Digitale Versicherungsfahnder Künstliche Intelligenz soll Versicherungsbetrug aufdecken

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Manipulierten Schäden auf der Spur - mit digitaler Hilfe

Die Klientel soll sich nicht unter Generalverdacht fühlen oder gar durch ungerechtfertigt abschlägige Antworten vergrault werden. Zwei Zahlen zeigen das Dilemma: Auch wenn in Deutschland durchschnittlich zehn Prozent der Schadenmeldungen auf falschen Angaben beruhen, kommen jedes Jahr lediglich rund 5000 Fälle zur Anzeige. Wolfgang Hauner von der Munich Re kennt zudem die Sorge der Versicherer, bei der Schadenschätzung nicht zu tief zu liegen. „Sonst fühlt sich der Versicherte verschaukelt. Durch die Digitalisierung der Prozesse werden auch Verwaltungskosten eingespart.“

Der Clan im Ruhrgebiet flog schließlich auf, weil ein und dasselbe Fahrzeug binnen nur zwei Wochen in zwei Unfälle verwickelt war. Ein früher Einsatz von KI hätte womöglich größeren Schaden verhindern können. „Wir haben in Deutschland knapp einhundert Autoversicherer. Deshalb fallen atypische Schadenhäufungen womöglich erst mal gar nicht auf,“ sagt Peter Holmstoel, beim Gesamtverband der Versicherungswirtschaft für Kriminalitätsbekämpfung zuständig. „Die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, ist relativ gering. Die Digitalisierung kann helfen, auffällige Schäden zu erkennen und auszusteuern.“

Ohne technische Unterstützung, bestätigt Shift-CEO Jawish, liege die Aufdeckungsquote bei lediglich 15 Prozent. Das hatten er und Co-Gründer Eric Sibony als Studenten bei einem Praktikum in der Schadenabteilung eines Versicherers erfahren. „Da haben wir uns gesagt, dass wir unser eigenes Unternehmen gründen müssen.“ Shift bringe es heute schon auf 75 Prozent. Dazu haben die inzwischen 200 Mitarbeiter eng mit den Versicherungsunternehmen zusammengearbeitet und die Rechner mit vielen Millionen Schadenfällen gefüttert.

Wettrennen mit Betrügern

Ironischerweise hat die Digitalisierung zum Teil dazu beigetragen, dass Betrug heute einfacher erscheint als zu analogen Zeiten. So mancher Schaden entsteht erst - und ausschließlich - durch die digitale Bildbearbeitung; Apps, über die Entschädigungen nach den Bedürfnissen einer auf Schnelligkeit getrimmten Gesellschaft in Windeseile abgewickelt werden, fordern das System Versicherung zusätzlich heraus. „Betrüger sind immer einen Schritt voraus,“ räumt Axa-Manager Dick ein. „Wir glauben aber auch, dass man mit Technologie schneller aufholen kann und schneller Betrugsmuster erkennen kann.“

Auch die Branche setzt sich deshalb digital zur Wehr. „Ein echter Kratzer sieht pixelmäßig anders aus als einer, der mit Hilfe einer App in ein Foto integriert wurde,“ sagt Munich Re-Manager Hauner. Bei der Bilderkennung sei die Technik dem menschlichen Auge inzwischen weit voraus. Forensikexperten professionalisieren die von Maschinen gestützte Analyse von Texten und Zahlen, so dass ähnliche oder sogar gleich lautende Schadenmeldungen und auffällige Zahlenhäufungen Alarm auslösen. Soweit es der Datenschutz erlaubt, überprüfen die Versicherer im Zweifelsfall auch mögliche Beziehungen zwischen Zeugen, Unfall-Beteiligten, Gutachtern, Anwälten und behandelnden Ärzten.

„Die digitale Schadensteuerung wird über die nächsten Jahre eines der großen Themen in der Versicherungsbranche sein“, ist auch Christian Krams überzeugt. Er ist Leiter Schaden für die Unternehmen im Konzern Versicherungskammer und zugleich Vorstand bei der BavariaDirekt. Als digitaler Versicherer im Konzern ist die BavariaDirekt so etwas wie ein Versuchslabor für zahlreiche Zukunftsthemen. „Was bei der BavariaDirekt funktioniert übertragen wir so bald wie möglich auf die anderen Konzernunternehmen.“

KI-Systeme böten dem Sachbearbeiter gute Vorschläge zur Regulierung an - im Kundeninteresse und auch im Interesse unserer Unternehmen. Die Entscheidung trifft am Ende aber immer noch der einzelne Sachbearbeiter auf Grundlage seiner Fachkenntnis. Künstliche Intelligenz und Data Analytics können nur unterstützende Komponenten sein.

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