Es gibt Werbe- und Imagekampagnen, die gehen nach hinten los. Beispiel gefällig? Die Deutsche Bahn warb mal mit dem Slogan: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“ Aber das scheinbar so wetterunabhängige und zuverlässige Transportmittel für stressfreies Reisen musste dann doch über das Wetter reden. Erst kollabierten Fahrgäste in den Zügen, weil bei Extremhitze die Klimaanlagen ausfielen, dann kam im harschen Winter der Zugverkehr zum Erliegen, weil Schnee die Gleise unpassierbar machte. Das unterschwellig vollmundige Versprechen der Bahn erwies sich in den Augen der Kunden als ein leeres.
Wird ein prominentes Versprechen an die Kunden nicht eingehalten, ist es für ein Unternehmen mühsam und schwierig, den Vertrauensverlust wieder wett zu machen. Diese leidvolle Erfahrung macht der Versicherungskonzern Ergo seit eineinhalb Jahren. Als die Vorstandsetage 2010 beschloss, die Traditionsmarken Hamburg-Mannheimer und Victoria nicht weiter zu bewerben, sondern stattdessen Ergo als große Versicherungsmarke am Markt zu positionieren, wollten die Entscheider auch den Mief der traditionsreichen Versicherungsbranche abstreifen. Modernität war das erklärte Ziel, mit dem Slogan „Versichern heißt verstehen“ die Tür aufgestoßen zu mehr Kundennähe und Transparenz. Sogar eine „Verstehensgarantie“ gab der Finanzdienstleister.
Doch Ergo wurde noch in der Aufbauphase der neuen Marke kalt erwischt – oder vielmehr heiß. Denn die Sex-Party von rund hundert Ergo-Vertretern in der Budapester Gellert-Therme auf Kosten der Versicherung ist nach ausführlicher Berichterstattung in den Medien als „Lustreise der Ergo“ in den Köpfen der Kunden fest verankert. Auch deshalb, weil sich seitdem ein Skandal an den nächsten reiht, die Enthüllungen kein Ende nehmen. Ergo ist zum Sündenfall der Versicherungsbranche geworden.
Versicherungen sind – wie generell alle langfristigen Geldgeschäfte – vor allem eines: Vertrauenssache. Wer die Berichterstattung über Ergo in den vergangenen Monaten verfolgt hat, zweifelt keine Sekunde an einer massiven Vertrauenskrise bei den Ergo-Kunden.
Immer neue Skandale
Nach Bekanntwerden der Budapest-Reise kamen zahlreiche weitere Lustreisen zur Motivation der erfolgreichen Vertriebskräfte ans Tageslicht. So wurden bis heute viele weitere anrüchige Vergnügungen von Vertriebsmitarbeitern auf Mallorca, der Hamburger Reeperbahn, in Wien sowie auf Jamaika publik. Auch wenn sie nicht die Dimension der Sex-Sause in der Budapester Gellert-Therme erreichten, so musste die Konzernleitung um Ergo-Vorstandschef Torsten Oletzky doch nach und nach von ihrer Einzelfall-Theorie abrücken. Dass es bei diesen Vorfällen meist um deutlich weniger Teilnehmer ging, die Swinger-Hotel-Besuche teilweise nur auf Initiative einzelner Personen stattfanden und die Auslagen aus der Konzernkasse für diese Zwecke deutlich geringer ausgefallen waren spielte für den Kunden nun mehr eine untergeordnete Rolle. Der Eindruck, Sex-Eskapaden seien Bestandteil der alltäglichen Mitarbeiter-Motivation hatte ich in der öffentlichen Wahrnehmung verfestigt.
In jüngster Zeit gesellten sich noch schwerwiegende Vorwürfe über unsaubere Geschäftsmethoden hinzu. Ergo steht am Pranger, weil Kunden anscheinend mit falschen Kostenabrechnungen bei Riester-Verträgen und bei systematischen Umdeckungsaktionen übervorteilt wurden.
Im Fall der falschen Abrechnung von Riester-Verträgen lautet der Vorwurf, Ergo habe so 70.000 Kunden um insgesamt bis zu 160 Millionen Euro geschädigt. Laut Ergo-Prüfung sind jedoch nur 12.000 Kunden betroffen, die Schadenregulierung beläuft sich bis dato auf rund eine Million Euro.
Revisionsbericht: Ergo entdeckt weitere Lustreisen
Die Top-Five-Clubreise nach Mallorca (kleine Clubreise) hat in der Zeit vom 12.09. - 15.09.2005 stattgefunden und wurde von Herrn Lange in seiner Funktion als Leiter der HMI-Vertriebsorganisation begleitet.
Insgesamt werden angabegemäß je Jahr eine „große“ und zwei „kleine“ Top-Five-Clubreisen in Eigenregie von der Vertriebsdirektion HMI (VDHMI) organisiert, durchgeführt und über eigene Kostenstellen abgewickelt.
Als sie den Club betreten hätten, seien er und andere überrascht gewesen, weil im Tresenbereich leicht bekleidete „Mädels“ gestanden hätten. Einige, zu denen er gehörte, seien dann ca. nach einer Stunde zurückgefahren, andere seien dort geblieben.
Aufgrund der vorliegenden Information ist es aus Sicht von REV (Revision) wahrscheinlich, dass mit den beiden von Herrn Lange eingereichten Bewirtungsbelegen über gesamt 2428 Euro Aufwendungen für einen Nachtclub/Bordellbesuch finanziert wurden.
Auf beiden Belegen ist im Kopf der Name „Mexxaton“ vermerkt, bei dem es sich anscheinend um die Lokalität handeln soll, von der sie ausgestellt wurden. Auf dem Beleg über € 1508 ist zusätzlich das Datum „15.09.05“ vermerkt, während der andere kein Datum trägt. Weitere Angaben z.B. zum Aussteller befinden sich nicht darauf.
Eine Lokalität mit dem Namen „Mexxaton“ auf Mallorca haben wir weder bei unseren Internetrecherchen gefunden noch war sie der vor Ort vertrauten Reiseagentur bzw. dem Hotel oder Reiseteilnehmern bekannt.
Das Datum auf dem Beleg über € 1508 wäre allenfalls plausibel, wenn die Rechnung in den frühen Morgenstunden ausgestellt wurde, da am 15.09.05 der Abreisetag war.
Wir haben am 10.06.2011 Herrn Lange telefonisch zu dem Vorgang befragt. Er erinnerte die Reise zwar, gab aber an, die Gruppe nicht in ein Bordell eingeladen zu haben. Zu den „Zweckformbelegen“ und dem Namen „Mexxaton“ könne er aber nichts sagen.
Im Zusammenhang mit der Prüfung zu dem HMI-Sonderwettbewerb - Budapest 2007 („Party Total“) sind die auf den Gewinner- bzw. Teilnehmerlisten aufgeführten Personen von der Konzernrevision zur Teilnahme und ggf. weiteren Details befragt worden. Dabei ist von einer Person der Hinweis geäußert worden, dass es auf einer Wettbewerbsveranstaltung der HMI nach Südamerika zu vergleichbaren Aktivitäten gekommen sei.
Auf Nachfrage wurde der Hinweis dahingehend ergänzt, dass eine HMI-Geschäftsstelle in Frankfurt im Januar/Februar 2011 eine Wettbewerbsreise in ein „Swinger-Hotel“ in Jamaika durchgeführt habe.
Die von Herrn M. geleitete Geschäftsstelle in Frankfurt hat in den Jahren 2009 und 2011 jeweils Wettbewerbsreisen nach Jamaika in das „Swinger-Hotel“ Hedonism II (www.hedonism-resorts.de) durchgeführt.
Das Hotel ist gemäß Internet-Recherche ein bekanntes Reiseziel für entsprechend interessierte Personen.
Vor Buchung der Reise sind die Reiseunterlagen gem. Richtlinie zum Generalstrukturen-Reisewettbewerb (GRW) der abrechnenden Stelle PVH5HH per Mail zur Genehmigung vorgelegt worden.
Von der Geschäftsstelle wurden insgesamt drei Angebote von unterschiedlichen Hotels eingeholt und es wurde mitgeteilt, dass man sich für die dritte, günstigste Variante mit der Hotelkombination Mariott am Time Square und dem Hedonism II auf Jamaika entschieden hatte.
Als Grund für die Buchung gab er an, dass seine erste Wettbewerbsreise vor 25 Jahren in dasselbe Hotel geführt habe.
Nach allem, was Ergo heute bekannt ist, war diese Veranstaltung ein Einzelfall und widersprach schon damals den Regeln, die für die Organisation von Wettbewerbs-Reisen gelten.
Herr P. verwies darauf, dass sich zur selben Zeit das Magazin „Playboy“ mit „Bunnys“ zwecks eines Fotoshootings in der Anlage aufhielt.
In diesem Zusammenhang seien auch Fotos mit Teilnehmern und den Models (teilweise ohne Oberteil) aufgenommen worden. Es sei nicht auszuschließen, dass diese Fotos an die Öffentlichkeit gelangten.
Ebenso unschön sind die Vorwürfe zur vermeintlich systematischen Umdeckung von Lebensversicherungsverträgen. Bei einer Umdeckung beendet der Kunde einen Versicherungsvertrag und wechselt gleichzeitig in einen neuen Vertrag mit ähnlichem Umfang. Im Fall der Umdeckungsaktion von Lebensversicherungen mit nach heutigen Maßstäben hohen Zinsen in eine Unfallversicherung mit Einmaleinzahlung und Beitragsrückerstattung sollen knapp 5000 Kunden betroffen sein, die Zins-Nachteile für die Kunden belaufen sich nach Informationen des Handelsblatts auf 13 Millionen Euro. Nachdem Ergo die Versicherten angeschrieben hatte, machten bislang lediglich 47 der betroffenen Kunden den Wechsel in die Unfallversicherung rückgängig.
Ergo-Image weiterhin gut
Kunden und solche, die es potenziell werden könnten, dürfen sich selbst ein Bild davon machen, ob die Skandale und Verfehlungen tatsächlich ein Offenbarungseid für die Ergo-Versicherung sind. Auf der Internetseite des Konzerns finden sich in der Rubrik Corporate Governance umfangreiche Informationen zu den Vorwürfen, Stellungnahmen des Unternehmens und Beschreibungen der entsprechenden Maßnahmen des Managements.
Die Vorwürfe wiegen schwer und das gibt Ergo auch zu. Das Bild vom zuverlässigen Versicherer, der im Interesse seiner Kunden handelt, hat tiefe Risse bekommen. Eigentlich müssten dem Düsseldorfer Versicherungskonzern die Kunden in Scharen davon laufen. Das ist bisher erstaunlicherweise nicht der Fall. Nicht einmal ein massives Imageproblem ist bislang erkennbar. Im Gegenteil.
Oliver Gaedeke, Leiter der Finanzmarktforschung bei YouGov – einem Analysehaus für das Image von Marken und Unternehmen – hat dafür eine Erklärung. „Das Image einer Versicherung wirkt im Tagesgeschäft für den Vertrieb eher flankierend“, sagt Gaedeke. „Die Marke einer Versicherung ist weniger wichtig als etwa bei einem Schokoriegel. Entscheidend ist im operativen Versicherungsgeschäft die persönliche Interaktion des Kunden mit seinem Berater. Über die ehemaligen Marken Hamburg-Mannheimer und Victoria haben die Kunden vor allem eine hohe Bindung an ihren Versicherungsvertreter und weniger an die noch junge Marke Ergo.“
Der YouGov-Markenbarometer Assekuranzen vom Mai 2012 – also etwa ein Jahr, nachdem das Handelsblatt die Budapester Sex-Sause von 2007 öffentlich machte – wies in den sogenannten Stimulanzkriterien - die für die Neukundengewinnung entscheidend sind - sogar Spitzenpositionen bei Werten für Kreativität und Bekanntheit der Marke Ergo aus. „Die Einführung der Marke Ergo mit dem Slogan ‚Versichern heißt verstehen‘ hat insgesamt gut funktioniert. Die Bekanntheit liegt etwa auf dem vorherigen Niveau der Hamburg-Mannheimer“, sagt Gaedeke. „Es gibt einen allgemeinen Trend bei Unternehmen wie bei ihren Kunden, immer transparenter zu werden. Die neue Note in den Kampagnen der Ergo unter Torsten Oletzky war das Versprechen, ein gänzlich anderes Versicherungsunternehmen aufzubauen und in die Zukunft zu führen. Ergo hat damit dem Kundenbedürfnis nach mehr Transparenz und individueller, passgenauer Beratung entsprochen wie noch kein Versicherer zuvor“, glaubt Gaedeke. „Damit haben sie zudem eine sich abzeichnende Entwicklung regulatorischer Eingriffe durch den Gesetzgeber vorweg genommen. Das Versprechen der Ergo ist mutig – auch wenn sie noch nicht da sind, wo sie in punkto Verständlichkeit und Transparenz hin wollen. Jetzt müssen sie durchhalten.“
Transparenz bis zur Sturheit
Tatsächlich beschreiten die Düsseldorfer mit ihrer Kundenansprache, vor allem den klar verständlichen Versicherungsbedingungen und der Transparenzoffensive neue Wege. Deshalb beobachtet die Wettbewerber sie auch mit zunehmender Nervosität. In der Krisenkommunikation geholfen haben, dürfte dem Ergo-Konzern auch die ungewöhnliche – wenn auch teilweise zögerliche - Offenheit, mit der er den Vorwürfen begegnete. Die Ergebnisse der internen Revision, die Schritte der Unternehmensführung zur Schadenregulierung sowie die Maßnahmen zur Disziplinierung der Vertriebsmitarbeiter sind für jedermann auf der Internetseite von Ergo zugänglich und detailliert beschrieben.
Markenforscher Gaedeke geht davon aus, dass die Ergo-Kunden der Versicherung nicht übereilt den Rücken kehren. „Versicherungskunden erleben primär die Beratungs- und Betreuungsqualität der Vertreter vor Ort und werden im Wesentlichen hierüber an eine Versicherermarke gebunden.“
Die größte Gefahr für die Ergo und ihr Markenimage ist dennoch, dass die Serie der Skandalveröffentlichungen nicht abreißt und das Unternehmen einer Salami-Taktik gleich immer mehr Verfehlungen eingestehen muss. Irgendwann wird sich das Dauerfeuer massiv auf das Image und schließlich die Geschäfte auswirken.“
Laut Unternehmenssprecher Alexander Becker, der bei Ergo die Kommunikation zum Thema Transparenz verantwortet, ist der Effekt der Negativ-Berichterstattung auf das Geschäft der Versicherungsgruppe kaum zu beziffern. „Natürlich haben die unsägliche Sex-Party in Budapest und die folgenden, immer neuen Negativ-Schlagzeilen einen Effekt. Aber wie groß der ist, ist sehr schwer zu beantworten“, so Becker. „Im vergangenen Jahr sind ungefähr 1000 Verträge mit Hinweis auf die Budapest-Reise storniert worden. Gemessen an fast 20 Millionen Kunden und weit mehr Verträgen ist das vielleicht wenig, aber es ist auch nicht vernachlässigbar. Und Stornierungen ohne diesen Bezug können ebenso aus solchen Gründen erfolgt sein. Wir nehmen das ernst. Außerdem sagt die Zahl nichts darüber aus, wie viele Kunden wegen der Budapest-Reise nicht zu uns gekommen sind.“
Geschäftseinbruch blieb bislang aus
Zumindest im Lebensversicherungsgeschäft lag die Zahl der vorzeitigen Vertragskündigungen unter dem Vorjahreswert und auch unterhalb des Branchendurchschnitts. Bei den laufenden Beitragseinnahmen zeigt Ergo bislang ebenfalls keine Schwäche.
Nach Ergo-Informationen sind auch im Neugeschäft keine signifikanten Einbrüche zu verzeichnen. Ergo-Sprecher Becker ist überzeugt, dass die Neuausrichtung 2010 auf den „Versichern heißt verstehen“-Slogan und der Anspruch einer Klartext-Kommunikation mit den Kunden ungeheuer wichtig sind. „Wir sind überzeugt, das Richtige zu tun“, sagt Becker. Für diesen Weg und auch für die umfassenden Einblicke in Konzerninterna auf der Ergo-Website sieht er den Rückhalt durch die Konzernmutter Münchener Rück gegeben.
Das Feedback von Kunden, Kollegen und Branchenkennern auf so viel Transparenz zu Incentive-Reisen sei sehr unterschiedlich. Eine Alternative zur Grundausrichtung des Unternehmens sieht Ergo-Sprecher Becker nicht. Trotz aller Bemühungen und dem Anspruch, dem Kunden gegenüber Versicherungen einfach und klar verständlich zu erklären, seien die Produkte mitunter komplex. „Das Geschäft wird immer auch Vertrauen brauchen. Eine Versicherung ist nun mal kein Auto, das der Kunde vom Hof fährt, und bei dem er sich sofort von der Qualität überzeugen kann. Bei einer Versicherung zeigt sich ihre Qualität oft erst nach langer Zeit.“
Sollte Ergo also die Image-Hölle ohne allzu große Einbußen im Geschäft überstehen, hat der Versicherer gute Chancen, im Wettbewerb mit den Platzhirschen Marktanteile zu gewinnen. Zu groß ist das Bedürfnis der Kunden, nach einer Versicherung, die ihre Kunden versteht und verständlich kommuniziert. Dem Aktienkurs der Konzernmutter Münchener Rück hat die Skandalserie bislang überhaupt nicht geschadet.
Auch mit angeschlagenem Image machen Großkonzerne also noch solide Geschäfte. Die Ergo-Mutter Münchener Rück dürfte darüber sehr froh sein.