Allianz-Vergleich mit Gastronom in letzter Minute Allianz kommt einer Verurteilung in letzter Minute mit Vergleich zuvor

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„Die Versicherungen sind ihrer Sorgen nicht entledigt“

Nach Meinung von Juristen besteht für diese Auffassung nur begrenzt Anlass. „Da ist noch sehr viel Musik in alle Richtungen drin. Die Versicherungen sind ihrer Sorgen nicht entledigt“, sagt etwa der Anwalt Ernst Testroet. Er hatte für den Gastwirt des Münchner Augustiner Kellers, Christian Vogler, gut 1 Million vor dem Münchner Landgericht erstritten. Die Versicherungskammer Bayern als Beklagte hatte zwar umgehend Berufung angekündigt. Bis heute sei diese aber nicht eingelegt worden, so Testroet. „Wir sind richtig froh, dass wir Widerstand geleistet haben. So entwickeln sich die Dinge für die Versicherungsnehmer positiver.“

Für die Versicherungsbranche steht ein Milliardenbetrag im Feuer. Sie zieht deshalb die Konsequenzen. Die Allianz bietet alten und neuen Kunden nun überarbeitete Policen an – mit Kleingedrucktem, das Pandemien wie eine Naturgewalt ausschließt.

Betriebsschließungsversicherungen wird es in der bisher bekannten Form nicht mehr geben. Covid-19 hat die mathematische Wahrscheinlichkeitsrechnung auf den Kopf gestellt, nach der die Summe der Beitragszahlungen die der Schäden übersteigt. Die Allianz, die auf ihrer Homepage über das Foto eines verliebten Paares schreibt: „Zusammen. Weiter. Gehen.“, hat die Scheidung eingereicht. Die Versicherten, nach Angaben aus der Münchner Zentrale mehrere tausend, bekamen in den vergangenen Wochen die Kündigung mit der Option auf eine Police mit verschärften Bedingungen. Neukunden können das Produkt nach Angaben eines Sprechers seit Mitte Oktober bei den Allianz-Agenturen abschließen.

Corona hat Versicherern den Zorn tausender Wirte eingebracht, die sich gegen Betriebsschließungen versichert glaubten, aber kein Geld bekamen. Jetzt hat ein Münchener Gericht ein Urteil gefällt.

Die Vertragsbedingungen haben es in sich: Gleich dreimal taucht in den Voraussetzungen für den Versicherungsschutz das Wort „individuell“ auf. Damit wird nun klargestellt, dass Krankheiten und Erreger in der versicherten Betriebsstätte auftreten müssen. „Generalpräventive Maßnahmen zur Gefahrenvorsorge“ wie der Lockdown im März schließen eine Leistung aus. Selbst bei individuellen Schäden bleibt die Haftung begrenzt. Wenn Koch oder Kellner an Covid-19 erkranken oder sich mit dem Coronavirus infizieren, gilt eine reduzierte Entschädigungsgrenze: „Diese beträgt 50 Prozent der vereinbarten Tagesentschädigung und maximal 25.000 EUR je Versicherungsjahr“, so die Allianz. Damit sich niemand falschen Hoffnungen hingibt, heißt es in den Bedingungen weiter: „Bitte beachten Sie, dass während einer Epidemie oder Pandemie kein Versicherungsschutz besteht.“

Die Versicherungskammer Bayern erklärt währenddessen auf ihrer Website detailreich mit vielen Schreckensszenarien, „warum eine Betriebsschließungs-Versicherung so wichtig ist“. Allerdings steht daneben nun auch der Satz: „Wir bedauern, dass wir Ihnen aufgrund der aktuellen Situation kein Angebot unterbreiten können.“

Auch Versicherungen, wie Signal Iduna oder HDI, deren Bedingungen so klar – oder unvorsichtig – formuliert waren, dass sie um eine Zahlung nicht umhin kamen, haben aus dem Schaden gelernt. Bei der HDI steht die Bedingung der „Einzelanordnung“ seit Mai gleich im ersten Satz. „Was Versicherer sehr wohl abdecken können, sind so genannte intrinsische Risiken, die innerhalb eines Betriebes stattfinden“, sagte Jan Wicke, Finanzvorstand der Konzernmutter Talanx. „Wenn Mitarbeiter in Zukunft Corona kriegen oder einen anderen Virus, und der Betrieb geschlossen wird, können wir das sehr gut absichern. Das werden wir auch weiterhin anbieten.“ Die Versicherung aus Hannover schließt Pandemien und Epidemien nicht kategorisch aus wie der Münchner Branchenprimus.


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Die Allianz hat nach eigenen Angaben einen dreistelligen Millionenbetrag für mögliche Ansprüche reserviert. „Wenn wir Pandemiedeckung angeboten haben, werden wir die bezahlen“, sagte Allianz-Vorstandschef Oliver Bäte im April dem „Spiegel“. „Und wenn es unklar ist, ein neutraler Dritter aber sagt, es ist versichert, dann werden wir natürlich zahlen.“ So genau wollte man es aber in der Konzernzentrale nun doch nicht zu hören bekommen.

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