Wäschehersteller Fein R.I.P. - Wie Missmanagement Schiesser in die Pleite trieb

Der Wäschehersteller Schiesser ist kein Opfer der Finanzkrise. Grausiges Missmanagement, so interne Unterlagen, trieb die Unterhosen-Ikone in die Pleite.

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Die Traditionsfirma Schiesser Quelle: dpa

Es ist ein sonniger Donnerstag. In der Villa Wintergarten in Radolfzell am Bodensee, einem liebevoll restaurierten Repräsentierbau des Wäscheherstellers Schiesser, treffen sich kurz nach Mittag ein knappes Dutzend Betriebsräte, ein IG-Metall-Funktionär sowie Schiesser-Finanzchef Karl-Achim Klein zur 53. Betriebsratssitzung. Der Ort ist geschichtsträchtig, Firmengründer Jacques Schiesser und seine Familie wohnten vor über 100 Jahren hier. Betriebsratschef Hans-Dieter Schädler eröffnet die Sitzung. Das Wort hat Finanzchef Klein, unter Tagesordnungspunkt 1 erfolgt der Bericht zur Lage – endlich, nachdem dieser über Monate hinweg verweigert worden war.

Was der altgediente Manager an diesem Tag im Juli des vergangenen Jahres vorträgt, wird sich bei den Teilnehmern der Runde als eine Art Anfang vom Ende des Wäscheherstellers ins Gedächtnis brennen. Die Zahlen, die Klein präsentiert, sind schlecht. Bereits Ende März lag der Umsatz mit Unterhosen, Schlafhemdchen, Bikinis und BHs um rund zwei Millionen Euro unter Plan. Bis Ende Mai verschlechterte sich der Erlös weiter.

Als Klein gefragt wird, wie das zurückliegende Jahr gelaufen sei, verdunkeln sich die Mienen der Anwesenden vollends. Das Protokoll, das der WirtschaftsWoche vorliegt, notiert: „Zum Thema Jahresabschluss will Herr Klein nichts sagen. Nur so viel: Der Abschluss ist der miserabelste, den die Schiesser-Geschichte je geschrieben habe.“ Der Ernst der Lage kulminiert in dem Satz: „Um im Umfeld, insbesondere bei den Kunden nicht in negative Schlagzeilen zu geraten, werden die Zahlen nur unter Zwang herausgegeben.“

Pleite wegen schwerer Managementfehler

Im Feinripp geht der Prolet im deutschen Theater und im deutschen Fernsehfilm zugrunde. Am Feinripp verendete aber keineswegs die Firma, die für die Inkarnation rechts-rechts-gestrickter Rillentextilien steht. Schiesser ging nicht an zu biederen Produkten zugrunde, erst recht nicht, wie allgemein vermutet, an der Finanzkrise. Die Pleite vor zwei Wochen resultiert aus schweren Managementfehlern. Der endgültige Todesstoß schließlich kam von den Eigentümern, der Beteiligungsholding der Schweizer Industriellenfamilie Bechtler, die die Lust an ihrem Engagement verloren hatte.

Natürlich würde Schiesser, wie auch der ebenfalls zahlungsunfähige Spielzeugeisenbahnhersteller Märklin, vielleicht noch leben, wären Aufträge nicht ausgeblieben und hätte die gesunkene Kreditwürdigkeit den höheren Ansprüchen der Banken in Zeiten der Finanzkrise genügt. Doch dies alles ist nicht der Grund für das unternehmerische Ende, sondern nur der Schlusspunkt unter ein von Managerhand verschuldetes Siechtum.

Feinripp nach wie vor gefragt

In den Augen vieler Konsumenten mag Fein- oder Grobripp für das Gestrige, das Brutale und das Unerotische stehen. Till Schweiger stempelte Feinripp im Film „Manta, Manta“ zum vermeintlichen Markenzeichen für Prolls. Bruce Willis war im Hollywood-Schinken „Stirb langsam“ im dreckbesudelten Feinripp-Leibchen gegen das Böse in der Welt unterwegs.

Dem Geschäft abträglich war die Ware mit dem vermeintlichen Abtörnfaktor jedoch nie. „Fein- und Doppelripp haben der Marke nie geschadet“, berichtet eine Schiesser-Außendienstmitarbeiterin. Jedes Fachgeschäft brauche dieses Sortiment. Auch die Käufer stürben nicht aus. „Das wird schon seit 20, 30 Jahren behauptet“, sagt die Außendienstlerin. „Die Bestellungen für die neue Kollektion läuft gut, sehr gut sogar, trotz der Krise.“ Insolvenzverwalter Volker Grub bestätigt das: 20 Prozent Umsatzplus im Januar 2009 gegenüber dem Vorjahresmonat, Anstieg der Vorbestellungen um acht Prozent – Pleiten wegen Erfolglosigkeit sehen anders aus.

Die Ursache für den Niedergang reicht in das vergangene Jahrzehnt zurück. 1991 setzte das Unternehmen, damals die Schiesser-Eminence-Gruppe, noch rund 450 Millionen Euro um, davon entfielen allein über 300 Millionen Euro auf Schiesser. In Deutschland arbeiteten fast 4000 Menschen. Den ersten großen Einschnitt gab es in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre, als aus Kostengründen ein Großteil der Produktion von Deutschland nach Griechenland und vor allem Tschechien verlagert wurde.

Das langsame Sterben beginnt, als 2002 Winfried Daltrop, ein Manager des US-Turnschuh-Herstellers Reebok, den Chefsessel besteigt. Von da an platzen bei Schiesser immer mehr Nähte. Daltrop schließt die letzte verbliebene Produktionsstätte in Radolfzell, 300 Mitarbeiter müssen gehen. Kein Schiesser-Hemdchen und -Höschen wird seitdem mehr in Deutschland produziert.

Um seine Strategie durchzupeitschen, feuert Daltrop den Schiesser-Marketingleiter Oliver Than und ersetzt ihn durch Rebekka Kröger, eine Vertraute aus Reebok-Zeiten. Daltrop schließt Lizenzverträge mit bekannten Marken wie Hugo Boss, Levi’s, Mexx, Ralph Lauren, Puma und Tommy Hilfiger, für die Schiesser fortan produzieren soll. Zu diesem Zweck stampft der neue Herr der Unterhosen für viel Geld die Firma Schiesser Lifestyle aus dem Boden. Aus dem biederen Hersteller vom Bodensee soll eine Art paneuropäischer Slip- und Schlüpferplayer werden. Seine Vision umschrieb Daltrop in der WirtschaftsWoche im November 2006 so: „Wir wollen eines Tages an jedem in Europa verkauften Wäschestück irgendwo in der Wertschöpfungskette Geld verdienen.“

In Wahrheit düngt Daltrop damit den Keim des Niedergangs. Um die Wäsche unters Volk zu bringen, wagt er eigene Läden unter dem Fantasienamen Kju. Ein teurer Spaß: Kju geht mit feinstem Interieur in die schicksten und teuersten Lagen von Düsseldorf, Köln und Wiesbaden. Der Flop ist grandios: „Es gab Tage, da haben wir keinen Cent eingenommen“, sagt eine Ex-Mitarbeiterin. Schiesser muss alle Läden schließen.

Nach Computer-Chaos Produktion nach Erfahrungswerten

Neben der Niederlage an der Verkaufsfront richtet Daltrop Schiesser im Innern zugrunde. Gegen den Willen der Fachleute aus den eigenen Reihen, die eine neue Betriebssoftware von SAP favorisieren, drückt er das Konkurrenzprodukt Movex von Lawson Software durch – und produziert schlimmes Chaos. Kundennummern werden nicht erkannt, Aufträge verschwinden, Stoffe und Rechnungen bleiben liegen. Manchmal stehen bei Schiesser tagelang die Computer still. „Movex war bis dahin für große Unternehmen überhaupt nicht erprobt“, erinnert sich ein Schiesser-Mitarbeiter.

Den vorläufigen Tiefpunkt erlebt Schiesser im Sommer 2006, als das Unternehmen in dem Chaos die Kollektion für das Frühjahr 2007 auflegt. „Weil keine Bestellungen kamen, haben die Werksleiter einfach nach Erfahrungswerten produziert“, sagt ein Insider. Die Folgen sind verheerend. In der Spitze stapeln sich weit über 30 Millionen » Wäschestücke in den Schiesser-Lägern. Ware, die bis spätestens Februar beim Handel eintreffen muss, kommt gar nicht oder erst Monate später an. Von März 2007 an ist Schiesser gezwungen, die Produktion mit Abschlägen bis zu 70 Prozent zu verhökern. Edle Spitzen-BHs, die im Fachhandel 49,95 Euro kosten, landen für zwei Euro auf den Grabbeltischen der Supermarktkette Real.

Seitdem reißen die Schreckensnachrichten vom Bodensee nicht mehr ab. Daltrop beauftragt den griechischen Modeschöpfer Kostas Murkudis mit dem Entwurf eigener Designerwäsche, die nur in 40 ausgewählten Shops in Deutschland verkauft werden soll. Doch damit verprellt Schiesser Hunderte traditionelle Fach- und Einzelhändler, jene treuen Feinripp-Abnehmer, mit denen das Unternehmen bis heute den Löwenanteil seines Umsatzes erzielt. Edle Kultläden wie Manufaktum können den Einbruch nicht wettmachen, Murkudis’ Kollektion wird zum Ladenhüter, der Grieche bekommt den Laufpass. Ähnlich erfolglos läuft Schiesser-Revival, die traditionelle weiße Feinripp-Ware, die Daltrop in einer aufwendigen Retro-Verpackung auf den Markt wirft. Wer kauft schon Unterhosen für 60 Euro? 

Daltrop überspannt den Bogen

Als das Kerngeschäft immer mehr unter dem Aktionismus leidet, hebt Daltrop bei Schiesser ab. Jeder, der sich ihm in den Weg stellt, sei mit Kündigung bedroht worden, berichten Mitarbeiter. Mehrere Manager müssen ihren Hut nehmen. Schließlich überzieht Daltrop. Er will einige Millionen Euro in ein neues Firmenlogo investieren und nebenbei noch einen seiner letzten Kritiker, Schiesser-Vertriebschef Rudolf Bündgen, hinausdrängen. Dazu kommt es nicht mehr. Bündgen reist zu Inhaber Thomas Bechtler in die Schweiz. Der zieht die Reißleine, setzt Daltrop vor die Tür und macht Bündgen Ende 2007 zum Vorstandschef.

Aus heutiger Sicht fällt die Entscheidung zu spät und halbherzig. Im Januar 2008 erklärt Bündgen auf einer Betriebsversammlung, dass er von Bechtler ein Jahr Zeit für die Sanierung bekommen habe. 2009 müsse Schiesser wieder schwarze Zahlen schreiben, Bechtler werde kein Geld nachschießen.

Vermutlich hatte Bechtler aber zu diesem Zeitpunkt gar kein Interesse mehr an Schiesser, oder er ahnte das ganze Ausmaß der Misere: ein Verlust von 30 Millionen Euro bei einem Umsatz von 175 Millionen Euro plus Gesamtverbindlichkeiten von 100 Millionen Euro. Kaum vier Wochen nach der Betriebsversammlung kappte der Schweizer den letzten Rest seines ohnehin spärlichen Engagements bei Schiesser. Per E-Mail erfuhren die Schiesser-Mitarbeiter, dass Bechtler „aufgrund erheblicher Arbeitsbelastungen“ den Vorsitz des Aufsichtsrats verlassen habe.

Bechtler wäre ehrlicher gewesen, hätte er „R.I.P.“ an den Bodensee gemailt, die alte lateinische Grabinschrift „Requiescat in pace“ – zu Deutsch und auf Schiesser übertragen: ruhe in Frieden, Feinripp.

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