Axa-Chef Henry Castries "Wir sind keine naiven Kinder"

Henry de Castries, der Chef des französischen Versicherungskonzerns Axa, wehrt sich im Interview gegen Kritik an der Kooperation mit Facebook. Zudem begründet er den Abschied von der Kapitallebensversicherung in Deutschland.

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Axa-Chef Henry de Castries. Quelle: Getty Images

WirtschaftsWoche: Monsieur de Castries, Axa will eine Pionierrolle bei der Nutzung digitaler Kommunikation einnehmen und hat dazu kürzlich ein Abkommen mit Facebook geschlossen. Worum geht es da genau?

Henry de Castries: Axa und Facebook wollen damit ihre Stärken bündeln. Facebook ist ein riesiges Unternehmen, das die Gewohnheiten und Bedürfnisse seiner Mitglieder sehr genau kennt und sofort registriert, wenn sich diese ändern, weil sie beispielsweise umziehen, heiraten, Kinder bekommen und vieles mehr. Wir wiederum bieten Dienstleistungen an, die Risiken absichern. Wenn wir also mit Facebook gewisse Informationen austauschen, können wir besser auf die Bedürfnisse und Wünsche unserer Kunden reagieren.

Soll einer Ihrer Kunden künftig etwa via Facebook bei Axa einen Unfall anzeigen?

Zum Beispiel. Wir klären im Augenblick noch, was genau wir machen können. Für uns ist es jedenfalls wichtig, mit unseren Kunden schnell, effizient und auch formlos zu kommunizieren.

Zur Person

Heißt das auch, dass Facebook Daten seiner Mitglieder mit Axa teilt und umgekehrt Axa Daten von Kunden an Facebook weiterreicht?

Das ist nicht das Ziel. Vielmehr wollen wir ein Kommunikationsmittel, das weltweit von immer mehr Menschen genutzt wird, dazu verwenden, unsere Produkte zu verbessern. Am besten eignet sich der Vergleich mit der Einführung des Telefons. In der Folge haben sich die Leute weniger Briefe geschrieben. Voilà, heute geschieht mit Facebook genau dasselbe. Das ist ein neues Mittel der Kommunikation und Interaktion. Ein Unternehmen wie unseres muss es verstehen und zu nutzen wissen.

Fürchten Sie nicht, dass sensible Daten Ihrer Kunden in falsche Hände gelangen könnten?

Wieso sollte die Vertraulichkeit der Daten nicht bewahrt werden?

Weil die Welt mit der NSA-Affäre seit Monaten genau das Gegenteil erfährt?

Dass wir ein Abkommen mit Facebook haben, bedeutet ja nicht, dass wir preisgeben, ob jemand schlecht Auto fährt. Wir geben keine Daten weiter. Facebook ist kein Spionagezentrum, und wir sind keine naiven Kinder. Wir sind zwei verantwortungsvolle Unternehmen, die ihre Kunden besser bedienen wollen. Wenn persönliche Informationen dazu führen, dass man Ihnen ein besseres Angebot macht als das Standardangebot, hätten Sie dann was dagegen?

Gleichzeitig bietet Axa eine Versicherung für e-reputation an, mit deren Hilfe eine Person ihren Ruf im Internet versichern kann? Wie soll das funktionieren?

Heutzutage besteht das Risiko, das böswillige Menschen unangenehme und ungerechtfertigte Dinge über Sie verbreiten. Wenn Ihnen oder Ihren Angehörigen so etwas passiert und ein entsprechender Versicherungsschutz existiert, stellen wir einen Experten zur Verfügung, der Ihr Profil von solchen unangenehmen Einträgen befreit.

Machen Sie das mit allen Einträgen, die einem Versicherten nicht gefallen, oder kommt da zuerst ein Gutachter wie etwa bei einem Autounfall?

Das wird natürlich vorher überprüft. Aber nicht mehr und nicht weniger als bei anderen Versicherungsfällen. Das Angebot zeigt, dass wir, wenn es neuartige Risiken gibt, auch neuartige Lösungen aufzeigen können.

"Wir folgen dem Wachstumspfad"

Die 10 größten Versicherer Europas
AllianzDie Allianz verfügt in Deutschland über die bekannteste Marke im Versicherungssektor. 2010 hat die Gruppe weltweit 5,2 Milliarden Euro verdient und Einnahmen von mehr als 100 Milliarden Euro erzielt. Neben dem Versicherungsgeschäft ist das Management großer Vermögen das zweite Standbein des Konzerns geworden. Mit Pimco besitzt die Allianz den am stärksten beachteten Anleihenmanager. Quelle: Handelsblatt Quelle: dapd
AxaDer größte französische Versicherer konkurriert mit der Allianz um die Marktführerschaft in Europa. Im vergangenen Jahr beliefen sich die Einnahmen auf 91 Milliarden Euro. Der Gewinn sank um ein Viertel auf 2,75 Milliarden Euro, weil Sanierungsarbeiten nach der Finanzkrise das Ergebnis belasteten. Quelle: Reuters
GeneraliDer Marktführer in Italien ist traditionell stark im Geschäft mit Altersvorsorgeprodukten. 2010 flossen rund 73 Milliarden Euro in die Kassen, 1,7 Milliarden Euro verblieben als Gewinn. Quelle: dpa/dpaweb
AvivaDie britische Gruppe konzentriert sich in Europa neben dem Heimatmarkt auf weitere sieben Märkte: Frankreich, Spanien, Italien, Polen, Irland, die Türkei und Russland. Die Einnahmen beliefen sich 2010 auf mehr als 50 Milliarden Euro. Rund zwei Milliarden Euro verdiente der Konzern. Quelle: Reuters
Zurich FinancialLängst ist der Versicherer über die Schweiz hinaus gewachsen. International ist die in Dollar bilanzierende Gruppe ein direkter Konkurrent von Allianz und Axa. 2010 flossen umgerechnet 49 Milliarden Euro in das Unternehmen, über zwei Milliarden Euro betrug der Gewinn unter dem Strich. Quelle: Reuters
Munich REDer weltgrößte Rückversicherer hat zwei Standbeine: Das Geschäft mit anderen Versicherern sowie das Privatkundengeschäft, das vor allem über die Tochter Ergo läuft. Mehr als 45 Milliarden Euro an Prämien flossen 2010 in die Kasse, dabei verblieb ein Gewinn von rund 2,4 Milliarden Euro. Quelle: dpa
CNP AssurancesDer Versicherer ist in Frankreich führend im Verkauf von Lebensversicherungen. 33 Milliarden Euro an Prämien fließen im Jahr hinein, eine Milliarde Euro Gewinn zieht der Konzern daraus. Quelle: Screenshot

Die einst liebste Anlage der Deutschen, die Kapitallebensversicherung, steckt dagegen in der Krise. Angesichts der niedrigen Zinsen wirft sie für Kunden nicht mehr genug ab, und viele Versicherungsunternehmen haben den Verkauf von Policen mit Garantieverzinsung eingestellt. Wird Axa folgen?

Es gibt immer noch Produkte mit Garantieverzinsung, aber unsere Priorität ist es, diese nicht mehr anzubieten, weil das nicht im Interesse der Versicherten ist. Die Kunden sind sich inzwischen im Klaren darüber, dass es zwar mehr Risiken gibt, wenn sie keine Garantieverzinsung verlangen, aber dass diese Risiken nicht immer negativ sein müssen. Es gibt auch positive Risiken. Die Performance kann sehr viel besser sein.

Aktieninfo zu Axa

In Frankreich ist die Lebensversicherung dagegen immer noch ein Renner. Liegt das daran, dass die Verträge flexibler sind und die Kunden einfacher auch während der Laufzeit Geld entnehmen können?

In Frankreich geht die Mehrheit der Sparanlagen in Lebensversicherungen, weil die Franzosen in der Tat flexible und anpassungsfähige Produkte erfunden haben, die zudem steuerlich begünstigt werden. Dass die Policen in Deutschland so komplex sind, liegt an der Komplexität der Gesetzgebung. Da müsste man ansetzen. Auch in Frankreich gibt es Policen, die erst im Rentenalter fällig werden und auf die man zwischendurch keinen Zugriff hat. Aber an die klassischen Sparanlagen kann man theoretisch jederzeit ran, und wenn man eine Mindestanlagezeit von acht Jahren abwartet, ist die Steuerlast weniger groß.

Hat Axa in Deutschland noch Wachstumschancen?

Das will ich doch hoffen. In Deutschland ist das Wachstum natürlich sehr viel geringer als zum Beispiel in Indonesien oder in China – wie in allen gesättigten Märkten. Zudem hat Deutschland ein schweres Demografieproblem. Da ist das Umsatzvolumen natürlich nicht so hoch wie in Ländern mit einer demografischen Dynamik. Aber das heißt nicht, dass es keinen Markt gäbe.

Mit seiner alternden und zahlenmäßig abnehmenden Gesellschaft steht Deutschland nicht allein. Wie reagieren Versicherungsunternehmen auf eine solche demografische Herausforderung?

Eine alternde Gesellschaft ist gleichzeitig eine mit wachsenden Bedürfnissen, und zwar gerade, was Versicherungen anbelangt. Denken Sie an zusätzliche Krankenversicherungen zum Beispiel. Eine Gesellschaft, die es zu Wohlstand gebracht hat, will zudem die geschaffenen Werte versichern. Ob ein Markt wächst oder nicht, hängt also von der Gesamtschau solcher Faktoren ab. In Deutschland nimmt die Bevölkerung ab, aber die Einkommen der einzelnen Bürger steigen, und da sie älter werden, haben sie mehr Bedürfnisse. Da hat ein Versicherer noch gutes Entwicklungspotenzial.

Ihr Hauptaugenmerk liegt aber derzeit auf Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien. Welche Wachstumserwartungen haben Sie dort?

Die Industrieländer machen immer noch 80 Prozent unseres Umsatzes aus. Aber wir folgen dem Wachstumspfad. Deshalb investieren wir vor allem in Schwellenländern, weil dort unser Wachstum generell 10 bis 20 Prozent beträgt. In einem gesättigten Markt sind es zwischen null und fünf Prozent.

"Vielleicht werden kleinere Gesellschaften verschwinden"

Axa hat in Deutschland Wachstums-Chancen, glaubt Henry Castries. Quelle: REUTERS

Erwarten Sie wegen der anhaltenden Niedrigzinsphase bedeutende Fusionen auf dem Versicherungsmarkt?

Vielleicht werden kleinere Gesellschaften verschwinden. Aber ich glaube nicht, dass es zu Fusionen der größeren Akteure kommen wird. Aus dem gleichen Grund, weshalb das auch bei den Banken nicht der Fall sein wird. Die Aufsichts- und Regulierungsbehörden haben keinen großen Appetit auf bedeutende Zusammenschlüsse. Zudem haben die großen Versicherer bereits eine kritische Masse und deshalb keinen Bedarf an Übernahmen.

Axa-Aktionäre fordern immer wieder eine Verlagerung des Unternehmens ins Ausland. Sind die Bedingungen, unter denen Sie in Frankreich arbeiten, so schlecht?

Unsere Geschäfte in Frankreich laufen immer noch sehr gut. Aber in einer globalisierten Welt, in der Technologien, Kapital und Talent sich frei bewegen, siedeln sie sich nicht unbedingt an einem Standort an, wo die Besteuerung der Unternehmen und Privatpersonen am höchsten, die Staatsausgaben am höchsten und die Flexibilität des Arbeitsmarktes am schwierigsten ist. Da die Kosten vor allem für Unternehmen der Finanzbranche immens sind, ist die Antwort für uns sehr einfach: Wir können keine neuen qualifizierten Arbeitsplätze in Frankreich schaffen. Unter dem Strich lässt sich sagen: Es sind diese Bedingungen, weshalb Frankreich ein viel geringeres Wachstum als seine Nachbarn hat, obwohl die Bevölkerungsentwicklung das Gegenteil erlauben würde.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich die Dinge mit der jüngsten Regierungsumbildung ändern?

Zwei, drei Dinge ändern sich ja schon. Es gibt jetzt zumindest den erklärten Willen einer Mehrheit der politischen Klasse, die Staatsausgaben zu senken und den Anstieg der Besteuerung zu bremsen. Auch wenn man über den Rhythmus und den Realismus der Prognosen diskutieren kann, ist das ein wichtiger Schritt. Ob er ausreicht, muss man sehen. In die richtige Richtung zu marschieren heißt noch nicht, dass man auch am Ziel ankommt.

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