WirtschaftsWoche: Herr Rittweger, seit gut zwei Monaten ist der digitale private Krankenversicherer Ottonova nun am Start. So viel Innovation gab es in der privaten Krankenversicherung schon länger nicht mehr. Wie viele Kunden haben Sie schon gewonnen?
Roman Rittweger: Qualitativ haben wir gezeigt, dass unser Angebot funktioniert und wir unsere Zielgruppe genau erreicht haben. Quantitativ ist der Start wie im Business Plan erwartet gelaufen – ein langsames Hochfahren. Vom Erstkontakt bis zum Abschluss vergeht einige Zeit. Die private Krankenversicherung ist ein sehr komplexes Thema und die Entscheidung von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung zu wechseln, dauert bei den meisten Kunden relativ lange. Wechsler aus anderen privaten Krankenversicherungen kommen vor allem im vierten und ersten Quartal im Jahr. Gegen Ende des Jahres erhöhen viele private Krankenversicherer ihre Beiträge, sodass Kunden nach Alternativen suchen. Im ersten Quartal profitieren viele Angestellte von Gehaltserhöhungen, sodass auch da Bewegung im Markt ist, weil dann mehr Angestellte über die Einkommensgrenze rutschen, ab derer sie sich privat versichern können. Wenn es weiterhin läuft wie erwartet, werden wir unseren Plan erreichen. Den kommunizieren wir nicht öffentlich, nur so viel: Es ist eine dreistellige Zahl von Vollversicherten für 2017 und eine vierstellige für 2018.
Zur Person
Roman Rittweger, 53 Jahre, hat Medizin studiert, bevor er als Unternehmensberater in der Gesundheitsbranche arbeitete und einen Dienstleister für Krankenversicherer gründete. Im Juni hat er mit Ottonova den ersten privaten Krankenversicherer der vergangenen 17 Jahre in Deutschland gestartet. Mit einem rein digitalen Angebot will der Versicherer bei Kunden punkten, die sich bei klassischen Versicherern nicht wohlfühlen.
Wer kommt zu Ottonova als Kunde?
Bislang sind es vor allem Unternehmensberater, Geschäftsführer, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer aber auch Gründer von Start-ups. Menschen die dem technologischen Fortschritt gegenüber aufgeschlossen sind. Die Kunden sind jünger als der durchschnittliche PKV-Neuversicherte und es sind zu 90 Prozent Männer. Dass der Männeranteil so hoch ausfällt, hat uns überrascht. Aber auch das wird sich sicherlich noch etwas einpendeln.
Bislang werden private Krankenversicherungen meist verkauft, also von Beratern, die auf Provisionsbasis arbeiten, vermittelt. Sie zahlen keine klassischen Vermittlungsprovisionen. Wie wollen Sie Kunden locken?
In der Tat verkauft sich eine private Krankenversicherung nicht ganz von alleine. Wir glauben aber, dass wir die Kunden mit unseren Vorzügen überzeugen werden: mit einem regelmäßigen, aber unkomplizierten Kundenkontakt, mit der schnellen Erstattung von Gesundheitsausgaben, für die eine Rechnung nur abfotografiert werden muss und mit langfristig stabilen Beiträgen.
Der Preis wäre sicher ein gutes Argument, um Kunden zu locken. Besonders günstig sind Ihre zwei Vertragsvarianten "Business Class" und "First Class" aber nicht. Und stabile Beiträge klingen zwar gut, sind aber nicht garantiert.
Eine Preisgarantie ist über einen längeren Zeitraum leider nicht möglich. Niemand kann die Kostenentwicklung in den nächsten Jahrzehnten hundertprozentig vorhersehen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Tarife auf Sicht von zehn bis zwanzig Jahren stabiler bleiben als im Markt insgesamt, ist sehr groß. Wir starten in einer Zeit mit Niedrigzinsen, sodass wir bei unseren Kapitalpolstern nur eine geringe künftige Verzinsung ansetzen dürfen. Weil wir mit so niedrigen Zinsen starten, ist das Risiko weiterer Zinssenkungen gering. Konkurrenten haben da noch viel Luft nach unten. Zudem haben wir die effizienteste Datenabwicklungsplattform, was die Kosten langfristig senkt.
Intensiver Austausch mit den Versicherten
In vielen Fällen müssen Ottonova-Versicherte sich vor einer Behandlung die Zusage einholen, dass Sie die Kosten übernehmen. Misstrauen Sie Ihren Kunden?
Natürlich nicht. Aber unsere Idee ist schon, dass wir im intensiven Austausch mit den Versicherten stehen. Das mag bei einem digitalen Versicherer überraschen, ist aber Kernbestandteil unseres Ansatzes. Nur so können wir Patienten zum Beispiel darauf hinweisen, wenn wir für eine bestimmte Behandlung den besten Experten kennen oder eine Kooperation haben, die zu niedrigeren Behandlungskosten führt. Wir legen auch einen starken Akzent auf Vorsorge, weil wir auch dadurch an langfristig niedrigere Ausgaben glauben. So übernehmen wir zum Beispiel die Ausgaben für zwei professionelle Zahnreinigungen im Jahr. Wenn man je nach Tarif seine 80 oder 90 Prozent zurückbekommen will, muss man einmal im Jahr zur Zahnreinigung gehen – und daran erinnern wir auch. Wer nicht wenigstens ein Mal im Jahr zur professionellen Zahnreinigung geht, bekommt von Ausgaben für Zahnersatz nur 60 Prozent ersetzt. Solche Anreize sind ganz typisch für unser Angebot. Bei Heil- und Hilfsmitteln werden wir Versicherten, die eine besonders hochwertige Luxus-Variante wünschen, auch manchmal sagen: Ok, die kannst Du bekommen, aber dann musst Du 20 Prozent selbst übernehmen.
Auch ein Selbstbehalt ist bei Ottonova Pflicht. Warum?
Auch hier gilt: Der Versicherte soll sich schon kostenbewusst verhalten, im Interesse der Versichertengemeinschaft. Der Selbstbehalt liegt mindestens bei 500 Euro, ist aber prozentual gestaltet. Konkret heißt das, dass Versicherte von den ersten 5000 Euro an Ausgaben zehn Prozent selbst tragen müssen. Das ist viel sinnvoller, als die ersten 500 Euro voll vom Versicherten übernehmen zu lassen. Schließlich würde ihn das abschrecken, sodass er vielleicht sinnvolle Vorsorgeuntersuchungen dann bleiben ließe. Genau das wollen wir ja nicht.
Sie starten mit wenigen Kunden, sodass einzelne sehr teure Behandlungen ein Problem sein könnten. Wie lösen Sie dies?
Zu Beginn greifen wir auf eine Rückversicherung zurück, die von der Gen Re kommt, deren Wurzeln auf die Kölnische Rückversicherung zurückgehen. Die springt aber wirklich nur als Rückversicherung für uns bei besonders teuren Behandlungen ein, der Kunde merkt davon nichts. Alles darunter können wir selbst tragen. Und wenn Ottonova länger am Markt ist und mehr Kunden hat, ist die Rückversicherung dann irgendwann nicht mehr nötig.
Wie wollen Sie mehr Kunden gewinnen?
Bei unserer Vollversicherung fahren wir unser Marketing über die nächsten zwei Jahre hoch. Ende des Jahres starten wir das Angebot an Zusatzversicherungen, die dann zum Beispiel auch von gesetzlich Krankenversicherten abgeschlossen werden können. Erst wird es eine Zahnzusatzpolice, dann eine stationäre Police, also für Krankenhausaufenthalte, geben. Das wird uns für einen noch größeren Kundenkreis interessant machen. Ein Beamtentarif wird im nächsten Jahr kommen.
Eine Plakatkampagne zur Bundestagswahl
Werbung von Ottonova fällt bislang nur im Internet auf. Bleibt es dabei?
Im Wahlkampf zur Bundestagswahl haben wir eine Plakatkampagne entwickelt. Die Motive lehnen sich stark an die der Parteien an und nehmen deren Ansprache auf die Schippe. So erhoffen wir uns hier etwas Aufmerksamkeit. Die Motive werden auf etwa 100 Flächen hängen.
Bei einer bundesweiten Kampagne wären wohl eher 10.000 Flächen nötig, um wirklich aufzufallen...
Das mag sein. Wir hoffen natürlich, dass die Kampagnen auch in den Medien oder in sozialen Netzwerken aufgegriffen wird und so auch abseits der Plakatstandorte wahrgenommen wird. Ein wenig Guerilla-Marketing ist da dabei.
Wollen Sie sich so an Politikern rächen, die unter dem Stichwort Bürgerversicherung derzeit wieder über eine Abkehr von der privaten Krankenversicherung diskutieren?
Weshalb sollten wir auf Rache aus sein? Aber wir stellen uns gerne dieser Debatte. Wir glauben, dass der Wettbewerb im Gesundheitssystem hilft. So hilft der Wettbewerb zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherern auch den gesetzlich Versicherten, weil deren Versicherer es sich eben nicht bequem machen können, sondern die Versicherten umwerben müssen. Wahlfreiheit ist uns wichtig.
Schreckt es Interessenten nicht ab, wenn Sie zu einem ganz jungen Krankenversicherer wechseln sollen, aber nicht mal wissen, wie lange es die private Krankenversicherung insgesamt noch geben wird?
Ich kann das im Einzelfall nicht ausschließen. Aber klar ist: Für alle, die schon in einer privaten Krankenversicherung sind, wird es einen Vertrauensschutz geben. Das könnte so betrachtet sogar ein Grund für den Wechsel in die PKV sein. Sollte es zu einer rot-rot-grünen Bundesregierung kommen, würden wir eine Kampagne starten: Versichert Euch lieber privat, solange es noch geht. Die Abschaffung der PKV wäre auch allenfalls temporär, bis die nächste Regierung kommt. Wir als Ottonova planen auf jeden Fall langfristig.
Welche Folgen hätte es für Versicherte, wenn es Ottonova irgendwann nicht mehr geben sollte?
Auch dann kann der Kunde sicher sein, dass sein Versicherungsschutz bestehen bleibt. Zunächst würde der Sicherungsfonds greifen. Alle privaten Krankenversicherungen zahlen in den Topf der Auffanggesellschaft Medicator ein. Diese übernimmt die Verträge und führt sie unverändert fort. Was in einem solchen Fall vielleicht eher passieren würde: Eine andere Versicherung würde Ottonova übernehmen. Die Verträge würden dann zu den vereinbarten Konditionen übernommen werden. Da hilft es, dass wir die Debeka als Anteilseigner an Bord haben, also eine der branchengrößten Krankenversicherungen. Und wer irgendwann feststellen sollte, dass er mit Ottonova nicht zufrieden ist, könnte zu einem anderen privaten Krankenversicherer problemlos wechseln. Bei allen seit 2009 abgeschlossenen Verträgen können Versicherte einen Teil der für sie gebildeten Alterungsrückstellungen mitnehmen. Das gilt natürlich auch für die Versicherten der anderen Privaten Krankenversicherungen, die zu Ottonova wechseln wollen.
Herr Rittweger, wir danken für das Gespräch.