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