Allianz-Vergleich mit Gastronom in letzter Minute Allianz kommt einer Verurteilung in letzter Minute mit Vergleich zuvor

Der Vergleich zwischen der Allianz und der Münchner Traditionsgaststätte Nockherberg ist für Allianz-Chef Oliver Bäte wohl wenig zufriedenstellend. Quelle: imago images

Zwangsschließungen in der Gastronomie haben die Versicherer kalt erwischt. Der Branchenprimus Allianz kündigt eilig Verträge. Und tat offenbar alles, um eine Niederlage vor Gericht zu verhindern.

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Die Allianz hat die Notbremse gezogen. Im Streit, ob Deutschlands Versicherungsprimus mit gut 1,1 Millionen Euro für die wegen der Coronapandemie verfügten Zwangsschließung der Münchner Traditionsgaststätte Nockherberg einstehen muss, hat die Allianz einem außergerichtlichen Vergleich zugestimmt. Unmittelbar vor der für den morgigen Donnerstag erwarteten Urteil vor dem Landgericht München hat sie damit eine juristische Niederlage abgewendet. Doch aus dem Schneider ist die Branche damit nicht. Hunderte Gastwirte und Hoteliers in ganz Deutschland pochen weiter vor Gerichten auf Ansprüche aus ihren Betriebsschließungsversicherungen.

„Die machen es wie die Autobauer im Dieselskandal. Nur kein negatives Urteil einfangen“, kommentiert der ehemalige Richter Walter Seitz. Der Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität hatte bereits vor Monaten ein Gutachten geschrieben, das viele Versicherer in der Pflicht sieht, auch bei Betriebsschließungen auf Grund des Lockdowns im Frühjahr zu zahlen. Das als bayerisches Modell bekannt gewordene Kulanzangebot der Versicherer, lediglich bis zu 15 Prozent der versicherten Summe zu überweisen, bezeichnete er als „sehr nah an der Grenze zur Sittenwidrigkeit“.

In ganz Deutschland steht für Versicherer im Streit um Betriebsschließungsversicherungen ein Milliardenbetrag im Feuer. Die Allianz kommt ihre Nachlässigkeit wegen Corona nun teuer zu stehen.
von Karin Finkenzeller

„Die Allianz hatte große Sorge, dass sie beim Landgericht München I verliert“, ist Seitz überzeugt. Die Äußerungen der Vorsitzenden Richterin während der Verhandlung seien eindeutig gewesen „Aus meiner Sicht gibt das den Klägern Auftrieb. Weitermachen! Jetzt knicken die Versicherungen ein. Sogar der Branchenführer.“ Die zwischen der Allianz und Nockherberg-Gastronom Christian Schottenhamel getroffene Vereinbarung könne ein Signal für andere Versicherer sein: „Vergleicht euch, bevor es in München negativ so weiter geht.“

Schottenhamels Klage wäre die erste gewesen, in der ein Gericht über Ansprüche aus Betriebsschließungsversicherungen an die Allianz entschieden hätte. Zahlreiche Juristen waren im Vorfeld überzeugt, dass die erwartete Verurteilung sogar bis zu einer Revision vor dem Bundesgerichtshof stand halten würde. Das machte auch finanziell weniger potenten Versicherten Mut.

Über die Details des getroffenen Vergleichs und insbesondere die zu zahlende Summe wurde Stillschweigen vereinbart. Doch Juristen sind sich einig, dass die Allianz nicht billig davon kommt. Schottenhamel ist weit über Bayern hinaus bekannt als Wirt des Nockherberg, wo das alljährliche bekannte Politiker-Derblecken – also Verspotten – stattfindet. Außerdem gehört seiner Familie das älteste Festzelt auf dem Oktoberfest, wo der Anstich des ersten Bierfasses wie eine heilige Handlung das zweiwöchige Milliardengeschäft der Wiesn eröffnet. So einer lässt sich nicht leicht beeindrucken, und er hätte auch das finanzielle Rückgrat, einen Rechtsstreit durch alle Instanzen auszufechten.

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter 2019 beim Wiesn-Anstich im Schottenhamel-Festzelt. Quelle: imago images

Das war ein Problem für Allianz-Chef Oliver Bäte. Die Anwälte des Versicherers hatten mit zahlreichen Winkelzügen versucht, Ansprüche abzuwehren und etwa die Rechtmäßigkeit der Zwangsschließungen angezweifelt. Sie verstiegen sich sogar zu der Argumentation, die von der Regierung verfügten Maßnahmen seien nicht mit einer behördlichen Anordnung gleichzusetzen und führten schon deshalb nicht zu einem Leistungsfall.

Dafür gab es von der Vorsitzenden Richterin Susanne Laufenberg eine Rüge: „Passen Sie ein bisschen auf mit dem Bestreiten“, warnte sie in der mündlichen Anhörung. „Bestreiten ins Blaue hinein ist nicht zulässig.“ Zudem nannte sie die Vertragsbedingungen intransparent und fehlerhaft. Während nämlich der Versicherer im Vertrag auf das Infektionsschutzgesetz verweist, wurden in der Police nicht sämtliche dort aufgelisteten Krankheiten erwähnt. Überdies heißt es im Infektionsschutzgesetz ausdrücklich, dass auch „nicht namentlich genannte gefährliche Erreger“ meldepflichtig seien. Wäre Laufenberg auf dem Nockherberg, wäre sie die Fastenpredigerin, die Würdenträger zur Ordnung mahnt.

„Grundsätzlich sind wir weiterhin der Meinung, dass kein Versicherungsschutz besteht“, betonte ein Allianz-Sprecher auf Anfrage der WirtschaftsWoche. „Bei allen Gerichtsverfahren kommt es stets auf den Einzelfall und insbesondere auf die konkreten Versicherungsbedingungen und die jeweilige behördliche Anordnung an. Die aktuelle Entscheidung ist deshalb nicht auf andere Fälle übertragbar“, stellt er klar.

„Die Versicherungen sind ihrer Sorgen nicht entledigt“

Nach Meinung von Juristen besteht für diese Auffassung nur begrenzt Anlass. „Da ist noch sehr viel Musik in alle Richtungen drin. Die Versicherungen sind ihrer Sorgen nicht entledigt“, sagt etwa der Anwalt Ernst Testroet. Er hatte für den Gastwirt des Münchner Augustiner Kellers, Christian Vogler, gut 1 Million vor dem Münchner Landgericht erstritten. Die Versicherungskammer Bayern als Beklagte hatte zwar umgehend Berufung angekündigt. Bis heute sei diese aber nicht eingelegt worden, so Testroet. „Wir sind richtig froh, dass wir Widerstand geleistet haben. So entwickeln sich die Dinge für die Versicherungsnehmer positiver.“

Für die Versicherungsbranche steht ein Milliardenbetrag im Feuer. Sie zieht deshalb die Konsequenzen. Die Allianz bietet alten und neuen Kunden nun überarbeitete Policen an – mit Kleingedrucktem, das Pandemien wie eine Naturgewalt ausschließt.

Betriebsschließungsversicherungen wird es in der bisher bekannten Form nicht mehr geben. Covid-19 hat die mathematische Wahrscheinlichkeitsrechnung auf den Kopf gestellt, nach der die Summe der Beitragszahlungen die der Schäden übersteigt. Die Allianz, die auf ihrer Homepage über das Foto eines verliebten Paares schreibt: „Zusammen. Weiter. Gehen.“, hat die Scheidung eingereicht. Die Versicherten, nach Angaben aus der Münchner Zentrale mehrere tausend, bekamen in den vergangenen Wochen die Kündigung mit der Option auf eine Police mit verschärften Bedingungen. Neukunden können das Produkt nach Angaben eines Sprechers seit Mitte Oktober bei den Allianz-Agenturen abschließen.

Corona hat Versicherern den Zorn tausender Wirte eingebracht, die sich gegen Betriebsschließungen versichert glaubten, aber kein Geld bekamen. Jetzt hat ein Münchener Gericht ein Urteil gefällt.

Die Vertragsbedingungen haben es in sich: Gleich dreimal taucht in den Voraussetzungen für den Versicherungsschutz das Wort „individuell“ auf. Damit wird nun klargestellt, dass Krankheiten und Erreger in der versicherten Betriebsstätte auftreten müssen. „Generalpräventive Maßnahmen zur Gefahrenvorsorge“ wie der Lockdown im März schließen eine Leistung aus. Selbst bei individuellen Schäden bleibt die Haftung begrenzt. Wenn Koch oder Kellner an Covid-19 erkranken oder sich mit dem Coronavirus infizieren, gilt eine reduzierte Entschädigungsgrenze: „Diese beträgt 50 Prozent der vereinbarten Tagesentschädigung und maximal 25.000 EUR je Versicherungsjahr“, so die Allianz. Damit sich niemand falschen Hoffnungen hingibt, heißt es in den Bedingungen weiter: „Bitte beachten Sie, dass während einer Epidemie oder Pandemie kein Versicherungsschutz besteht.“

Die Versicherungskammer Bayern erklärt währenddessen auf ihrer Website detailreich mit vielen Schreckensszenarien, „warum eine Betriebsschließungs-Versicherung so wichtig ist“. Allerdings steht daneben nun auch der Satz: „Wir bedauern, dass wir Ihnen aufgrund der aktuellen Situation kein Angebot unterbreiten können.“

Auch Versicherungen, wie Signal Iduna oder HDI, deren Bedingungen so klar – oder unvorsichtig – formuliert waren, dass sie um eine Zahlung nicht umhin kamen, haben aus dem Schaden gelernt. Bei der HDI steht die Bedingung der „Einzelanordnung“ seit Mai gleich im ersten Satz. „Was Versicherer sehr wohl abdecken können, sind so genannte intrinsische Risiken, die innerhalb eines Betriebes stattfinden“, sagte Jan Wicke, Finanzvorstand der Konzernmutter Talanx. „Wenn Mitarbeiter in Zukunft Corona kriegen oder einen anderen Virus, und der Betrieb geschlossen wird, können wir das sehr gut absichern. Das werden wir auch weiterhin anbieten.“ Die Versicherung aus Hannover schließt Pandemien und Epidemien nicht kategorisch aus wie der Münchner Branchenprimus.


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Die Allianz hat nach eigenen Angaben einen dreistelligen Millionenbetrag für mögliche Ansprüche reserviert. „Wenn wir Pandemiedeckung angeboten haben, werden wir die bezahlen“, sagte Allianz-Vorstandschef Oliver Bäte im April dem „Spiegel“. „Und wenn es unklar ist, ein neutraler Dritter aber sagt, es ist versichert, dann werden wir natürlich zahlen.“ So genau wollte man es aber in der Konzernzentrale nun doch nicht zu hören bekommen.

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