Versicherer Die dubiosen Methoden der Volksfürsorge

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Raffiniertes Kalkül

Ein Schriftzug der Generali Versicherung Quelle: dpa/Picture-Alliance

Die Sorge ist nachvollziehbar. Immerhin hatte der Mutterkonzern Generali im vergangenen Jahr schon den Außendienst der Tochter Central-Krankenversicherung aufgelöst, die seit 1998 zur Gruppe gehört. Und auch den Vertrieb der einst stolzen Aachen-Münchener-Versicherung haben die Italiener an die Deutsche Vermögensberatung (DVAG) ausgelagert, an der Generali mit 40 Prozent beteiligt ist. Träfe es nun auch die Volksfürsorge, wäre das ein harter Schnitt für die Mitarbeiter. Die meisten müssten sich dann möglicherweise als freischaffende Vertreter durchschlagen, da die DVAG nur mit selbstständigen Beratern arbeitet.

6000 Euro Provision

Die Volksfürsorge hatte für Generali von Anfang an einen besonderen Reiz. Denn die fast 100 Jahre alte Marke ist in Deutschland sehr bekannt. Die wichtigsten Produkte sind Renten- und Lebensversicherungen. Diese werden meist für eine Laufzeit von mindestens 20 Jahre abgeschlossen und bescheren den Versicherern langfristig stabile Einnahmen. Die Vermittler erhalten daher für solche Verträge üppige Provisionen, die laut Branchenkennern bei einer Versicherungssumme von 100.000 Euro zwischen 3500 und 4500 Euro liegen. Die Volksfürsorge soll nach WirtschaftsWoche-Informationen für denselben Vertrag 6000 Euro bekommen – ein Betrag, den am Ende die Kunden bezahlen müssen. Die Volksfürsorge gab hierzu keine konkrete Stellungnahme ab.

Um die Einnahmen schnell und mit geringem Aufwand zu steigern, empfahl es sich für die Volksfürsorge, den Hebel an diesen Verträgen anzusetzen. Also beschloss der Vorstand kurz nach der Umstrukturierung 2009 eine sogenannte Bestandsmaßnahme durchzuführen, die bis Ende vergangenen Jahres lief. Dabei wurden, wie aus internen Dokumenten hervorgeht, zunächst 230.000 bestehende Renten- oder Lebensversicherungsverträge herausgefiltert, die vor 2002 abgeschlossen wurden.

Sodann wurden die Volksfürsorge-Mitarbeiter angehalten, Kontakt mit diesen Versicherten aufzunehmen und sie zu motivieren, zum Beispiel eine staatlich geförderte Riester- oder Rürup-Rente abzuschließen. Später wurde die Aktion auch auf Kunden mit neueren und fondsgebundenen Policen ausgeweitet. Dahinter steckte das raffinierte Kalkül, dass viele Kunden dafür kein Geld mehr hatten oder ausgeben wollten. In einem solchen Fall, heißt es in einem Brief des Vorstandssprechers vom 23. Februar 2009 an die Mitarbeiter, „kann der bestehende Vertrag beitragsfrei gestellt und ein geförderter Neuvertrag abgeschlossen werden“. Im Klartext: Der Kunde solle seine bisherige Versicherung ruhen lassen und die ersparten Beiträge in einen neuen, staatlich geförderten Rürup- oder Riester-Vertrag stecken. Die Volksfürsorge sagt hierzu: Ziel der Bestandsmaßnahme sei „die Beratung der Bestandskunden hinsichtlich der Schließung von Versorgungslücken“ sowie „ des Abschlusses von Neuverträgen über staatlich geförderte Produkte“ gewesen.

Rendite der Rentenversicherung Quelle: Aventus Finance

Vorteilhafte Altverträge

Auf den ersten Blick schien der Tausch attraktiv, schlimmstenfalls gefahrenlos. Immerhin erhielt der Kunde dadurch ein weiteres Standbein für seine Alterssicherung. Beim genauen Hinsehen erweist sich ein solcher Tausch jedoch als ziemliche Zitrone für viele Versicherte.

Grund: Alte Verträge sind oft vorteilhafter als neue. Seit 2000 wurde der Garantiezins für Kapitallebensversicherungen kontinuierlich von 4,0 auf aktuell 1,75 Prozent gesenkt. Während Beiträge in die Altverträge also weiterhin vergleichsweise attraktiv verzinst werden, ist dies bei neueren Policen nicht der Fall. Zudem müssen die Erträge aus Verträgen, die von 2005 an abgeschlossen wurden, im Gegensatz zu den Vorgängern versteuert werden. Vor diesem Hintergrund ist es höchst zweifelhaft, ob es sich aufgrund der staatlichen Förderung von Riester und Rürup für den Kunden lohnt, einen neuen Vertrag abzuschließen, statt den alten weiter zu bedienen.

„In der Regel ist das nicht sinnvoll, weil der neue Vertrag wieder Kosten produziert, die der Kunde über die Beiträge erst einmal abzahlen muss“, sagt Davor Horvat, Honorarberater in Karlsruhe, der nicht von Provisionen lebt, sondern sich von seinen Kunden direkt bezahlen lässt. Bei einer Lebens- oder Rentenversicherung sei die Gewinnschwelle oft erst nach zwölf Jahren erreicht, erst dann würden sämtliche Beitragszahlungen zum Großteil verzinst. Diesen Punkt hätten Kunden mit alten Verträgen ja oft schon erreicht.

Generali kann die Beitragsfreistellung von Altverträgen und die Umleitung der Prämien in neue Verträge nur recht sein. Denn die Italiener leiden wie ihre Wettbewerber unter den Altverträgen, für die sie den Kunden eine hohe Verzinsung versprochen haben. Seit der Niedrigzinspolitik im Zuge der Finanzkrise fällt es den Versicherern immer schwerer, die alten Zusagen zu erwirtschaften. Je weniger sie davon einhalten müssen, desto besser.

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