Generali-Vorstandschef Liverani „Die Lage ist ernst“

Giovanni Liverani Quelle: Wolf Heider-Sawall für WirtschaftsWoche

Der italienische Allianz-Rivale Generali hat dank kräftiger Zuwächse in der Lebensversicherung im zweiten Quartal mehr verdient. Um 16 Prozent stieg das operative Ergebnis auf 1,45 Milliarden Euro. Vorstandschef Liverani sieht für den Versicherer vor allem eine wichtige Baustelle: Er will den Menschen die Angst vor Datensammlern nehmen.

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WirtschaftsWoche Online: Signor Liverani, Sie haben jede Menge Ärger mit einem Produkt, das noch gar nicht auf dem Markt ist: Datenschützer protestieren gegen Ihr geplantes Vitality-Programm für Lebens- und Krankenversicherungen. Dabei sollen Versicherte weniger zahlen, wenn sie Ihnen persönliche Daten liefern, die beweisen, dass sie gesund leben. Was sagen Sie dazu?
Herr Giovanni Liverani: Es ist mir ein Rätsel, warum manche Deutsche ihrer Versicherung so weit vertrauen, dass sie ihnen 30 Jahre lang jeden Monat Geld überweisen, aber bei Daten solches Misstrauen herrscht. Ein Versicherer unterliegt schließlich strengen Kontrollen – anders als Google oder Facebook, denen viele Menschen bedenkenlos private Daten geben. Ein Programm wie Vitality ist doch in jedermanns Interesse! Es motiviert die Menschen, gesünder zu leben. Und sie leben nun einmal besser, wenn sie weniger Fett essen, Sport machen und nicht rauchen. Dann sinken auch die allgemeinen Gesundheitskosten. Natürlich wollen wir Anreize für den Kunden setzen. Aber niemand zahlt bei uns mehr, nur weil er gerne Schweinshaxe isst oder nicht regelmäßig joggt.

Generali Deutschland in Zahlen

Sie erziehen Ihre Kunden also?
Wir motivieren sie! Generali Vitality, das im ersten Halbjahr 2016 auf den Markt kommen soll, ist ein Konzept mit vielen Modulen. Das Vitality-Programm und das Versicherungsprodukt werden rechtlich und organisatorisch voneinander getrennt, voll im Einklang mit den Datenschutzbestimmungen. Wir bekommen nur den Vitality-Status übermittelt, den ein Kunde mit seiner gesunden Lebensweise erreicht hat. Teilnehmen kann jeder – egal, ob jung oder alt, ob krank oder gesund – und muss keiner. Dann gibt es zum Beispiel Rabatte für den Bioladen oder das Fitnessstudio. Wir werden neue Tarife anbieten, bei denen wir bei Vertragsabschluss bestimmte Informationen zur Lebensweise abfragen. Über eine technische Plattform kann der Kunde auf verschiedenen Kanälen wie Internet, Callcenter oder per App in Interaktion mit dem Programm treten. Grundsätzlich gilt: Wenn der Kunde bereit ist, Vitality Daten zu überlassen, profitiert er davon.

Gilt das auch für Fahrerdaten bei der Kfz-Versicherung?
Ja. Generali hat in Italien bereits eine Million Kunden, deren Autos mit einer Blackbox ausgestattet sind, die Fahrerdaten speichert. Bei angemessener Fahrweise zahlt der Kunde für seine Versicherung deutlich weniger. Solche Telematik-Tarife werden wir Anfang 2016 auch in Deutschland anbieten.

Ist der Datenschutz in Italien denn laxer?
Nein. In Italien vertrauen die Menschen aber darauf, dass eine Versicherung nicht nur mit ihrem Geld sorgsam umgeht, sondern auch mit ihren Daten.

Die solventesten Lebensversicherer

Welche datenbasierten Policen wollen Sie in Deutschland noch anbieten?
Wir arbeiten an einem Produkt, bei dem ein intelligentes Thermostat im Haus erkennt, ob jemand daheim ist. Ist jemand öfter zu Hause, verbilligt sich zum Beispiel die Diebstahlversicherung, weil es unwahrscheinlicher ist, dass eingebrochen wird.

Es heißt in der Branche, Google könnte in Deutschland schon bald Versicherungen vertreiben. Bedroht das Ihr Geschäft?
Ich habe keine Angst vor Google. Google kann nicht in einem regulierten Umfeld überleben, Google braucht Freiheit und Flexibilität. Interessant für uns finde ich den Effekt, den Google auf die Kunden hat. Jemand, der über Google zu Booking.com kommt und dort ein Hotel bucht, erwartet, dass er auch eine Versicherungspolice unkompliziert online abschließen kann. Das funktioniert leider meistens nicht. Hier haben wir als Branche noch Defizite.

Was planen Sie, um die zu beseitigen?
Generali ist in Deutschland viel zu kompliziert organisiert. Wir müssen unsere Struktur stark vereinfachen und Komplexitäten reduzieren. Ich will unter anderem die Kosten in den weniger kundenrelevanten Stabsbereichen um 30 Prozent senken.

Neue Ausrichtung in Deutschland

Ist das der Grund, warum Sie den Hauptsitz der Generali Deutschland von Köln nach München verlegen wollen?
Es gibt viele gute Gründe. Wir wollen das Unternehmen in Deutschland neu ausrichten, und dafür ist es wichtig, dass der Vorstand nah an den Geschäften, den Kunden und am Vertrieb ist. In Köln sitzt die Holding, aber wir haben dort keine operative Business Unit bis auf die spezialisierte Krankenversicherung. Die Lage für die Branche und damit auch für unser Unternehmen ist ernst, vor allem durch die andauernden Niedrigzinsen und die negativen Folgen für unser Geschäft mit Lebensversicherungen. Da kann ich nicht 600 Kilometer von den Problemen entfernt sitzen. Ich will und muss eingebunden sein.

Ist der geplante Konzernumbau also in erster Linie ein Sparprogramm?
Nein. Das hier ist keine Cost-Cutting-Story, sondern ein Aktionsprogramm. Da ist es nicht sinnvoll, die internationale Generali-Holding mit Sitz in Italien zu haben und in Deutschland noch einmal eine Holding mit 400 Mitarbeitern. Weder unsere Kunden noch die Aktionäre wollen dafür zahlen. Und die wollen beispielsweise auch nicht für 34 Vorstandsmitglieder zahlen, die wir in Deutschland hatten. Unsere Wettbewerber haben zwischen 10 und 20 weniger. Es muss auch nicht jede deutsche Tochtergesellschaft eigene Controller, Entwickler und Personaler haben.

Werden Sie auch bei den Vertretern sparen?
Wir brauchen die Leute vor Ort. Aber die Vermittler müssen produktiver werden. Dafür müssen wir Produkte anbieten, die für den Kunden wirklich relevant sind. Wir haben in der Sachversicherung in Deutschland 600 verschiedene Produkte. 60 gute genügen. Die Reduzierung der Zahl der Produkte wird auch die Arbeit der Außendienstler erleichtern. Die müssen sich aber auch umstellen, weil ihr provisionsstärkstes Produkt gerade verschwindet, die klassische Lebensversicherung. Ich würde als Kunde einem Garantieversprechen von 1,5 Prozent auch mit Skepsis begegnen, wenn eine zehnjährige Bundesanleihe nur 0,5 Prozent abwirft.

Was wird bei Generali aus der klassischen Lebensversicherung?
Wir bieten sie noch in der betrieblichen Altersvorsorge an, etwa als Direktversicherung, sonst wären wir aus diesem Geschäft raus. Für Privatkunden ist sie aber bei der Generali Leben ein Auslaufmodell.

Wie gleichen Ihre Vertreter die Lücke aus?
Wir verkaufen jetzt vor allem fondsgebundene Lebensversicherungen mit Garantie auf das eingezahlte Geld und Renditechancen durch höheres Risiko.

Werden alle Lebensversicherer die Niedrigzinsphase überleben?
Ich hoffe es, denn alles andere wäre eine Katastrophe für die Branche. Aber ich will nicht ausschließen, dass es einige nicht schaffen. Wenn ich sehe, dass manche Lebensversicherer immer noch Überschussbeteiligungen von deutlich über 3,5 Prozent gewähren, mache ich mir Sorgen.

Warum legt Generali so wenig Kundengelder in Aktien an, um die Rendite zu steigern? Ihre Aktienquote liegt unter einem Prozent, bei der Allianz sind es sechs.
Wir suchen nach Lösungen, mit denen wir unsere durchschnittliche Rendite bei der Kapitalanlage steigern können. Im vergangenen Jahr lagen wir bei 3,6 Prozent. Dazu werden wir die Aktienquote hochfahren.

Was halten Sie von Infrastruktur-Investments in Autobahnen oder Windparks?
Engagements in Stromnetze oder Windparks bieten langfristig konstante Renditen von fünf bis sechs Prozent, passen also ideal zur Lebensversicherung. So richtig fliegt Infrastruktur aber noch nicht, wegen der strengen Vorschriften.

Wollen Sie die Allianz Deutschland als Nummer eins hierzulande ablösen? Sie erzielten im vergangenen Jahr 17 Milliarden Euro an Beitragseinnahmen. Ihr großer Konkurrent kommt immerhin auf fast doppelt so viel.
Nicht der Größe nach, so vermessen bin ich nicht. Aber auf jeden Fall, wenn es darum geht, Kunden intelligente Lösungen anzubieten, die einfach zu kaufen sind.

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