Unicef-Affäre Spenden eintreiben ist längst ein Geschäft für Profis

Die Unicef-Affäre zerstört romantische Illusionen über gemeinnützige Spendenorganisationen. Fundraising ist längst ein professionelles Geschäft.

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Unicef-Spendengala in Berlin: Quelle: rtr

Der Anruf kam von Unicef. Dachte jedenfalls Ruth Sendler*, die immer wieder Geld für gute Zwecke an die UN-Organisation überwies. Als sie aber nun am Telefon um eine „aufgerundete“ Spende gebeten wurde und seltsame Antworten auf ihre Fragen bekam, dämmerte es ihr: Der Anruf kam gar nicht von Unicef, sondern von einem Callcenter. Ruth Sendler war schlagartig aller Illusionen beraubt: Der Mitarbeiter einer Fund-raising-Agentur, ein Telefon-Akquisiteur und Dienstleister also, trieb im Auftrag von Unicef Spenden ein. Das passte nicht zu Sendlers Vorstellung von idealistisch gesinntem, ehren- und hauptamtlichem Unicef-Personal: „Ich habe damals meine Unterstützung aufgekündigt.“

Die Geschäftspraktiken von Unicef irritieren längst nicht mehr nur einzelne Spender, sie bringen derzeit die gesamte Spendenbranche in Verruf – vor allem die immer professionelleren Methoden des Geldeintreibens, des Fundraisings.

Seit November kämpft die deutsche Sektion der UN-Organisation mit schwerwiegenden Vorwürfen. 30.000 Euro soll ein Vermittler bekommen haben für eine 500.000-Euro-Spende des Einzelhandelskonzerns Lidl – doch der Mann war an dem Zustandekommen der Spende angeblich gar nicht beteiligt. Rund 250.000 Euro Beraterhonorar in drei Jahren bekam angeblich ein ehemaliger Unicef-Mitarbeiter zusätzlich zu seiner Pension. Der teure Umbau des deutschen Unicef-Hauptquartiers in Köln steht in der Kritik. Ebenso die Frage, ob Spenden nach zwei Jahren vollständig ihrem Zweck zugute gekommen sind. Die Unicef-Vorsitzende Heide Simonis ist mittlerweile zurückgetreten, Unicef-Geschäftsführer Dietrich Garlich gab sein Amt auf. Am vergangenen Donnerstag legten zwei weitere Vorstände ihre Ämter nieder.

Das Tohuwabohu bei der wohl namhaftesten Charity-Organisation in Deutschland hat Folgen: 27 Prozent der Bundesbürger sagten in einer Umfrage in der vergangenen Woche, sie wollten nun weniger spenden. Nach zwei Jahren mit deutlichem Spendenrückgang auf zuletzt 2,35 Milliarden Euro träfe das viele humanitäre Helfer empfindlich. Funktionäre sind entsprechend alarmiert. „Sehr besorgt“ ist etwa der SOS-Kinderdörfer-Geschäftsführer Wilfried Vyslozil: „Der ganze Sektor der Spenden- und Nicht-Regierungs-Organisationen könnte einen außergewöhnlich tiefen Vertrauensverlust erleiden.“

Vyslozil fordert, die Gemeinnützigen sollten dem Treiben in Köln nicht nur zuschauen, sondern schleunigst Konsequenzen ziehen. Zum einen, indem sie der Branche allgemeinverbindliche Regeln auferlegen, etwa beim Umgang mit Spenden und beim Controlling durch unabhängige Instanzen. Zum anderen, indem sie Legenden ad acta legen und ihre Arbeit beschreiben, wie sie oft schon ist: professionell und an ökonomischer Effizienz orientiert.

Etwa 2500 hauptberufliche Spendensammler arbeiten für die verschiedensten Organisationen in Deutschland. An Theatern und Schulen, beim Roten Kreuz und bei Brot für die Welt organisieren sie Mailing-Aktionen und Spenderessen – oder auch eine Fernsehgala für die Welthungerhilfe. Sie vermitteln Patenschaften oder besorgen Geld, damit das Senckenberg-Museum Gürteltiere ausstopfen kann. Greenpeace und Misereor beschäftigen Spezialisten, die Spendern nahelegen, die Wohltäter in ihrem Testament zu bedenken. Beliebt ist es auch, Bußgelder als Spenden zu akquirieren – der WWF etwa hält deshalb eifrig mit den Gerichten Kontakt.

Die Zahl der Fundraiser wird sich in den nächsten zehn Jahren verdoppeln, erwartet Silvia Starz, Geschäftsführerin des Deutschen Fundraising Verbandes in Frankfurt: „Der Bedarf an professionellen Spendensammlern steigt, weil der Staat etwa in Schulen und Krankenhäusern oft nur noch das Nötigste bezahlt.“ Stehen etwa Renovierungen an oder soll eine neue Therapeuten-Stelle oder eine Überrnachtungsmöglichkeit für Eltern auf der Kinderkrebsstation eingerichtet werden, so ist dies ohne private Mittel oft kaum noch zu machen.

Mit ehrenamtlichen Mitarbeitern allein ist das ebenfalls nicht mehr zu schaffen. Daher wirbt Starz für eine Professionalisierung des Berufsstandes. Professionelles Fundraising, so Starz, koste zwar Geld, sei aber durchaus im Sinne des Spenders, der zu Recht einen wirtschaftlichen Umgang mit seinen Spendengeldern erwarte.

Spendenaufkommen in Deutschland Quelle: WirtschaftsWoche-Grafik

Universitäten wie Bremen oder Rostock offerieren Bildungsangebote für Spendensammler; dem Fundraising-Verband ist zudem eine eigene Akademie angegliedert. Ein geregeltes Berufsbild gibt es nicht. Oft sind es ehemalige Fachkräfte aus Marketing und Verkauf, die zuvor für Unternehmen etwa Kekse oder Bratpfannen beworben haben und sich nun sinnvolleren Aufgaben zuwenden wollen. Doch auch Juristen, Biologen, Journalisten oder Verwaltungsfachleute finden sich unter den Fundraisern. Die 51-jährige Ursula-Marie Behr-Lorenz, die für die Caritas Spenden sammelt, hat etwa als Sozialpädagogin begonnen.

Fundraiser können zwischen 40.000 und 55.000 Euro brutto im Jahr verdienen, schätzt Thomas Kreuzer, Leiter der Fundraising-Akademie. Spitzenkräfte, so heißt es in der Branche, dürfen auch schon mal mit 70.000 Euro rechnen. Prämien in Höhe von 10 bis 15 Prozent des Bruttogehalts sind auch noch möglich. „Fundraiser glauben an die Ziele ihrer Organisation“, sagt Starz, „sie müssen vor allem in der Lage sein, andere um etwas zu bitten, und auch ein Nein aushalten können.“ Zuweilen müssen sie auch ordentlich Druck aushalten: „Die Spendenorganisationen haben oft zu hohe Erwartungen an die Fundraiser. Die gemeinnützigen Organisationen denken oft kurzfristig und erhoffen sich bereits nach einem halben Jahr messbare finanzielle Erfolge. Dabei ist es mindestens so wichtig, erstmal gute Kontakte zu den Spendern auf- und auszubauen. Finanzielle Zuwendungen ergeben sich dann irgendwann später.“ Etliche Spendensammler müssen auch mit Zeit- oder Honorarverträgen vorliebnehmen. Fundraiser arbeiten entweder bei den humanitären Organisationen direkt oder bei Dienstleistern, die für Caritas oder Ärzte ohne Grenzen Spender kontaktieren, Spenden verwalten oder Veranstaltungen organisieren.

Manche, wie GFS Fund-raising & Marketing in Bad Honnef („Wenn du Menschen fischen willst, stecke dein Herz an eine Angel“) bieten die ganze Palette an, inklusive Großspender-Anwerbung und Telefonaktionen via Callcenter. SAZ Marketing aus St. Gallen in der Schweiz beschäftigt an ihren europäischen Standorten nach Eigenangaben 500 Mitarbeiter und gilt als eine der größten Mailingagenturen im Spendenbusiness. Die Wesser GmbH in Stuttgart sucht ständig Schüler und Studenten, die in Fußgängerzonen und an der Haustür Mitgliederwerbung betreiben, zum Beispiel für die Johanniter-Unfallhilfe und im Bereich Umweltschutz für den BUND, den NABU oder den WWF.

Dass man selbst den seriös Erscheinenden in dieser Branche nicht jedes Wort glauben darf, zeigt ein Disput zwischen der Berliner FRC Fundraising Company und SOS-Kinderdörfer in München. Auf ihrer Homepage wirbt FRC mit namhaften Referenzen wie Greenpeace, Oxfam und eben auch SOS-Kinderdörfer. Die weltweit agierende Spendenorganisation aber bestreitet, jemals mit FRC kooperiert zu haben, und holte sich von FRC die Zusicherung, der Hinweis werde von der Homepage genommen. SOS-Kinderdörfer, sagt Geschäftsführer Vyslozil, „beschäftige eigene Tochtergesellschaften und kaum externe Dienstleister, vor allem nicht zum Spendensammeln“. Sensibles wie die Erbschaftsakquise („Ihr letzter Wille ist der Kinder Glück“) ist bei SOS-Kinderdörfer hausgemacht.

Aber es gibt kleinere Organisationen, für die Outsourcing effizienter sein kann. Vyslozil: „Wenn sich eine Investition nicht nach sieben Jahren bezahlt macht, ist es besser, sie auszulagern.“ Aber Vorsicht sei geboten: „Bei den Fundraising-Dienstleistern gibt es wie in jeder Branche Qualitätsführer und ganz dünne Bretter.“ Burkhard Wilke, Geschäftsführer des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen in Berlin, kennt dennoch „keine große Organisation, die ohne Dienstleister auskommt“. Manche beschäftigt keinen einzigen eigenen Spendensammler – Ursula Kapp-Barutzki von der Wohltätigkeitsorganisation Care Deutschland etwa sagt, Agenturen zu beauftragen sei für kleinere Vereine wie Care schlicht kostengünstiger.

Aber nicht nur der Umgang mit Fund-raising-Agenturen wird meist totgeschwiegen. SOS-Manager Vyslozil fordert, die Branche müsse Schluss machen „mit romantischen Vorstellungen: Das öffentliche Bild von unserer Arbeit entspricht immer noch der Almosenwirtschaft der Fünfzigerjahre: lauter Idealisten, die am Ende ihres Arbeitslebens selber zu Sozialfällen werden.“ Und selbstlos agieren wie Mutter Teresa. Weltweit agierende Organisationen könnten aber „nicht mit null Verwaltungskosten agieren“. Spendensammeln kostet Geld. Auch der berechtigte Ruf nach effektivem Controlling verursacht Verwaltungskosten, denn weder eigene Controller noch externe Wirtschaftsprüfer arbeiten umsonst. SOS-Kinderdörfer verwendet fast die Hälfte der Zeit darauf, die persönliche Entwicklung der zurzeit 65.000 Kinder zu dokumentieren, die in den Einrichtungen weltweit leben. Vyslozil: „Das sind Verwaltungskosten, und sie gehören einfach dazu, wenn man nicht amateurhaft, sondern professionell und nachhaltig tätig sein will. Wir sind Idealisten, aber mit Realitätssinn.“

Verbands-Geschäftsführerin Starz plädiert dabei für mehr Transparenz: „Es gibt in Deutschland, anders als in den USA, wo große Organisationen sogar die Gehälter der Chefs veröffentlichen, keine Pflicht zur Offenlegung der Zahlen.“ In Deutschland, glaubt Starz, würden noch mehr Menschen spenden, wenn sie „genau nachvollziehen könnten, was mit ihrem Geld geschieht“.

Bislang dürfen erst 230 Spendenorganisationen in Deutschland das DZI-Spendensiegel führen, sie legen offen, wie viel von den Spenden in Projekte fließt und wie viel die Verwaltung braucht. Doch das sind nicht einmal zehn Prozent aller deutschlandweit nach Spenden fahndenden Organisationen – insgesamt grasen schätzungsweise 3000 das Feld ab.

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