Wie sehr die Volksfürsorge die fragwürdige Aktion zulasten vieler Kunden forcierte, zeigt die Art und Weise, mit der sie dabei zu Werke ging. Stellt beispielsweise ein Kunde eine Lebens- oder Rentenversicherung beitragsfrei und schließt dafür einen neuen Vertrag ab, ist dies normalerweise „kein echtes Neugeschäft“, kurz: KEN, wie dies intern heißt. Dafür erhält der Berater üblicherweise keine Provision, hat also eigentlich kein Interesse an einem solchen Kettengeschäft. Deshalb wurde die Regelung bei der Volksfürsorge für diese Kampagne jedoch ausdrücklich ausgesetzt.
Führungsdruck auf Mitarbeiter
„Die Aktion hat auf den Vertrieb in etwa dieselbe Wirkung, wie wenn man einer Gruppe hungriger Wölfe ein Stück Fleisch hinwirft“, sagt eine Führungskraft. „Es stand für die Mitarbeiter gar nicht zur Debatte, ob sie da mitmachen“, sagt ein Kollege. Denn auch bei der Volksfürsorge wird die Vertriebsleistung jedes einzelnen Mitarbeiters gemessen, das heißt, er muss auch bestimmte Ziele erfüllen. Ergebnisse und Zielerreichung werden für jede regionale Vertriebsdirektion zusammengefasst und in einem bundesweiten Ranking, das sich „Vertriebs-Cockpit“ nennt, veröffentlicht.
Zudem wurde dokumentiert, wer die Kunden, die von der Zentrale für die Vertriebsaktion herausgesucht wurden, zu einem Vertragsabschluss bewegen konnte. Dadurch konnte sich kein Mitarbeiter leisten, die Aktion zu ignorieren oder daraus kein Geschäft zu generieren, sagen mehrere Berater. Die Volksfürsorge sagt hierzu, dass ihr keine Beschwerden über „Führungsdruck“ bekannt seien.
Schlechte Tipps der Volksfürsorge-Berater
Wer auf Anraten des Volksfürsorge- Beraters etwa seine alte, hoch verzinste Kapitallebensversicherung beitragsfrei stellte, um die Prämie in eine staatlich geförderte Rürup- oder Riester-Rentenversicherung einzubezahlen, hat oft mit Zitronen gehandelt. Der Lebensstandard im Alter bleibt häufig unter dem bisher erwartbaren Niveau.
Der Vorschlag der Volksfürsorge-Berater, eine Versicherung aufzulösen, um sich mit dem Rückkaufwert gegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit abzusichern, ist teuer. Häufig bekommen die Kunden nicht einmal ihre eingezahlten Beiträge zurück.
Die Idee der Volksfürsorge-Berater, etwa eine Rentenpolice aus jungen Jahren gegen eine neue zu tauschen, geht oft zulasten der Versicherten. Diese zahlen dann erst mal über viele Jahre die Kosten des neuen Vertrags ab. In die Altersvorsorge wandert kaum etwas.
Viele Berater bezweifeln, dass nur solche Kunden den Vertrag wechselten, für die es auch wirklich sinnvoll gewesen sei, etwa weil die staatliche Förderung den Steuernachteil nicht kompensiert. Die Nettorenten hätten die Berater ihren Kunden gar nicht vorrechnen können, weil die Software das nicht hergegeben habe. Doch das wäre für einen fairen Vergleich nötig. Die Volksfürsorge sagt hierzu, sie hätte sichergestellt, dass keine Vertragsumstellungen zum Nachteil der Kunden vorgenommen werden konnten.
Gefährliche Abwärtsspirale
Die dubiose Aktion war für die Volksfürsorge eine „Erfolgsstory“, wie Vorstandssprecher Felske im Intranet berichtete. Sodass das einstige Gewerkschaftsunternehmen die ersten beiden Geschäftsjahre als Vertriebsorganisation von Generali mit Gewinn abschloss. Auch im vergangenen Geschäftsjahr hat die Volksfürsorge ihre selbst gesteckten Ziele zu mehr als 100 Prozent erfüllt. Allerdings wurde das Geschäft Ende 2011 durch eine Art Schlussverkauf beflügelt, weil der Garantiezins zum Jahreswechsel von 2,25 auf 1,75 Prozent fiel.
Entsprechend mau läuft das Geschäft in diesem Jahr an. Laut interner Zahlen, die der WirtschaftsWoche vorliegen, hat die Volksfürsorge bis zum 18. Mai ihr Verkaufsziel lediglich zu 74 Prozent erreicht. In der für sie so wichtigen Produktkategorie Lebens- und Rentenversicherungen schaffte das Unternehmen die Vorgaben sogar nur zu 70 Prozent. Von knapp 3000 hauptberuflichen Mitarbeitern, die länger als fünf Monate dabei sind, gelten laut Vertriebs-Cockpit gerade einmal 772 als „produktiv“. Das heißt, sie haben ihre gesteckten Ziele im Vertrieb erreicht. 1778 Volksfürsorge-Mitarbeiter dagegen gelten bezogen auf die ersten fünf Monate dieses Jahres als nicht produktiv.
Damit droht dem Unternehmen eine gefährliche Abwärtsspirale. Denn geht ein Mitarbeiter mit einem dicken Minus ins zweite Halbjahr, wird er seinen Rückstand bis Ende Dezember kaum noch aufholen können. Aber nur dann bekommt er zu seinem festen Gehalt noch einen Bonus für jeden Vertragsabschluss. Die schlechten Aussichten sind geeignet, den Vertrieb für den Rest des Jahres zu lähmen.
Verschärft wird dieses Problem durch die hohe Fluktuation bei der Volksfürsorge. Von 100 Vertriebsassistenten sind laut einer internen Präsentation mit dem Titel „Unser Weg zur Vision 2015“ nach 36 Monaten nur noch 20 als hauptberufliche Verkäufer tätig und gerade mal sechs davon sind „produktiv“. In den ersten vier Monaten dieses Jahres kommen auf 91 neu eingestellte Vertriebsassistenten 106 Abgänge. Für das Unternehmen ist das ein Drama.
Erstens kostet die Ausbildung eines Mitarbeiters die Volksfürsorge laut Insidern im ersten Jahr rund 60.000 Euro. Die Volksfürsorge gab hierzu keine Stellungnahme ab. Das Geld ist futsch, wenn der neue Kollege gleich wieder geht. Zudem müssen sich die Kunden immer wieder an neue Ansprechpartner gewöhnen.