Unpackaging Geschenke gekonnt auspacken

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Auch Philip Torrone, Chefredakteur des US-Technologiemagazins „Make“, nahm schon öfter an solchen Konsum-Hochämtern teil und führt das Phänomen des Auspack-Rituals vor allem auf die raffiniert gestylten Apple-Verpackungen zurück. „Einen Mac packt man eben ganz anders aus als jede andere Maschine“, sagt Torrone, „es ist als würde man ein Kunstwerk enthüllen – das Ganze ist schon etwas rauschhaft.“

Aber was kann am Auspacken einer Schachtel so berauschend sein? Trendbeobachter wie Kahney sprechen in diesem Zusammenhang von „einer Art Technofetischismus“, der durchs raffinierte Verpackungsdesign noch potenziert wird. Die subtil und ästhetisch verhüllende Verpackung trägt eindeutig zur Wertigkeit und zur Faszination der Ware bei.

Wie sagt doch der Verpackungskünstler Christo: „Verhüllung ist Verheißung“ – je subtiler die Erstere, desto stärker die Letztere. Inzwischen haben die meisten Technologie-Markenartikler von den asiatischen Kamerabauern und Elektronikproduzenten bis zu den skandinavischen Handyanbietern ihre Lektion in Sachen Verpackung gelernt.

Als Marketing-Gag für sein i900-Omnia-Smartphone ließ der koreanische Elektronikkonzern Samsung sogar eigens ein Unpacking-Video produzieren, das mit raffinierten technischen Trickeffekten so sehr gespickt ist, dass es im Internet schon mehr als zwei Millionen Mal angeschaut und von Techno-Freaks als „Best unpacking video ever“ hochgelobt wurde.

Nach der ersten Berührung beginnt der graue Alltag

Techniker analysieren die Lust am Auspacken mit der ihrem Metier eigenen Nüchternheit und ziehen Parallelen zu menschlichen Beziehungen. Sie sagen, dass der unwiederbringliche und kurzlebige Reiz des Auspackens in der Unberührtheit, gleichsam der Jungfräulichkeit des neuen Technikprodukts liegt: Nach dem magischen Moment der ersten Berührung beginnt der graue Alltag des deflorierten Geräts mit allen seinen Bedienfehlern, Systemabstürzen, Softwareproblemen, Akkuschwächen und den ersten Kratzern.

Anthropologen wiederum vermuten, dass die Freude am Auspacken in den menschlichen Genen liegt, dass das lustvolle Entfernen der Verhüllung ein archaisches Grundbedürfnis des Menschen ist: die Geburt des Striptease aus der Lust am Auspacken. Die Erklärung der Philosophen schließlich fallen dichterisch überhöht aus.

Nehmen wir zum Beispiel die Definition des Kulturwissenschaftlers und Schriftstellers Ulrich Schödlbauer: „Die Lust an der Verpackung – das ist die Augen-Lust an der Schaufensterware, am Unberührten, gepaart mit der Lust am Aufreißen, am Zur-Sache-Kommen, am Demolieren und Verletzen – Letztere eine Vor-Lust, die im Vollzug ertrinkt, im Ärger über das unnütze Objekt, in der Selbstverletzung, die auf dem Grunde der Gier den Wunsch erfährt, in Ruhe gelassen zu werden, sich zu trollen.“

Das Auspacken mag also seine vielfältigen Reize haben, nicht zuletzt den exhibitionistischen Kitzel, wildfremde Menschen medial am eigenen Vergnügen teilhaben zu lassen. Und viele wollen es sehen, wie die hohen Klick-Raten der Auspack-Zeremonien beweisen. Inzwischen haben sich sogar schon einschlägige Web-Sites wie www.unboxing.com oder www.itsunboxed.com etabliert, die – nomen est omen – ausschließlich vom Unterhaltungswert des Auspackens leben.

Noch finanzieren sich solche Internet-Seiten über Anzeigen; doch die Initiatoren hoffen, dass ihre Zielgruppe eines Tages auch dafür zahlen wird, anderen beim Auspacken zuschauen zu dürfen. Immerhin, so argumentiert der Initiator von unboxing.com, Josh Bancroft, seien solche Spektakel unterhaltend und informativ.

Und schließlich würden die Menschen auch mit immer wachsender Faszination im Fernsehen anderen beim Kochen, Probieren und Genießen zuschauen, wo sie sich doch selbst an den Herd stellen und in den Töpfen rühren könnten.

Der eine oder andere Zuschauer hat beim virtuellen Auspacken zu Hause am Computermonitor dann sogar noch einen Lustgewinn, der tatsächlich die Nähe zur Erotik sucht. „Der Anblick eines halb ausgepackten Notebooks“, outete sich ein anonymer Chatter unlängst im amerikanischen Internet-Forum „MacNN“, „erregt mich eindeutig mehr als der einer halbnackten Frau."

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