Allianz Warum Bäte sein Heil in Indien sucht

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Ohne Menschen geht es (noch) nicht

Der Industrieversicherer der Allianz, die Konzerntochter AGCS, so viel lässt sich sagen, setzt um – auch und vor allem in Trivandrum. Wie viel muss etwa Coca-Cola zahlen, um seine 750 Fabriken und Abfüllanlagen in der Region Eurasia zu versichern? Bestimmende Größen sind unter anderem die klimatischen Verhältnisse am jeweiligen Standort, die Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens, die Historie von Naturkatastrophen oder das Alter der Gebäude. In Trivandrum versuchen sie Ordnung in den Wust von Zahlen und Daten zu bringen. „Manchmal bekommen wir nur ein paar Bilder von den Fabriken eines Kunden“, sagt ein Mitarbeiter. Am Ende haben sie in Trivandrum eine große Datensammlung mit allen relevanten Größen gebaut. Damit lassen sich die Risiken ziemlich treffsicher bestimmen.

Die Weiterentwicklung der Technologie in den vergangenen Jahren hat zu einer erheblichen Steigerung der Effizienz geführt. Allerdings: Ohne die erfahrenen Risikomanager in Deutschland geht es auch heute noch nicht. Das Geschäft mit Industrieversicherungen wächst, anders als manch andere Sparten der Allianz. Seit Jahren steigen die Prämieneinnahmen, zuletzt auf knapp acht Milliarden Euro.

Welchen Stellenwert Indien beim Umbau der Allianz hat, zeigt sich an der Personalpolitik. Gut 800 Mitarbeiter hat der Konzern seit Januar in Trivandrum eingestellt, so viele wie sonst nirgendwo auf der Welt in so kurzer Zeit. IT-Experten in so großer Zahl zu gewinnen, vor allem an das Unternehmen zu binden ist nicht einfach. Indien ist berühmt für seine Hochschulen und Technologieinstitute, die jedes Jahr Hunderttausende hoch qualifizierte IT-Fachkräfte, Ingenieure und Mediziner hervorbringen. Offenbar reicht das aber nicht. Zuletzt hatte die Allianz in Trivandrum mit einer Fluktuation von rund 14 Prozent zu kämpfen. Die klugen Köpfe sind heiß begehrt.

Einer der klugen Köpfe ist Smitha Nair. Seit zwölf Jahren arbeitet die 36-Jährige für die Allianz in Trivandrum. Nair hat Veterinärmedizin studiert und hat nach ihrem Abschluss 2004 zunächst für eine große indische Bank gearbeitet. Als sie hörte, dass die Allianz Leute suchte, bewarb sie sich, des „bekannten Namens wegen“. Heute kümmert sich Nair in Indien zusammen mit 100 anderen Tierärzten um das Allianz-Geschäft mit Krankenversicherungen für Haustiere in Großbritannien. Die Kunden, die mit ihrem Hund oder mit der Katze wegen einer Lebensmittelvergiftung oder eines gebrochenen Beines zum Tierarzt mussten, schicken die Rechnung an Nair und ihr Team in Trivandrum. Dort prüfen sie die Plausibilität und erledigen die Kostenerstattung. Nicht ausgeschlossen, dass man solche Services in Zukunft auch einmal für Deutschland anbieten kann.

Das Geschäft ist für die Allianz durchaus bedeutend. Mit ihren Haustierversicherungen in Großbritannien erzielen die Münchner jedes Jahr Prämieneinnahmen in Höhe von 250 Millionen Pfund. Rund 1,2 Millionen Tiere auf der Insel sind Allianz-versichert. 75 Prozent aller Haustiere haben allerdings noch gar keine Krankenversicherung. Für die Münchner also großes Potenzial für Wachstum. „Aber das Geschäft hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert“, sagt Nair. Schneller sei es geworden, wettbewerbsintensiver auch.

Revolution von oben: Konzernchef Oliver Bäte (Bild unten) und sein Nachschubkoordinator Turan Sahin bauen die Allianz um. (Zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Joshi Daniel für WirtschaftsWoche

90 Prozent aller Schadensmeldungen regulieren Nair und ihre Leute inzwischen innerhalb von vier Tagen. Sie wollen aber noch schneller werden. „Die Digitalisierung“, sagt Nair, „kann uns dabei helfen.“ Möglicherweise könnten künftig auch Bots einige Arbeiten erledigen. „Und wir haben mehr Zeit, uns auf die anspruchsvolleren Arbeiten zu konzentrieren.“

In einem kleinen Zimmer neben einem der Großraumbüros tüftelt eine Handvoll junger Männer an Smartphone-Apps. Wer beispielsweise in Großbritannien einen Mini kauft, kann beim Händler auch gleich die Kfz-Versicherung dazu abschließen. Die Police dazu wird von der Allianz ausgestellt. Dazu bekommt der Käufer die für sein Modell konfigurierte App made in Trivandrum. Bei einem Unfall kann der Fahrer mit ein paar Klicks auf dem Smartphone die beschädigten Stellen am Auto markieren und fotografieren und kann die Schadensmeldung an die Allianz schicken. Dazu gibt es eine Liste mit Werkstätten, die den Schaden schnell beheben können.

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