Versicherungskonzern Die zwei Gesichter der Allianz

Quelle: imago images

Deutschlands Versicherungsprimus streitet mit Gastronomen um Lockdown-Ausfälle und zeigt gleichzeitig gesellschaftliches Engagement. Rechnen muss sich beides.

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Freud und Leid liegen in Nürnberg keine vier Kilometer auseinander. Eine Strecke, die laut Navi mit dem Auto in zwölf Minuten zu bewältigen ist und zu Fuß in längstens einer Dreiviertelstunde - wenn man den Weg mit ein bisschen Sightseeing in der Altstadt verbinden will. Und doch tut sich auf der kurzen Distanz eine Kluft im Gebaren des Allianz-Konzerns auf, die tiefer ist als der historische Stadtgraben, der Nürnberg über Jahrhunderte vor Eindringlingen schützte.

Im Stadtteil Sündersbühl südlich von Bahnschienen und Frankenschnellweg hat die Immobiliengesellschaft des größten deutschen Versicherungskonzerns gerade in den Bau von 185 Sozialwohnungen investiert und lobt sich selbst für ihren gesellschaftlichen Beitrag, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Im Zentrum nahe dem Neutorgraben dagegen ist Gastwirt Michael Höllerzeder in seinem fränkischen Spezialitätenrestaurant auf die finanzielle Unterstützung der Steuerzahler angewiesen - weil die Allianz ihm wie vielen anderen seiner Zunft die Auszahlung seiner Betriebsschließungsversicherung für den Lockdown im vergangenen Frühjahr verwehrt.

Als Deutschlands Versicherungsprimus am Freitagmorgen die Geschäftszahlen für das Jahr 2020 bekannt gab, wurde deutlich, dass er die Folgen der Corona-Krise bisher besser wegsteckte als von Analysten erwartet. Die Pandemie kostete den Konzern im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro. Im letzten Quartal lief sogar wieder alles nach Plan. So sank das operative Ergebnis gegenüber 2019 insgesamt um neun Prozent auf 10,76 Milliarden Euro.

Damit dürfte sich die Allianz gemessen am Ertrag an die Spitze der Dax-Konzerne setzen. 2021 schon könne die Corona-Scharte ausgewetzt werden, sind Analysten zudem überzeugt. Allianz-Chef Oliver Bäte stellt für das laufende Geschäftsjahr ein operatives Ergebnis von 12 Milliarden Euro in Aussicht. Lediglich die doppelt so hohe Schwankungsbreite von 1 Milliarde Euro nach oben und nach unten unterstreicht mehr Vorsicht als für die Allianz üblich.

Gute Nachrichten gab es auch für die Aktionäre: Sie sollen 9,60 Euro je Anteilsschein erhalten und in Zukunft auch mehr, kündigte Bäte an. Der Allianz-Chef unterstrich aber auch, dass ihm der „Gleichklang zwischen den drei, vier Interessengruppen“ wichtig sei. An der Spitze, so Bäte, stünden dabei die Kunden.

Dass die Allianz ihm vor diesem Hintergrund 42.000 Euro verweigert und ihn zum Bittsteller um staatliche Unterstützung macht, bringt Gastronom Höllerzeder auf: „Ich bräuchte die Hilfe, die schließlich der Steuerzahler zahlt, nicht, wenn meine Versicherung leisten würde,“ betont er. Höllerzeder steht selbst am Herd der nach Nürnbergs berühmten Maler benannten Albrecht-Dürer-Stube. Schäufele - für Nichtfranken eine flache Schweineschulter - mit Apfelblaukraut und Kartoffelkloß war vor der Pandemie die oft bestellte regionale Spezialität des Hauses. Ingesamt 120 Essen kochte der Wirt jeden Abend. Für den Fall, dass die Behörden doch einmal seinen Betrieb schließen sollten, um die Verbreitung eines gefährlichen Erregers oder einer ansteckenden Krankheit zu verhindern, hatte er vor zehn Jahren auf Anraten eines Allianz-Vertreters eine Versicherung abgeschlossen und sich darauf verlassen, als es im vergangenen März dann wegen Corona tatsächlich dazu kam.

Doch die Allianz befand, Höllerzeder hätte gegen die Schließungs-Anordnung vorgehen müssen, und die Richter der 2. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth gaben dem Versicherer in erster Instanz Recht. Der neue Krankheitserreger Covid-19 stehe nicht auf der Liste der meldepflichtigen Krankheiten, die zu einer Auszahlung der Versicherungssumme verpflichte.

„Wir können eine Pandemie nicht abdecken,“ betonte Bäte während der Bilanzpressekonferenz. „Das sollte niemanden überraschen.“ Die Allianz sollte auch „nicht so dumm sein vorzugeben, dass sie es könnte“. Das müsse die Lehre aus den Erfahrungen mit Covid-19 sein. Der Konzern wehrt sich aktuell vor Gericht in zahlreichen Verfahren gegen eine Verurteilung zur Auszahlung der Betriebsschließungsversicherungen. Wo eine juristische Niederlage drohte, wie etwa im Streit um 1,1 Millionen Euro mit dem Wirt der Münchner Traditionsgaststätte Nockherberg, einigte man sich in letzter Minute außergerichtlich auf einen Vergleich.

Auf der anderen Seite des Nürnberger Stadtgrabens wird die Allianz ein anderes Gesicht zeigen. In Sündersbühl und einem weiteren Bauvorhaben in Nürnberg-Stein sollen bis spätestens Herbst 2022 insgesamt 330 Wohneinheiten bezugsfertig sein. 300 davon sind Sozialwohnungen. „Wir begleiten im Rahmen unserer sozialen Verantwortung bezahlbare Wohnungsbauprojekte und bringen damit Kapital in einen Sektor, in dem unserer Meinung nach mehr Aktivität und Nachfrage auch auf Investorenseite stattfinden muss,“ erklärt Annette Kröger, CEO Region North & Central Europe bei Allianz Real Estate.

Tatsächlich ist das Engagement erklärungsbedürftig: Sozialwohnungen gehörten in der Vergangenheit nicht zu den Wunschdestinationen institutioneller Kapitalanleger. Jetzt sagt Kröger: „Mit diesem klaren Bekenntnis zum bezahlbaren Mietwohnungsbau stoßen wir die Tür auf zu weiteren Projekten in diesem Sektor.“

Hat die Allianz doch ein viel weicheres Herz als es die zahlreichen streitbaren Gastwirte landauf, landab vermuten, wenn sie seit Wochen gegen den Versicherer vor Gericht ziehen? Schließlich hatten die Münchner bereits im Herbst Abhilfe auf einem weiteren gesellschaftlichem Problemfeld versprochen. Über ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem spanischen Telekommunikationskonzern Telefónica wollen sie innerhalb von sechs Jahren zwei Millionen Haushalte in ländlicheren Gebieten mit schnellem Internet versorgen. Das dürften all diejenigen als Segen empfinden, die derzeit im Home Office um Verbindung bangen.

Damit aber kein Missverständnis entsteht: Auch diese Investitionen müssen sich für die Allianz lohnen. Und sie tun es auch. Glasfaserkabel etwa rechnen sich, weil private Verbraucher und Betriebe für hochwertigere Produkte mehr bezahlen und andere Telekommunikationsanbieter für die Nutzung des Netzes.

Investments in den geförderten Wohnraum seien „der neueste Trend bei institutionellen Investoren“, sagt Klaus Niewöhner-Pape, Geschäftsführer von Industria Wohnen. Das Tochterunternehmen der Degussa Bank ist Portfoliomanager für wohnwirtschaftliche Investitionen für private und institutionelle Anleger. Da Staatsanleihen kaum oder gar keine Rendite mehr bringen, stecken die Allianz und andere bereits seit geraumer Zeit mehr Geld ihrer Versicherten in alternative Anlagen wie Infrastruktur, Immobilien und Unternehmen. Ausschlaggebend für die Hinwendung zum geförderten Wohnungsbau, so Niewöhner-Pape, seien die gestiegenen Kaufpreise und damit sinkenden Renditen am regulären Wohnungsmarkt sowie der zunehmende Druck auf die gesamte Finanzbranche: Neben Umweltverträglichkeit ist auch die soziale Nachhaltigkeit bei Investitionen zu beachten.

Mit welcher Rendite die Allianz in Nürnberg rechnet, will man bei der Immobiliengesellschaft Allianz Real Estate nicht preis geben. Doch die 135 Millionen Euro dürften gut angelegt sein. „Es ist ein sicherer Hafen innerhalb des Wohnungsmarktes,“ sagt CEO Kröger. Tatsächlich wird man sich um Mieter nicht sorgen müssen. Laut Allianz Real Estate stehen allein in Nürnberg derzeit 8000 Bewerber auf der Warteliste. Nach 25 Jahren läuft zudem die Sozialbindung aus, dann gehen Sozialwohnungen in den frei finanzierten Markt über. „Am Ende hat der langfristig orientierte Investor ein Investment, für das es keine Bindung bei der Miete mehr gibt,“ so Niewöhner-Pape von Industria Wohnen.

Bis dahin federn Bund und Länder die geringeren Renditen ab mit Baukosten- und Tilgungszuschüssen sowie Mietkostenaufstockungen. Auf Nachfrage erklärte Allianz Real Estate, dass man mit Darlehen, fest regulierten Mieten und zum Teil auch Zuschüssen rechnen dürfe. Grundlage seien die Programme zur einkommensorientierten Förderung (EOF) in Bayern sowie die Nachhaltigkeitsprogramme der KfW 55.

Die einkommensorientierte Förderung erlaubt etwa besonders niedrige Zinsen von 0,5 Prozent bis zu 50 Prozent der Kostenobergrenze und Zuschüsse bis zu 300 Euro je Quadratmeter Wohnfläche. Auch die Tilgungsbedingungen sind besonders günstig. Für Neubauten ist KfW 55 zwar die schlechteste Energieeffizient-Klasse. Dennoch werden je Wohneinheit zinsgünstige Kredite in Höhe von bis zu 120.000 Euro pro Wohnung gewährt sowie bis zu 18.000 Euro als Tilgungszuschuss für Investitionskosten. Diese Summe muss also nicht zurückgezahlt werden.

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Womöglich gibt es dann doch auch noch Hoffnung für die Gastronomen, mit denen sich die Allianz vor Gericht streitet. Der Konzern lässt sich wie zahlreiche andere Versicherer von einer bei klagenden Verbrauchern gefürchteten Großkanzlei vertreten: Bach Langheid Dallmayr mit Sitz in Köln. Doch in diesen Wochen erlebt man deren Anwälte gelegentlich ungewohnt weich: „Wir sind einigungsbereit“, sagte einer von ihnen jüngst in einem Prozess vor dem Landgericht in München. Es sei „nicht Geschäftsphilosophie der Allianz“, ihren Kunden zu schaden. Ein anderer Beobachter, der den Versicherer seit vielen Jahren aus Prozessen kennt, bestätigt: Die Allianz habe weder Interesse an negativer PR noch daran, dass Geschäftsleute ihretwegen Pleite gingen.

Mehr zum Thema: In ganz Deutschland steht für Versicherer im Streit um Betriebsschließungsversicherungen ein Milliardenbetrag im Feuer. Die Allianz kommt ihre Nachlässigkeit wegen Corona teuer zu stehen.

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