Versicherungen Keine Allianz fürs Leben

Unzufriedene Kunden, frustrierte Vertreter, abgestürzter Aktienkurs: Der größte Umbau in der Allianz-Geschichte hat die Schwachstellen im Konzern nicht behoben. Der weltgrößte Versicherer setzt Prestige und Erfolgs aufs Spiel.

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Michael Diekmann, oberster Quelle: REUTERS

Die nächste Allianz-Olympiade fällt deutlich kleiner aus. Nur noch gut 1000 der 182.000 Mitarbeiter können sich derzeit in Ausscheidungen für ein Ticket nach Budapest im kommenden Jahr qualifizieren. Eine Geste der Bescheidenheit angesichts der Finanzkrise: Beim internationalen Sportfest des Versicherers vor drei Jahren in Paris durften noch 1500 Betriebssportler teilnehmen. Sie messen sich in den unter Allianzlern beliebtesten Disziplinen von Leichtathletik über Schwimmen bis Golf. Nicht dabei sind diesmal wieder Männer und Frauen zu Pferde und in den Booten.

Dabei könnte sich Gerhard Rupprecht von Letzteren gerade besonders inspirieren lassen. Der Vorstandschef der Allianz Deutschland AG (ADAG) rudert derzeit eifrig zurück. Gut drei Jahre nach dem Start des radikalsten Umbaus der Konzerngeschichte muss er Verzug melden: Die geplanten Kostensenkungen von jährlich 500 Millionen Euro verzögern sich um mindestens ein Jahr. Bis dahin sollen außerdem insgesamt 4800 Arbeitsplätze abgebaut sein, verkündet hatte er einst 5700 Jobs bis Ende 2008. „Wir haben uns entschlossen, den Zeitraum für Einsparungen beim Personal um ein Jahr zu verlängern“, räumt Rupprecht im Interview mit der WirtschaftsWoche ein. Und: „Wir bauen 900 Stellen weniger ab.“

Dabei wollte die Allianz in diesem Jahr auf dem Heimatmarkt durchstarten, statt zurückzurudern. Michael Diekmann, oberster Chef des nach Börsenwert weltgrößten Versicherers, hatte seiner wichtigsten Tochter im September 2005 drei Ziele gesetzt: umbauen, sparen – und wachsen. Rupprecht sollte die Versicherungsfabrik der Zukunft konstruieren und die Blaupause für den Rest der Allianz-Welt liefern.

Das blaue Wunder ist bisher ausgeblieben

Doch der Schrittmacher gerät ins Stolpern: Sinkende Beitragseinnahmen, steigender Unmut unter Kunden und Mitarbeitern sowie schlechter Service bei hohen Preisen nagen am Geschäft des Marktführers. Der Assekuranz-Riese wird schwächer und plötzlich angreifbar, nachdem er jahrzehntelang als unbesiegbar galt. Das erhoffte blaue Wunder durch den radikalen Umbau ist bisher ausgeblieben.

Lange setzte der Münchner Koloss mit dem stilisierten blauen Adler im Emblem und weltweit 93 Milliarden Euro Umsatz 2008 in fast allen Versicherungsbereichen Maßstäbe, besonders auf dem deutschen Markt. Die „Arroganz“ – so ein Branchen-Spitzname – war bei der Konkurrenz nicht beliebt, aber bewundert. Doch der Glanz wird matter.

Besonders schmerzlich für die erfolgsverwöhnten Münchner: In internen Planungen peilten sie im Deutschland-Geschäft für 2008 ein Beitragswachstum von rund zwei Prozent auf deutlich mehr als 26 Milliarden Euro an. Am Ende landeten sie mit einem kleinen Minus unter 26 Milliarden Euro. Die Branche schaffte im Schnitt immerhin ein Plus von einem Prozent. Der Abwärtstrend bei der Allianz hält auch im ersten Quartal 2009 an. Aus dem geplanten Umsatzzuwachs von fast einer Milliarde Euro wird wohl nichts. Die Finanzkrise stimmt Rupprecht sogar noch skeptischer: „Es ist nicht damit zu rechnen, dass wir 2010 größere Wachstumsraten sehen werden“, bremst er nun.

Die neue Maschinerie läuft nicht immer rund

Bis Ende 2008 sollte der Umbau geschafft sein. Die gewünschte Versicherungsfabrik steht denn auch – vorerst allerdings nur das Grundgerüst. Schon dies war ein Kraftakt. Rupprecht führte die drei Spartentöchter Lebens-, Kranken- und Sachversicherung in der Allianz Deutschland AG zusammen, halbierte die Zahl der Standorte und kündigte einen Abbau von 15 Prozent der Vollzeitstellen an.

Eine Folge der Zentralisierung: Aufwendige Arbeiten etwa in Rechnungswesen oder EDV, die zuvor für jede der drei Gesellschaften separat anfielen, werden nun in einem Durchgang erledigt. Alle Kundenanrufe landen nun im Leipziger Telefonzentrum, ihre Anliegen sollen gleich am Hörer bearbeitet oder an Spezialisten weitergeleitet werden. Die Poststelle scannt drei Millionen Briefseiten wöchentlich ein, die binnen 24 Stunden bei den Sachbearbeitern landen sollen. Detailversessen versucht die Allianz, selbst das Alltäglichste zu regeln. „Hände waschen: So wird’s richtig gemacht“, steht über einer Anleitung auf den Toiletten des Lebensversicherers in der Niederlassung Stuttgart.

Doch läuft es in dieser neuen Maschinerie noch immer nicht rund, knirscht es im Gebälk des neuen Konzerngebäudes. „Wir haben nach wie vor jede Menge Rückstände und Verzögerungen bei den Arbeitsabläufen“, sagt ein Angestellter aus dem mittleren Management. Die Telefonhotline sei zeitweise überlastet, Mitarbeiter überfordert. Die genervten Kunden müssten warten: darauf, dass ihre Schadensmeldungen bearbeitet werden oder dass sie in der Telefonschleife an die Reihe kommen.

Deutschland fällt zurück

Obwohl Insider auch Besserungstendenzen sehen, lässt die zentralisierte Sachbearbeitung noch häufig zu wünschen übrig. „Wir nähern uns in der Qualität den Billiganbietern an“, schimpft ein Allianzler. Ein anderer spottet: „Schlechten Service bekommt man woanders billiger.“ In 60.000 Stunden hat die Allianz ihre Mitarbeiter für die neuen Aufgaben geschult. Offenbar reicht das immer noch nicht.

Kein Wunder, dass die Allianz die aktuellen Befragungen zur Versichertenzufriedenheit streng unter Verschluss hält. Immer deutlicher schrumpfte schon bis Mitte 2008 die Gruppe der Kunden, die die Allianz weiterempfehlen würden, in Relation zu den Kritikern. Von 100 befragten Kunden wollten nur 23 zur Allianz raten, 48 Versicherte nicht. Der Rest blieb unentschieden. Die Differenz aus Fans und Kritikern ergibt einen sogenannten Net Promoter Score von minus 25, im Vorjahr waren es noch minus 19. Zwar sind die Skeptiker auch bei ausgewählten Wettbewerbern in der Überzahl, aber Mitte 2008 nur mit 16 Zählern. In den Bereichen schießt die Allianz Private Krankenversicherung mit einem Net Promoter Score von minus 35 Prozent den Vogel ab, die Konkurrenz begnügt sich hier mit minus sieben Punkten.

Eigene Mitarbeiter geben Allianz schlechte Noten

Parallel zu den Kunden wollte die deutsche Allianz auch ihre Mitarbeiter regelmäßig zu ihrer Identifikation mit dem Unternehmen befragen. Die Erhebung ist derzeit überfällig – wegen der bisherigen schlechten Noten, munkeln Angestellte. Sie vermissen den früheren „menschlichen Führungsstil“, der die Allianz ausgezeichnet habe. „Die Gnadenlosigkeit, mit der der Umbau durchgeknüppelt wurde, hat vieles kaputt gemacht“, sagt selbst ein Leitender. Das Management biete kaum Motivation und Orientierung. Für Rupprecht, der in diesem Herbst 30 Dienstjahre bei der Allianz erreicht, sind dies Kinderkrankheiten: Sie verschwänden, sobald sich die neuen Strukturen eingespielt hätten. Interne Kritiker fällen dagegen ein vernichtendes Urteil: „Der Umbau ist gescheitert“, sagt einer.

Fest steht: Der Mutterkonzern sieht die ADAG bei den Sparvorgaben noch nicht auf der Zielgeraden. In einer Zwischenbilanz listet er die erwarteten Fortschritte seiner europäischen Töchter bis 2011 auf. Demnach hat die Deutschland-Tochter erst die Hälfte des Pensums geschafft und entwickelt sich 2009 gar nicht weiter. Einige Schwestergesellschaften, die von der ADAG lernen sollten, haben ihr Soll schon besser oder gar ganz erfüllt. Die Deutschen sind erst 2011 soweit.

Immer weniger Kunden wollen die Allianz fürs Leben eingehen

Schwund ohne Ende

Scheibchenweise revidiert Rupprecht daher seine Planungen: Bereits im vergangenen Jahr war klar geworden, dass rund 250 Stellen nicht bis Ende 2008 sozialverträglich gekappt werden können. Nun dreht der ADAG-Chef seine Streichpläne um weitere 650 Jobs zurück. Ein Teil der vorerst erhaltenen Stellen entfällt auf neue Geschäftszweige, etwa beim Direktversicherer Allianz24 oder der neu gegründeten Allianz-Bank. Der übrige Bedarf aber entsteht, weil das Management die Rationalisierungschancen im neuen Konzernmodell schlicht über- und die Anlaufschwierigkeiten unterschätzt hatte.

Derweil wird klar: Immer weniger Kunden wollen die Allianz fürs Leben eingehen. Bei den Riester-Rentenversicherungen haben die deutschen Generali-Töchter Aachen Münchener, Cosmos und Generali den Marktführer schon vom Thron gestoßen. Damit wollen sie sich nicht begnügen. Zur Umzugsfeier am neuen Standort in Köln am 15. Juni hatte Generali-Deutschland-Chef Dietmar Meister eine große Eins mitgebracht, bestehend aus den Markenlogos der Gruppe. „Sie steht für unser gewagtes Ziel: bei Vertriebskraft und Ertrag die Nummer eins im deutschen Privat- und Gewerbekundengeschäft zu werden“, sagte Meister. Den Marktführer erwähnte er mit keinem Wort – trotzdem war allen Gästen klar: Da bläst einer zum Angriff auf die Allianz.

Als nächstes dürften die Münchner ihre einst unangefochtene Führerschaft in der wichtigen Autoversicherung verlieren. Hier holt die HUK-Coburg mit rasendem Tempo auf. 2008 konnte sie 180.000 Privatfahrzeuge mehr versichern, die Allianz setzte ihren Schrumpfkurs fort. In den Sechzigern hatte der Riese einen Marktanteil von mehr als 32 Prozent. Ende 2008 ist er bei rund 16 Prozent angelangt – nur noch einen Prozentpunkt vor der HUK.

Diekmann forderte Revolution statt Evolution – und zielte auf den Beifall der Börse. Ein Sprung nach vorn kommt an den Märkten besser an als zehn Trippelschritte, zumal bei einem einst betulichen Versicherer. Zugleich wollte er mit der Axa in Paris seinen hartnäckigsten Konkurrenten abschütteln.

Kein Wunder, dass er nun ungeduldig auf Ergebnisse drängt. Denn wenn die deutsche Tochter ihre Ziele reißt, droht auch dem Konzern eine Schlappe. Einen Ertragsschwund der ADAG könnte sich der Mutterkonzern kaum leisten – schon gar nicht mitten in der Finanzkrise. Zwar betont Finanzvorstand Helmut Perlet die Solidität des blauen Riesen: Dank eines stark reduzierten Aktienanteils und des robusten Kerngeschäfts mit Versicherungen sei der Finanzkonzern auch in der Krise sehr sicher. Die Allianz verfüge über 161 Prozent des erforderlichen Sicherheitskapitals – mehr als noch vor einem halben Jahr.

Aktieninfo: Allianz

Versicherungsanalysten sind dennoch skeptisch. „Bei einer Abkühlung der Konjunktur werden die Versicherer an zwei Fronten leiden: bei den Kapitalerträgen ihrer angelegten Kundengelder sowie bei der Nachfrage nach Lebens- und Sachversicherungen“, begründet Thilo Gorlt von der BHF-Bank, warum er die Allianz zuletzt von „kaufen“ auf „reduzieren“ herabsetzte. Wer seinen Job verliert oder sich deshalb Sorgen macht, bindet sich vermutlich keine Kapitallebensversicherung ans Bein.

Zudem drohen schlechte Geschäfte in Italien und den USA, wo die Allianz zuletzt 100 Millionen Euro für Garantien von Lebensversicherten nachschießen musste. Denkbar sind auch weitere Abschreibungen auf Schrottpapiere. Als Mitgift für die Tochter Dresdner Bank, die Allianz-Chef Diekmann kurz vor dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers an die Commerzbank loswurde, musste die Versicherung der Dresdner im Januar – vermutlich hochriskante – Wertpapierpakete mit zweitklassigen Hypothekendarlehen im Nominalwert von zwei Milliarden für 1,1 Milliarden Euro abkaufen. Immerhin tauchen die Dresdner-Verluste nun in ihren Büchern nicht mehr auf. Zum Abschied hatte die grüne Bank mit ihrem Verlust von 6,4 Milliarden Euro den Allianz-Konzern Ende 2008 in die roten Zahlen getrieben.

Bisher gehört die ADAG zu den verlässlichen Cash-Cows im Konzern. 2008 steuerte sie ein Rekordergebnis von 2,3 Milliarden Euro zum operativen Gewinn von 7,4 Milliarden Euro bei. Eine Glanzleistung – allerdings durch außerordentliche Erträge aufgehübscht. Denn die ADAG hat seit Beginn der Krise Mitte 2007 Aktien im Wert von rund 14 Milliarden Euro versilbert, zum Großteil bei Dax-Ständen von mehr als 7000 Punkten. Hätte sie die Papiere gehalten oder später verkauft, hätte es Abschreibungen gehagelt. Ebenso rechtzeitig verkaufte Rupprecht von der Allianz genutzte Immobilien für 236 Millionen Euro.

Aktionäre spüren Schrumpfkurs schon lange

Darüber hinaus steckte der Lebensversicherer nur noch 2,7 Milliarden Euro in den Reservetopf, aus dem die Gewinnbeteiligung der Versicherten gezahlt wird. Im Jahr zuvor war es fast doppelt so viel. Die Höhe dieser Zuweisungen ist nicht vorgeschrieben. Wieviel in die Töpfe wandert richtet sich vor allem nach den Kapitalerträgen – und die waren 2008 deutlich magerer. Die Versicherer dürfen Geldreserven drei Jahre lang steuerfrei parken, bevor sie sie an ihre Kunden ausschütten.

Die reduzierte Einzahlung kann Lebens- und Rentenversicherte treffen: „Bleiben die Zinsen dauerhaft niedrig, muss die Überschussbeteiligung angepasst werden“, sagt Rupprecht. Dann müssten auch Kunden der Konkurrenz mit Abstrichen rechnen: „Falls die Allianz ihre Verzinsung senken würde, hätte dies eine starke Signalwirkung auf alle Lebensversicherer“, sagt Reiner Will, Geschäftsführer der Versicherungs-Ratingagentur Assekurata. Mit 4,5 Prozent liegt der Marktführer derzeit über dem Branchendurchschnitt von 4,2 Prozent.

Die eigenen Aktionäre spüren den Schrumpfkurs des Versicherungskonzerns schon lange: Der Kurs der Allianz-Aktie fiel zuletzt unter 65 Euro. Als Diekmann den Umbau im September 2005 verkündete, waren es 108 Euro. Der Deutsche Aktienindex Dax dagegen steht derzeit fast auf dem gleichen Niveau wie damals.

Dass sich die europäischen Wettbewerber wenig besser entwickelten, wird Diekmann kaum besänftigen. Zurückrudern ist seine Sache nicht. Das zeigte sich schon, als er nur schrittweise und später als andere Versicherer die Gewinnziele für 2008 korrigierte. Umso mehr dürfte den ehrgeizigen Versicherungslenker die Platzierung in der Hitliste der weltweit wertvollsten börsennotierten Unternehmen umtreiben. Bei der Bilanzvorlage im Februar glänzte die Allianz noch mit Platz elf. Zwischenzeitlich ist sie auf Rang 26 abgerutscht.

Rupprecht verspricht mächtiger Interessengemeinschaft Waffengleichheit

Um mit besseren Zahlen auch den Abwärtstrend an der Börse zu drehen, hat sich Diekmann im vergangenen Herbst 100 Millionen Kunden im Gesamtkonzern öffentlich auf die Fahne geschrieben. Bis zur Zielmarke fehlten vor zwei Jahren noch 20 Millionen neue Kunden, heute sind es – auch durch sechs Millionen abgegebene Dresdner-Bank-Kunden – schon 25 Millionen. Bereits Anfang 2007 schwor Diekmann die Führungskräfte in München ein: „Die ADAG-Veränderungsagenda: Wachstum“, hieß es in seinem internen Vortrag unmissverständlich.

Der Schlüssel zum Verkaufserfolg liegt in den gut 10.000 selbstständigen Allianz-Agenturen in der Allianz Beratungs- und Vertriebs-AG (ABV). Sie haben den blauen Riesen groß gemacht – und sollen ihn bitte schön weiter wachsen lassen. Dafür greift Rupprecht tiefer in die Tasche: Beim Frühjahrstreffen mit der mächtigen Interessengemeinschaft (IG) der Allianz-Vertreter Anfang April versprachen Rupprecht und seine wichtigsten Vorstände „Waffengleichheit“ mit anderen Vertriebskanälen.

Bisher haben Allianz-unabhängige Makler und Finanzdienstleister, die frei unter den Versicherungsanbietern wählen können, dem Vernehmen nach oft Schnäppchen bieten können. IG-Repräsentanten empörten sich in ihren Mitglieds-publikationen über Allianz-Vorstände, die „im Alleingang“ dem Finanzdienstleister MLP „bis zu 51 Prozent rabattierte Rechtsschutzversicherungen“ gewährt hatten. „Den unsäglichen Versuch“ habe man aber „schnellstens unterbunden“, triumphierte die IG. Ein Vertreter stellt klar: „Die eigenen Allianz-Leute müssen immer den besten Preis bieten können.“ Außerdem setzte die IG durch, dass die Vermittler für die Schadensregulierung nun elf statt der bisherigen mageren sechs Euro erhalten.

Die Vertreter feiern dies als Sieg: „Nach monatelangen Diskussionen und umfangreichen Untersuchungen ist jetzt in der IG-Sitzung der Durchbruch erzielt worden“, jubeln sie in einer Sonderausgabe ihrer Mitarbeiterzeitschrift „ABV Express“. Trotz des Erfolgs rumort es bei den Vertriebsleuten jedoch weiter. Nach wie vor müssen sie an zwei Fronten kämpfen: mit dem schlecht erreichbaren Innendienst und um die Gunst der immer preiskritischeren Kunden. „Seit dem Umbau ist eine Hotline für uns zuständig, und wir haben keinen festen Ansprechpartner mehr“, berichtet ein Agenturinhaber. Die Gruppenleiter in der nächsthöheren Ebene seien „praktisch unerreichbar“.

Schwergewicht Deutschland-Geschäft

Vor allem in der Autoversicherung, die als Türöffner beim Kunden für den Verkauf weiterer Policen gilt, haben die Königsblauen oft das Nachsehen gegenüber Direktversicherern – zumal sich das Unternehmen mit der Allianz24 eine Billigkonkurrenz heranzüchtet. „Der Verbraucher ist zwar bereit, für unsere großzügigere Schadensregulierung etwas mehr zu zahlen – aber nicht jeden Preis“, sagt ein Vertreter aus Nordrhein-Westfalen.

In der Versicherungsfabrik müssen sich die Vermittler die Rabatte, die sie Kunden auf den Standardtarif gewähren, zuerst verdienen. In der Autosparte etwa sammeln sie Guthaben auf ihrem „KonTaFlex“-Konto, wenn sie einen Vertrag zum Normalpreis abschließen. Dieses Geld können sie nicht selbst einstreichen, sondern nur für Rabatte anderer Kunden ausgeben. Dennoch sind die Nachlässe oft zu gering, als dass sich damit die Wettbewerbsfähigkeit in der einstigen Königsdisziplin der Allianz steigern ließe. Im Geschäft mit Firmenkunden sind bei größeren Beitragsvolumina weit höhere Prämiennachlässe möglich.

„Die offiziellen Tarife sind eher Obergrenzen, da sind noch 30 bis 40 Prozent Rabatt drin“, berichtet ein Vertreter aus dem Norden der Republik. Dafür aber schaue sich die Allianz das Risiko genauer an als früher – und lehne den Antrag schneller ab oder bleibe bei ihren Höchstpreisen. Aber auch mit Rabatten ist die Allianz oft zu teuer: Zuletzt scheiterte der Vertreter bei einem Kleinbetrieb, dem er für einige Tausend Euro – inklusive Rabatt – einen Haftpflichtschutz verkaufen wollte. Der Besitzer winkte dankend ab. „Bei der Konkurrenz hat er die gleiche Leistung angeblich für ein Drittel des Preises gekriegt“, berichtet der Vermittler.

Die Konjunkturflaute drückt die Motivation der Vertreter und die Wachstumschancen der Allianz zusätzlich: „50 Prozent der Agenturen wachsen noch, aber die andere Hälfte nicht“, sagt ein Generalvertreter. Einige werden doppelt von der Wirtschaftskrise getroffen: Das Neugeschäft geht zurück. Außerdem müssen sie Provisionen zurückzahlen, wenn Firmen insolvent werden und zum Beispiel deren Beiträge zur betrieblichen Altersvorsorge ruhen.

Angesichts der anrollenden Pleitenwelle bleibt dem Versicherer immerhin ein Trost: Die ADAG führt die betriebliche Altersversorgung von Pleiteunternehmen im Auftrag des wirtschaftseigenen Sicherungsfonds fort. Mit einem Anteil von 16,8 Prozent am Pensions-Sicherungs-Verein ist sie Konsortialführerin. Zumindest dieser Geschäftszweig dürfte 2009 deutlich wachsen.

Weitere Hoffnungsträger sind das sogenannte Cross-Selling – die 20 Millionen Allianz-Kunden in Deutschland sollen weitere Policen der Münchner kaufen – sowie Dienstleistungen für andere Versicherer. Bisher kann Rupprecht nur Erfolge bei den Schwestern landen: Die ADAG erstellt die Geschäftsberichte für die Allianz in Belgien, Großbritannien, Irland, Niederlande und Griechenland.

Das deutsche Kerngeschäft ist zum Wachstum verdammt

Kurzfristig könnte auch die neu gegründete Allianz Bank das Geschäft der Vertreter beleben. Nach dem Debakel mit der Dresdner Bank, die 2001 für 24 Milliarden Euro eingekauft und zum Jahresende für rund fünf Milliarden Euro an die Commerzbank abgestoßen wurde, will das Management nun in Eigenregie einfache Finanzprodukte an die Versicherten vermitteln. Als Starthilfe wollte sie zunächst eine Million Kunden automatisch mitnehmen, die ihre Vermittler zuvor für die Dresdner geworben hatten. Dann entschied sie sich jedoch, den Kunden die Wahl zu lassen und lockte mit 75 Euro Begrüßungsgeld.

Eine teure Aktion, denn zusätzlich erhielten die Agenturen für Wechsler Provisionen von zehn Euro ab dem ersten Kunden und bis zu 50 Euro ab dem hundertsten. Hinzu kamen fünf Promille des Depotvolumens, das der Klient von der Dresdner mitbrachte. Jede Agentur durfte maximal 20.000 Euro an Provisionen einstreichen. Trotzdem landeten nur 350.000 Kunden bei der blauen Bank. So mancher Wechsler mag inzwischen gezweifelt haben, ob er sich richtig entschieden hat. Beim Start waren die Hotlines völlig überlastet, Konten nicht auffindbar, Auszüge zum Ultimo nicht vorhanden. „Ein Chaos“, urteilen Allianzler.

Nervigkeiten wird es für die Klienten wohl noch länger geben: „Will ein Sparer Bargeld bei mir einzahlen, muss ich ihn an die Dresdner Bank verweisen“, berichtet ein Agent. Versicherungsprämien dagegen darf er entgegennehmen. Am bisher eher mageren Produktangebot müssen die Münchner auch noch drehen, wenn 100.000 Neukunden pro Jahr kein Wunschtraum bleiben sollen.

Evolution statt Revolution: Als Schrittmacher für den Gesamtkonzern kann die deutsche Allianz so kaum herhalten. Damit die Maschine besser läuft, braucht Rupprecht jeden Kopf und jede Hand. Doch der Aufschub beim Personalabbau ist kein Ruhekissen: Den Mitarbeitern ist klar, dass die Rentabilitätsziele der Mutter nur zu erfüllen sind, wenn das deutsche Kerngeschäft wächst. Sinkt der Umsatz bei gleichen Kosten, kommen fast automatisch neue Sparmaßnahmen auf die Tagesordnung.

Rupprecht gibt denn auch keine Garantien ab: „Wenn ein Unternehmen nicht so wächst wie die Inflation oder die Löhne, hat es ein Problem.“ Zugleich beteuert er, dass er langfristig mit der neuen Personalstärke plane. Bei Arbeitnehmervertretern wirken solche Beruhigungspillen nicht. Ein Vertreter der Gewerkschaft Verdi glaubt, dass sich die Allianz heimlich schon neue Ziele gesteckt hat: „Ich gehe davon aus, dass Pläne für einen weiteren Arbeitsplatzabbau bereits in der Schublade liegen.“

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